Kirchhofer, Strategie und Wahrheit | frameset

Vorbemerkungen

Eine junge Frau sitzt in ihrem closet, unfrisiert, in undress, an einem kleinen Tisch, den Fächer hat sie weggelegt. Hinter ihr gibt ein zurückgeschlagener Vorhang den Blick auf ein Bücherregal frei. Sie hat ein Buch vor sich, das ihre linke Hand hält, doch schaut sie, den Kopf auf den rechten Arm und diesen auf den Tisch gestützt, nur nachdenklich in Richtung des Buchs. "Sacrament" ist auf dem Rücken eines der Bücher im Regal zu lesen, als "The Duty of Man" ist das oberste der auf dem Tisch liegenden Bücher zu identifizieren. Zweifellos ist mit letzterem The Practice of the Christian Graces: or, The Whole Duty of Man gemeint, eines der zeitgenössisch verbreitetsten Kompendien, in denen die Pflichten des Christen zusammengestellt sind. Der Band "Sacrament" dürfte der frommen Vorbereitung auf das Abendmahl dienen, wie etwa John Flavels Sacramental Meditations upon divers select places of Scripture wherein believers are assisted in preparing their hearts, and exciting their affections and graces, when they draw nigh to God in that most awful and solemn ordinance of the Lords Supper. Texte dieser Art repräsentieren exemplarisch die Zusammensetzung der Bibliothek der jungen Frau. Das Buch aber, das offen vor ihr liegt und das sie las, bevor sie sich in ihre Gedanken vertiefte — oder das sie, wenn wir eine Unzulänglichkeit des Kupferstechers in Rechnung stellen, vielleicht noch liest — hat den Titel "Lady's Companion".

Detail

In ihre Privatheit zurückgezogen, mag sie darüber nachdenken, wie sie sich in religiösen Angelegenheiten, bei der Wahl eines Ehemanns, bei der Leitung eines Haushalts und seiner Angehörigen, bei der Erziehung ihrer Kinder verhalten soll und was im gesellschaftlichen Umgang zu beherzigen ist; schließlich mag sie sich das Schöne und Vorteilhafte der Tugend und die Laster, vor denen sie sich zu hüten hat, vor Augen führen. Diese und ähnliche Themen jedenfalls behandelt nach Auskunft des Titelblatts das kleine Werk, als dessen Frontispiz das Bild fungiert: The Young Lady's Companion; or, Beauty's Looking-Glass. Consisting of Infallible Rules for improving the natural Charms of the Fair Sex, to such Advantage, as to put it in the Power of every Woman to render herself amiable both to God and Man. Das Wissen, das dieser Companion zu vermitteln verspricht, und die Verhaltensanleitungen, die er enthält, gelten der Situation der weiblichen Jugend. Es geht um das Leben in der elterlichen Familie und in der Familie, der sie bald als Gattin, Mutter und Hausherrin angehören wird, um die sozialen Beziehungen, in denen sie sich finden wird, darum, welchen Einfluß, welche Macht sie hat und welcher Autorität sie sich fügen muß, und nicht zuletzt um ihr Verhältnis zu ihrem Schöpfer. Gegenstand des Wissens ist jenes foyer local de pouvoir-savoir, jenes lokale Zentrum von Macht-Wissen1, in dessen Mittelpunkt die junge Frau steht und in dem Eltern und Geschwister, Liebes- und Ehepartner, Freunde und Verwandte sowie geistliche, pädagogische und medizinische Ratgeber je eine unterschiedliche Rolle spielen.

Das Buch gibt eine Repräsentation der typischen Elemente eines solchen lokalen Zentrums von Macht-Wissen und sucht zugleich selbst in den tatsächlich existierenden Zentren einen Platz. Auch wenn nur eine einzige Ausgabe des Young Lady's Companion veröffentlicht wurde — dies im Jahre 1740, dem Jahr, das die großen Jahrzehnte des empfindsamen Romans einleitet —, setzt das Werk an einem wichtigen Problembereich des 18. Jahrhunderts an: an der Frage nach Rolle und Lebensgestaltung der Frau. Daß das Werk, als dessen Verfasser die Titelseite "a Person of Quality" nennt und das ohne namentliche Nennung des Verlegers bzw. Buchhändlers von den "Booksellers of London and Westminster" vertrieben wird, in Wahrheit ein unveränderter Nachdruck des zuerst 1688 erschienenen und bis ins späte 18. Jahrhundert vielfach wieder aufgelegten The Lady's New-Year's Gift: or, Advice to a Daughter von George Savile, First Marquess of Halifax, ist, belegt die Virulenz dieses Problembereichs noch auf andere Weise: Offensichtlich ließ sich auch buchhändlerischer Unternehmergeist von diesem Thema locken.

Die Behandlung des Problembereichs weiblichen Verhaltens hofft auf Rezeption an den Stellen, wo solche Problembereiche existieren. Überall dort, wo junge Frauen in gehobenen Familien aufwachsen, will das Buch gelesen werden. Dementsprechend betont das hinzugefügte zweiseitige Vorwort mit Nachdruck die Wichtigkeit der Kindererziehung für die jetzige und die kommende Generation, besonders angesichts der Bedeutung weiblicher Tugend für die Ordnung in Familien und der Signifikanz früh empfangener Eindrücke. Um all dieser Vorteile willen, fährt der ungenannt bleibende Verfasser des Vorworts fort, "I could wish that the ensuing Treatise might fall in the hands of every young maiden in the Kingdom" (A2v). Mit dem Versprechen, Wissen zu vermitteln, das das Verhalten der Individuen in unzähligen über die ganze Gesellschaft verteilten lokalen Zentren von Macht-Wissen leiten kann, will der Text zugleich ein Faktor in jedem einzelnen dieser lokalen Zentren werden, über die er Wissen vermittelt.

Daß sie solche lokalen Zentren von Macht-Wissen darstellen, mit dem Ziel, in diesen Zentren selbst einer der wirkenden Faktoren zu werden, charakterisiert nun die im Folgenden untersuchten Texte bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein. Erst nach der Jahrhundertmitte treten andere Probleme als die von jungen Frauen in ihrem sozialen Umfeld in den Mittelpunkt empfindsamer Romane. In allen Fällen haben die Texte ihren Ort in den foyers locaux de pouvoir-savoir, die von Buchhändler, Drucker, Verfasser, Erzählinstanz, Text und Lesern gebildet werden. An der Repräsentation lokaler Zentren von Macht-Wissen, mit der die Texte in ähnlichen realen Zentren wirken wollen, werden die Analysen in der vorliegenden Studie jeweils ansetzen.

Es wird darum gehen, jeweils die Spezifität des verwendeten Wissens einerseits und die Beziehungen, in denen dieses Wissen seinen Ort hat, andererseits, zu bestimmen. Zu berücksichtigen sind dabei die kontinuierlichen Variationen, die jede einzelne Intervention, jede neue Artikulation dieses Wissens, jede Übertragung dieses Wissens oder der Formen seiner Erzeugung und Vermittlung in einen anderen Kontext mit sich bringt. Wie diese lokalen Zentren sich an umfassendere Bestrebungen in der Gesellschaft anschließen, nicht indem sie kleinere Versionen derselben sind, sondern indem sie der Berufung etwa auf Theologie, Medizin oder Nation ihre Wirksamkeit verdanken und gleichzeitig deren Existenz stützen, ist anzudeuten; die Texte selbst gehören jedoch immer einem foyer local zu, stehen niemals in direktem Bezug zu einer solchen umfassenden Instanz.

Ein Begriff fehlt signifikanterweise in allen diesen Texten: Von duty und virtue, von chastity, uncleanness und vom flesh, von passions, affections und vices, vom Umgang mit Eltern, Ehegatten, Kindern und Bediensteten, von Liebe und immer wieder von sex im Sinne des Geschlechts der Personen ist die Rede — von sexuality jedoch nie. Der Begriff, wie wir ihn kennen, deutet sich erst spät im 18. Jahrhundert an und wird erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gebräuchlich. Zeitgenössisch könnte man allenfalls im Kontext der Botanik, besonders bei Linné, darauf stoßen. In anderen Bereichen, so scheint es, gibt es die Sexualität noch nicht. Es gibt dagegen sehr wohl die Wissensbereiche, in denen die genannten Begriffe ihren Platz haben.

Daraus ist zunächst eine begriffliche Konsequenz zu ziehen, denn man läuft Gefahr, ein anachronistisches Moment in die Beschreibung einzuführen, wenn man von der Sexualität in der Empfindsamkeit oder im früheren 18. Jahrhundert spricht; die vorliegende Studie bedient sich deshalb zur Bezeichnung des Wissensbereichs, auf den sie sich bezieht, der beiden zeitgenössischen Begriffe, die seine wesentlichen Momente ausmachen: die Leidenschaften und das Geschlecht.

Das Fehlen des Begriffs der Sexualität hat aber noch eine weitergehende Konsequenz: Denn die aufgelisteten Begriffe, von duty bis sex, referieren auf einen Erfahrungsbereich, in dem im 19. Jahrhundert sehr viel von Sexualität die Rede sein wird. Es stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die einzelnen Texte und die Diskurse, zu denen sie gehören, mit dieser Entstehung des spezifischen Erkenntnis- und Erfahrungsbereichs der Sexualität stehen. In welchem Verhältnis stehen sie, um es mit Michel Foucault zu formulieren, zu dem Sexualitätsdispositiv, in dessen Kontext der Begriff der Sexualität die des Fleischs, des Lasters, der Leidenschaft usf. ersetzt hat?

Wenn der Begriff der Sexualität selbst das historische Ergebnis von Modifikationen des Wissens über diesen Bereich von Leidenschaften und Geschlecht ist, so können Forschungspositionen, die Verbot und Unterdrückung der Sexualität als für die Empfindsamkeit konstitutiv ansehen, nicht mehr unwidersprochen bleiben. Messen sie doch, statt sich um die Rekonstruktion des zeitgenössischen Erfahrungs- und Wissensbereichs zu bemühen, diesen an jener Sexualität, die sich in den folgenden anderthalb Jahrhunderten erst in ihrer Spezifität herausbildet. Wer mit ahistorischer Selbstverständlichkeit mit dem Begriff der Sexualität operiert, kann sich nicht danach fragen, welche diskursgeschichtlichen Voraussetzungen die Selbstverständlichkeit dieses Begriffs erst ermöglichen.

Im Rahmen dieser Fragestellung wird den Momenten der Negativität und der freiwilligen oder unfreiwilligen Unterlassung ein neuer, je spezifischer Status zugewiesen. Sie gelten nicht mehr als die charakteristischen und wirkungsmächtigsten Elemente des Umgangs mit der geschlechtlichen Leidenschaft, als die sie nur auf der Grundlage eines Begriffs von Macht als einer negativen und äußerlichen Größe erscheinen konnten, sondern sie erhalten dort, wo sie vorkommen, ihre Rolle im Rahmen des Einsatzes von Wissen, der seinerseits in lokalen Zentren von Macht-Wissen seinen Ort hat. Die Einwände, die gegen traditionelle Forschungspositionen in historischer Hinsicht wie in Hinsicht auf den Machtbegriff, der, ohne reflektiert zu werden, ihre Interpretationen leitet, erhoben werden müssen, werden zusammen mit einer ausführlicheren Darstellung des vorliegenden Ansatzes Gegenstand des folgenden Einführungskapitel sein.

Die beschriebene Historisierung der Sexualität, die Umwertung des Status der 'Repression' und die kurz umrissenen Beschreibungskriterien, darunter zuvorderst das Konzept des foyer local de pouvoir-savoir, knüpfen alle an Michel Foucaults La volonté de savoir, den 1976 erschienenen ersten Band seiner Histoire de la sexualité, an. Dabei begibt sich die vorliegende Studie in eine mißliche Lage, denn die Modalitäten der Fruchtbarmachung Foucaultscher Ansätze in der Literaturwissenschaft sind trotz der vielfachen Bezugnahmen auf die Arbeiten Foucaults bislang noch nicht überzeugend aufgearbeitet und befragt worden.2 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Foucaults Werk und seiner Rezeption in der Literaturwissenschaft ist auch im Rahmen der Hinführung auf die Fragestellung dieser Studie nicht zu leisten. Möglich und zugleich unverzichtbar ist eine Darstellung der Grundlagen, die ich aus Foucaults Arbeiten gewonnen habe, sowie der Art, wie ich sie für meine eigene Untersuchung fruchtbar machen möchte. An dieser Stelle möchte ich in aller Knappheit den Hintergrund meiner methodischen Entscheidungen darstellen. Ich habe die Hoffnung, daß meine Arbeit so auch einen Beitrag zur fortdauernden Diskussion um die Modalitäten und die Nützlichkeit der Rezeption Foucaultscher Arbeiten in der Literaturwissenschaft liefern kann.

Ich verstehe mit Paul Bové (1992) Foucaults Arbeiten der siebziger Jahre3 als getragen von der Bestrebung, den bis dahin fraglos als repressiv aufgefaßten Begriff der Macht (der in bestimmter Form auch Foucaults eigenen Arbeiten zugrunde gelegen hatte) zu rekonzeptualisieren. Wenn in diesen Arbeiten noch ein empanzipatorischer Gestus spürbar ist, der gegen das erklärte Argumentationsziel auf einen Begriff von Macht als Repression zu referieren scheint, so kommt Foucault in den späteren Arbeiten, wo er sich anderen Gegenständen als den in unseren Gesellschaften institutionalisierten Wissenschaften vom Menschen zuwendet, zu Formulierungen, denen diese Mißverständlichkeit nicht mehr eignet. Die Analysen der Literatur über das rechte Beherrschen seiner selbst und anderer (Stichwort: gouvernementalité) oder der eigentümlichen Charakteristika des Aussprechens der Wahrheit (Stichwort: véridiction) bringen kein formalisiertes, 'wissenschaftliches' Wissen mehr ins Spiel; sie richten sich gleichwohl immer wieder auf die drei Achsen, nach denen auch die Konstitution der historischen Erfahrung der Sexualität analysiert wurde: "la formation des savoirs qui se refèrent à [la sexualité], les systèmes de pouvoir qui en règlent la pratique et les formes dans lesquelles les individus peuvent et doivent se reconnaître comme sujets de cette sexualité" (Foucault 1984a: 10). Diese Analyse von Wissen, Machtbeziehungen und Subjektivierungsformen ist insofern geradezu positivistisch, als sie nur die jeweils feststellbaren Elemente benennt und in ihrem Zusammenspiel beschreibt.

In La volonté de savoir hatte Foucault dieses Zusammenspiel noch mit dem Begriff des dispositif de sexualité bezeichnet. Im Spätwerk ist nicht mehr von einem Dispositiv, sondern von Problematisierungen und deren Einbindung in spezifische Praktiken die Rede. Mit den Worten "[analyser] les problématisations à travers lesquelles l'être se donne comme pouvant et devant être pensé et les pratiques à partir desquelles elles se forment" (Foucault 1984a: 17) beschreibt Foucault in der Einführung zum zweiten Band der Histoire de la sexualité sein Erkenntnisinteresse und schließt daran eine rückblickende Reinterpretation seines Werks von der Histoire de la folie bis zur Histoire de la sexualité unter dem Aspekt der Problematisierung im Rahmen von spezifischen Praktiken an, die es mir statthaft erscheinen läßt, auch die Analysen des ersten Bands der Histoire de la sexualité in diesen Begriffen zu fassen. Die im Untertitel der vorliegenden Studie gewählte Formulierung vom "Einsatz von Wissen" will auf eben diesen doppelten Fokus auf der Spezifität des Wissens und der Spezifität der Praktiken, an die es gekoppelt ist, verweisen. Die methodischen Folgerungen, die damit für die gegenwärtige Studie verbunden sind, werden im folgenden Kapitel detailliert diskutiert.

Das Anknüpfen an Foucault braucht dabei nicht als Inanspruchnahme der Autorität Foucaults für den gewählten Analyseansatz verstanden zu werden. Die Entwicklung von Foucaults Denken nach 1977 muß aus Kurztexten, die eher den Charakter von Entwürfen tragen (etwa "The Subject and Power" oder "What is Enlightenment?"), aus Vorlesungsmitschnitten (etwa "La gouvernementalité" oder "Das Wahrsprechen des anderen") oder aus Interviews (etwa "The Ethic of Care for the Self as a Practice of Freedom") zusammengetragen werden.4 Die einzigen von Foucault selbst veröffentlichten Monographien dieser Zeit betreffen die Antike; auch die "Introduction" zu L'Usage des plaisirs muß zu den Dokumenten eines im Fortgang begriffenen Denkens gerechnet werden. Ich habe mich für ein Verständnis von Foucaults großen Untersuchungen zur Macht aus dem Geiste seiner späten Studien entschieden, weil es mir als das für den vorliegenden Zusammenhang produktivste und zugleich als das für ein Fortdenken Foucaults fruchtbarste erschien. Wo man der Ansicht ist, ich wiche dabei von Foucaults Positionen ab, möge man davon ausgehen, daß ich das von mir gewählte Modell aufrechterhalte, auch wenn man mit guten Gründen zu anderen Auffassungen von Foucaults Werk und Person gelangen kann. Es geht hier nicht in erster Linie um Foucaultexegese. Die folgenden Analysen haben ihre Probe nicht in einer Rückbindbarkeit an einen fernen Autor Foucault, als dessen ausführendes Organ ich mich verstünde, sondern wollen lediglich daran gemessen werden, ob sie auf den in Kapitel 1 explizit benannten Voraussetzungen aufbauen und ob sie neue Zugriffe auf die untersuchten Texte erlauben.

* * *

Auch für Foucaults Arbeiten selbst, ebenso wie für die vorliegende Dissertation, gilt die Eingebundenheit in foyers locaux de pouvoir-savoir. Es handelt sich um je spezifisches Wissen, das in bestimmten Beziehungen zwischen handelnden Personen seinen Platz hat. Foucault ist nun zum Bezugspunkt für eine Vielzahl von Bestrebungen geworden, die über das lokale Zentrum von Macht-Wissen, in dem seine Arbeiten entstanden sind, weit hinausreichen. Zu diesen Bezugnahmen gehört neben unzähligen anderen auch die vorliegende Arbeit. Insofern die diskursiven Elemente aber taktisch polyvalent sind, ist mit einer Bezugnahme auf Foucaults Texte nicht notwendigerweise eine Übernahme der strategischen Ziele verbunden, die er selbst damit verbunden haben mag. Und insofern jede Intervention (nach dem erwähnten Prinzip der 'kontinuierlichen Variationen') unweigerlich einen Ausgangskontext modifiziert, ist eine solche Identität der Ziele sogar geradezu unmöglich.

Die vorliegende Arbeit siedelt sich nun, anders als die Arbeiten Foucaults, im Bereich der Literaturwissenschaft an. Sie unterscheidet sich damit sowohl hinsichtlich ihrer Zielsetzung als auch hinsichtlich ihrer Eingebundenheit in eine Praxis von den Arbeiten Foucaults. Der hier unternommene Versuch einer Neuperspektivierung des Problembereichs von Empfindsamkeit und geschlechtlicher Leidenschaft bekennt sich im größeren Rahmen zu einem Verständnis der Literaturwissenschaft, wie es Ulrich Broich jüngst umrissen hat5. Er ist getragen von der Überzeugung, daß die Anglistik zu ihrem eigenen Schaden entweder ihre Tradition und Herkunft oder aber die neuen Fragestellungen, die kontinuierlich hinzutreten, ignorieren würde. Er sieht es als seine Aufgabe an, beide in einen konstruktiven Dialog zu bringen und mit einer neuen Perspektive zu einem neuen Verständnis der vertrauten Position zu gelangen.

Als Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist der vorliegende Text in ganz spezifischer Weise situiert, ist sein Entstehen und sein Erscheinen nur unter besonderen Voraussetzungen möglich geworden. Die Danksagungen, die man nach akademischem Brauch einer solchen Arbeit voranstellt, sind gewiß als Dokumente gerade dieser spezifischen Eingebundenheit anzusehen. Denn ohne das Zusammenwirken vieler Faktoren und ohne vielfältigen Beistand kommen solche Projekte ja in der Regel nicht zustande.

An erster Stelle gilt mein Dank hier Herrn Prof. Ulrich Broich, der mich zur Promotion ermutigte und der meine Arbeit von ihren noch ganz anders gearteten Anfängen in einem Oberseminar mit dem Thema "Die Empfindsamkeit in England und Frankreich", das er im Wintersemester 1988/89 zusammen mit Herrn Prof. Rainer Warning veranstaltete, über die Magisterarbeit 1990 bis zu ihrer Fertigstellung im Frühjahr 1994 kritisch und fördernd begleitete. Herrn Prof. Warning danke ich für seine beständige Bereitschaft zum fachlichen Austausch und für die Großzügigkeit, mit der er mir seine eigenen "Hypothesen zur Frühgeschichte der Empfindsamkeit" schon vor ihrer Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Im Dialog mit beiden gewann meine Argumentation an Klarheit und Präzision. Für Impulse bei den Vorarbeiten zu meinem Projekt danke ich Prof. Paul Bové und Prof. Carol Kay an der University of Pittsburgh. Der offene und konstruktive Austausch mit ihnen half mir bei der Erschließung des Werks von Michel Foucault bzw. bei der Aufarbeitung des Materials aus dem 17. und dem frühen 18. Jahrhundert. Unzählige Gespräche mit Olaf Simons, Kirsten Kramer und Eva Klingenstein waren mir Quelle neuer Einsichten, Ansporn und Ermutigung. Viele Namen wären noch anzuführen, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem Projekt stehen; neben Herrn Prof. Hans Walter Gabler möchte ich nur noch die nennen, die mich als meine Lehrer an der Freien Universität Berlin literaturwissenschaftlich auf den Weg gebracht haben: Herrn Prof. Wilhelm Füger, Herrn Prof. Klaus W. Hempfer, Herrn Prof. Andreas Kablitz und besonders Herrn Prof. Alfred Behrmann. Schließlich gilt meine Dankbarkeit Herrn Prof. Dietz-Rüdiger Moser für die langjährige engagierte Betreuung als Vertrauensdozent und der Studienstiftung des deutschen Volkes, namentlich Herrn Dr. Max Brocker, für die unbürokratische und großzügige Förderung dieses Projekts im Rahmen eines Promotionsstipendiums.


  1. Zu diesem zentralen Konzept vgl. unten die letzten Passagen von Kapitel 1.1 sowie Kapitel 1.2.
  2. Simon Durings Foucault and Literature (1992) bietet Ansätze für diese Klärung.
  3. Vgl. Foucault (1975) und (1976).
  4. Vgl. Foucault (1982) und (1984c); (1986) und (1988a); bzw. (1988b).
  5. Vgl. Broich (1995).