Kirchhofer, Strategie und Wahrheit | frameset

Die Wahrheit des Geschlechtlichen: Onania (1710-30)

Wo bislang auf Elemente der Frömmigkeitshandbücher zurückgegriffen wurde, da brachten sie einen Aspekt der Wahrheit ins Spiel. Dabei war das, worüber die Wahrheit gesagt werden sollte, durchaus nicht immer dasselbe. Der Beichtende soll, wenn er sich nach den Wirkungen des Fleisches durchforscht hat, die Wahrheit über sich selbst sagen. Im Pflichtkompendium für Frauen steht dagegen die Wahrheit des (weiblichen) Geschlechts im Mittelpunkt. Mit dem Problem der Wahrheit der geschlechtlichen Leidenschaft verschiebt sich der Fokus der Problematisierung ein weiteres Mal.

Die Sünde der Selbstbefleckung: von der Keuschheit zur Gesundheit

Um 1710 erschien die erste Auflage eines Traktats mit dem Titel Onania: or, the Heinous Sin of Self-Pollution, and all its Frightful Consequences, (in both Sexes,) Consider'd; With Spiritual and Physical Advice to those who have already injur'd themselves by this abominable Practice. Das Werk nahm in den folgenden Jahren von Auflage zu Auflage an Umfang zu und lag 1730 bereits in der fünfzehnten Auflage vor.1 Im gleichen Jahr erscheint (bereits in sechster Auflage) ein Supplement to the Onania, in dem der Verfasser noch mehr Wissenswertes zur Selbstbefleckung und ihren Folgen zusammenstellt und sich gegen eine Reihe von Vorwürfen verteidigt, die gegen sein Werk erhoben wurden. Der ursprüngliche Text besteht im Grundgerüst aus drei Abschnitten, deren erster vom Wesen der Selbstbefleckung handelt und eine Art Forschungsbericht zum Thema enthält, während der zweite Abschnitt den vielfältigen Übeln gewidmet ist, die aus der Masturbation resultieren, und im dritten schließlich den Betroffenen geistliche und medizinische Ratschläge gegeben werden.

Onania, 1730

Die Definition, mit der das Werk seinen Gegenstand benennt, stellt den Aspekt der Sündhaftigkeit, der Störung der göttlichen Weltordnung, in der Vordergrund:

SELF-POLLUTION is that unnatural Practice, by which Persons of either Sex may defile their own Bodies, without the Assistance of others, whilst yielding to filthy Imaginations, they endeavour to imitate and procure to themselves that Sensation which God has order'd to attend the carnal Commerce of the two Sexes, for the Continuance of our Species. (Onania 1)

Drei Ursachen führen den einzelnen zum Begehen dieser Sünde. Zum ersten ist dies Unwissenheit: Unkenntnis der Schwere der Verfehlung und ihrer Folgen. Sodann entzieht die Heimlichkeit der Onanie sie der sozialen Kontrolle und macht sie zum idealen Laster der Schüchternen, die von ihrer Schüchternheit gerade vor den öffentlicheren Lastern bewahrt werden. Schließlich lädt die Straffreiheit der Aktivität ein: Kein Gesetz verbietet sie, keine finanziellen oder sozialen Einbußen sind hinzunehmen, und genausowenig besteht die Gefahr der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten.2 Daraus ergibt sich einerseits für Erzieher die Aufgabe der strengen Überwachung und Bestrafung des Delikts, andererseits der Bedarf nach offener und akkurater Information über die wahre Schädlichkeit und Strafwürdigkeit der Onanie.

Unter den Folgeschäden der Onanie finden sich, angefangen bei den leichtesten: vermindertes Wachstum, dazu bei Männern Phimose, allerlei Beschwerden und Beeinträchtigungen der Geschlechtsorgane ("especially Gonorrhea's", Onania 13), Epilepsie, Schwindsucht, Impotenz, bei Frauen Unterleibsbeschwerden, Blässe, hysterische Anfälle, Schwindsucht, Unfrucht-barkeit, dazu möglicherweise Verlust des physischen Zeichens der Jungfräulich-keit.3 Schlimmer noch als diese ist die Beleidigung Gottes durch die Entweihung seines Tempels, des Körpers und die Umgehung seines Gebots der Fruchtbarkeit. Dazu kommt die nun gewohnheitsmäßige Dominanz der Sinnlichkeit über das gesamte Innenleben, die jede fromme Regung im Keim ersticken wird, so daß auf die eine oder andere Weise ewige Verdammnis den Onanisten ereilen muß.4

Die Ratschläge für besserungswillige Onanisten beginnen mit der aus dem Frömmigkeitshandbuch vertrauten Abfolge von Einsicht in die Verfehlung, Reue, Eingeständnis, und Entschluß zur völligen Unterlassung der Sünde. Der Verfasser trägt dies zunächst selbst vor5 und fügt zur Bestätigung ausführliche Auszüge aus Briefen nicht namentlich genannter Theologen6 an, die mit gewissen Variationen die Ausführungen des Verfassers belegen. Dem Entschluß, sich der Selbstbefleckung zu enthalten, korrespondiert die Notwendigkeit, die vergangene Verfehlung mit Reue permanent im Bewußtsein zu halten:

The Repentance of those who are polluted by this Sin, or any other sort of Uncleanness, should remain with them to their Lives end. These are not Sins which a Man can forget, and the Memory of them ought to be always fresh, that the Penitent may truly say with David, My Sins are ever before me. (Onania 41)

Mittels der unaufhörlichen Reue wird die einmal begangene Selbstbefleckung als ein permanenter Teil der Identität des Individuums installiert.

Die Keuschheitshandlungen, d.h. die Anweisungen für Maßnahmen, die die Enthaltsamkeit gewährleisten sollen, beschränken sich nicht auf die aus der Whole Duty of Man bekannten, sondern gewinnen eine neue Spezifität. Sie erstrecken sich etwa auf die Benutzung des Betts:

The Bed is too great a Friend to this Sin, therefore let me advise you, to make no further use of it than for Sleeping; for whilst you lie awake, at your ease, your Flesh will be egging you on to this sinful Pleasure, therefore employ yourself with some good Book, till you find Sleep a coming, and in the Morning, quit your Bed as soon as you awake. I know it is more healthful to the Body to continue in Bed sometime after Sleep, that the Vapours may have time to scatter, and the natural Spirits recover their Strength and Activity; but for you, who are prone to this Lust, it is better to deny your Body that Conveniency, than suffer your Soul to be punish'd through Sensuality. Sleep also upon one Side, and not on your Back, for that heats the Reins, and causes Irritations to Lust. (Onania 56)

Gegen unwillkürliche Samenergüsse im Schlaf wird ein besonderes Mittel vorgeschlagen:

[...] if after all your most exact Compliance with the Injunctions here enforc'd, involuntary Pollutions, in your Sleep, should still infest you, I would advise you, whenever you are apprehensive, or in fear of them, to do what Forestus, a noted Physician in his time, lays down as certain when every thing else has fail'd, which is, to tie a string, when you go to Bed, about your Neck, and the other end of it about the Neck of your Penis, which when an Erection happens, will timely awake you, and put an effectual stop to the seminal Emission. (Onania 57)

In beiden Fällen handelt es sich um Spezifizierungen und Intensivierungen der Keuschheitshandlungen, die schon das Frömmigkeitshandbuch empfiehlt. Sie weisen also auch die beiden Charakteristika dieser Handlungen auf: Erstens ist es nicht die reine Negativität, die den Individuen hier auferlegt wird. Es sind vielmehr Handlungen durchzuführen. Zweitens sind dies näherhin Handlungen mit Referenz auf das Geschlechtliche.

Dazu gibt es einige diätetische Empfehlungen, die die allgemeine Tendenz zur Begehrlichkeit senken sollen.7 Zur Abhilfe gegen die umfassenden körperlichen Übel, die die Onanie über den Onanisten bringt, sind bei dem Buchhändler, der die Onania vertreibt, zum Preise von je einer halben Guinea eine "Strength'ning Tincture" und ein "Prolifick Powder" zu erwerben, deren Zubereitung auch im Text selbst beschrieben wird.8 Die Anleitung zu einer vollen Kur gibt der Verfasser in Antwort auf eine briefliche Anfrage:

[...] [I advise] you in the first Place totally to abandon that vile Practice. Secondly, to read the many useful Exhortations the Onania will furnish you with, in order to enable you thereto. And, Thirdly, For the Recovery of your Health and Strength, to keep strictly to the Medicines, beginning first, with the Strength'ning Tincture, and Viols for the Restoring Drink; and after you have gone on with them for about two or three Weeks, then to use the Injection, and at the same time to take the Prolifick Powder; and at last, to fortify the Parts, if there should be any oc[casi]on, thro' the remaining Imbecility of them, the Cordial-Draught, using, during the taking it, the Balsam, in the Onania both prescrib'd, and following, as exactly as you can, in every particular, the Rules prescrib'd in taking and using them, which will soon shew you, when you may safely leave them off. (Onania 151)

Die Kontinuität, in der diese Anweisungen zu denen des Frömmigkeitshandbuchs stehen, ist ebenso wert, festgehalten zu werden, wie das spezifisch Neue, das die Onania ins Spiel bringt. Neu ist der strategische Kontext, in dem die Praktiken des Frömmigkeitshandbuchs jetzt im Konzert mit medizinischen Rezepten wirken. In der Onania findet ein bedeutsamer Kontextwechsel der Keuschheitsthematik statt. Das bislang geltende Ziel der Rettung der Seele ist dabei, sich dem Ziel der Erhaltung der körperlichen Gesundheit und der Zeugungsfähigkeit unterzuordnen. Die Keuschheit tritt als Präventivhaltung in den Dienst der Gesundheit und Fortpflanzungsfähigkeit, deren Beeinträchtigung (durch bestimmte Formen der Unkeuschheit) die ärztliche Intervention beheben soll.

Auf diese Weise schließt sich die sexualmedizinische Bestrebung der Onania an eine ganze christliche Tradition des Umgangs mit dem Fleisch und des Wissens über seine Operationsweise an. Der Verfasser kann sich immer wieder auf "Books of Devotion and Practical Divinity" als des Kontexts seiner Einlassungen zurückbeziehen:

I shall not here meddle with the Causes of Uncleanness in general, such as Ill Books, bad Companions, Love Stories, Lascivious Discourses, and other Provocatives to Lust and Wantonness; as these are sufficiently treated of in most Books of Devotion and Practical Divinity, so I refer the Reader to them, and design only to speak of those peculiar Causes, which belong to this Sin, and hardly any other. (Onania 8)

Der Verfasser kann zugleich für sich einen ganz besonderen Platz in Anspruch nehmen, denn dieser speziellen Sünde, so kann ein kleiner Forschungsüberblick demonstrieren, hat sich noch kein Autor in ihrer Spezifität angenommen:

[...] Ostervald, in his useful Treatise on Uncleanness in all its Branches, has, through an excess of Modesty, pass'd over this abominable Sort of Impurity in Silence, or at least spoke of it in such general Terms, blending it with lesser Trespasses of Uncleanness, that he has fail'd of representing the Heinousness that is in it. (Onania 3)

Dabei übertreffe die Selbstbefleckung andere Formen der uncleanness noch an Schwere der Sünde9:

Let any Man examine all the Places of the New Testament, where mention is made of Vices and Sins, and he will find, there is not any one other Crime so many times named as Uncleanness; and how can a Person be more superlatively unclean, than when he is guilty of Self-Pollution? (Onania 7)

Somit hebt sich die Onania vom Frömmigkeitshandbuch in zwei entscheidenden Weisen ab: Erstens hat das Werk eine neue Lücke entdeckt, in der sich ein ganzes Arsenal von Interventionen ansiedeln läßt, die im Frömmigkeitshandbuch noch nicht in dieser Spezifität vorgesehen sind. Zweitens aber gibt das Werk die Globalorientierung des Frömmigkeitshandbuchs (Vermittlung des Wissens über alle Pflichten, die zur Rettung der Seele zu erfüllen sind) auf und engt ihren Gegenstand auf eine ganz bestimmte und besonders schwerwiegende Form der uncleanness ein. Statt zur Erreichung des ewigen Lebens ist die Keuschheit jetzt zusammen mit medizinischen Maßnahmen zur Erhaltung der körperlichen Gesundheit notwendig.

Bekenntnisrelationen und die Anfänge der Sexualwissenschaft

Das bedeutsamste Element, das sich vom Frömmigkeitshandbuch in die Onania hinein fortsetzt, ist das des ausführlichen und wahrhaftigen Bekenntnisses der begangenen Verfehlungen. Das Werk ist — vom Vorwort bis zum Ende des Supplements — gespickt mit anonymen oder pseudonymen Briefen, in denen Leser ihre vergangene Lasterhaftigkeit bekennen und um medizinische Ratschläge zur Linderung körperlicher Beschwerden bitten.

Einige Beispiele mögen das zugrundeliegende Muster illustrieren:

SIR,

I am one of those unhappy young Men, who have abused themselves by Self-Pollution. To be brief with you, my Case is thus. About my 16th Year it was, I first defil'd my self without any Person shewing me, and have followed it successively till about three Weeks ago, being now something above Twenty. I should not have left it off, had it not been by Accident. About the time mention'd, I happen'd to be at a Public House, and the London Journal being on the Table, I chanc'd to read the Advertisement of your ONANIA, 6th Edition, and being ignorant of the right meaning, I asked a Friend what it meant, who explained it to me, which so terrified me that I vow'd I never wou'd do the like any more; and could not till I had bought your excellent book, and in the Reading it over I found several Passages which touches [sic] my Condition, which is, I often have a Pain a-cross the small of my Back, my Brain is as tho' stupefied, and I have not a clear Thought, my Memory is extraordinary bad, which it was not used to be; and it often hath produced such Seminal Emissions in the Night, but not excessive, a weakness in the Penis, and loss of Erection, and the Sq[u]irt which drives out the Water is not near so strong as used to be; I am troubled both in Body and in Mind, and do desire a little of your Advice. If you will be pleas'd to let me have any Thing, I will desire this Bearer to call on the Bookseller on Wednesday next, and you shall have the hearty Prayers of the dejected ONAN. (Onania 35 f.)

Ein anderer Unglücklicher schreibt in ähnlicher Weise:

Most worthy SIR,

I AM one amongst that unhappy Number, who have been guilty of that most abominable Sin of Self-Pollution, to the Detriment both of my Body and Soul: It's now about four Years ago, since I first saw your excellent Book, the reading of which put me into a very great Concern, to think that I should be guilty of a Sin so long, which had brought me into so deplorable a Condition; tho' my Case was so bad, I was resolv'd not to make any one acquainted therewith; but by fasting, and other Methods recommended in your Book to abstain from that vile Practice. But alas! in a little Time I was troubled with Nocturnal Pollutions, heat of Urine, was very Costive in my Body; in this most sad miserable Condition I went on, 'till such time I was oblig'd to make my Case known to a Surgeon, who upon sight of my Members, told me that I had got the Foul Disease from some naughty Woman; but I can appeal to Almighty God for my Innocency, who knows the Secrets of all Actions, that I am an utter Stranger to the Carnal Knowledge of any Woman. I took several Things by his Directions, and have since taken several Bottles of your Strengthening Tincture, which I have found some Benefit from; but as I still labour under very great Disorders, you knowing the Particulars of my Case, fills me with hope you can prescribe that which may recover me. (Onania 164 f.)

Nun folgt noch eine Beschreibung der Symptome, für die schon selbst versuchsweise Diagnosen gegeben werden. Die Bezahlung der brieflichen ärztlichen Bemühungen wird zugesichert, und es werden Arrangements für die Abholung der verschriebenen Mittel beim Buchhändler unter Wahrung der größten Diskretion und Anonymität getroffen. Der Verfasser verschreibt seine Standard-Arznei, und der sich verbessernde Gesundheitszustand wird nun in zwei weiteren Briefen berichtet. Im Anschluß an den zweiten vermerkt der Verfasser: "Upon this Letter, I sent him what he wrote for, by which he was completely restored" (Onania 168).

Frauen sind gleichermaßen von diesem Laster geplagt. Den folgenden Brief nimmt der Verfasser als Warnung für alle Frauen in sein Buch auf:

December 18. 1721

SIR

Since it will be impossible for you ever to know from whom this comes, I can with Freedom relate my Case to you, which otherways I could not have Confidence enough so much as to mention one tittle of it to any Physician living. My sad Case is, that when I was a young girl between 15 and 16 Years of Age, at the Boarding-School, being entic'd and shew'd the way by 3 of my School-Fellows, older than my self, which lay in my Chamber with me, two Beds being in the Room, I did as they did, which you can guess at and your Book tells, and I thought it was pleasing enough; I followed it afterwards upon all Opportunities by my self, and so that by that Practice, and the lascivious Talk we had amongst us, and Play Books and other Books we us'd to read one to another, I was to that degree prompted thereby, that I was resolv'd to Marry the first Man that ask'd me the Question [...] (Onania 152)

Sie heiratet mit siebzehn, doch sowohl ihre drei Kinder als auch ihr Ehemann sterben bald nacheinander, und sie lebt zwei Jahre als Witwe, bevor sie wieder heiratet:

[...] having no suitable offers of Marrying, and being more inclin'd to the Delights of the Marriage-Bed than ever, with such vehement Desires, more especially just before and after the Course of Nature, I cou'd not forbear returning to my former wicked Practice, and that so often, and with so much Excess that I could hardly sometimes walk, or sit with ease, I was so sore [...] (Onania 153)

So hat sie bald allerlei Beschwerden, gegen die ihre Hebamme und ein Arzt machtlos sind. Ihre Hebamme, die den 'wahren Grund' des Problems vermutet, gibt ihr schließlich die Onania zu lesen, und nun weiß sie, an wen sie sich wenden muß und wie sie wirkungsvollen ärztlichen Beistand erlangen kann: "[...] as I can't expect your Advice for nothing, the Person that brings this, which is my Midwife, will leave your Fee, a Guinea, with the Bookseller for you, and will call for your Answer in a Day or two [...]" (Onania 154). Auf diese Weise kommt sie zur rechten Arznei für ihre Beschwerden, und der Verfasser kann hinzufügen: "This Lady is since become perfectly well and brought to a due natural State of Health, Strength, and Vigour." (Onania 155)

Das Schema, nach dem diese Bekenntnisse ablaufen, weist etwa die folgenden Elemente auf: 1. Geständnis der früheren oder noch bestehenden Praxis der Onanie, 2. Schilderung körperlicher Beschwerden, zu denen möglicherweise schon Gewissensbisse kommen, 3. Lesen der Onania und zweifelsfreie Einsicht in die eigene Verfehlung und die Ursache der Gebrechen, 4. Schreiben an den Verfasser, in dem die vorausgegangenen Schritte geschildert werden und unter Entrichtung des Entgelts um medizinischen Rat gebeten wird.

Die Briefe scheinen also in ähnlicher Weise einem Muster zu folgen wie die Bekenntnisse, zu denen das Frömmigkeitshandbuch Vorlagen bot. Doch sind auch die Unterschiede nicht zu vernachlässigen: Das Ziel der Korrespondenten liegt nicht in der Rettung ihrer Seele; zu diesem Zweck ist ihnen weiterhin die stille Beichte als Teil eines Reue- und Besserungsprozesses aufgegeben. Dieses Bekenntnis ist Teil einer ärztlichen Konsultation. Die Onanie soll als krankheitsauslösende Ursache etabliert werden, und der Schreiber hofft auf medizinische Maßnahmen, die seine Gesundheit wiederherstellen sollen.

Daß der Verfasser der Onania nun aber briefliche Anfragen erhält und diese beantwortet, erklärt noch nicht, warum er sich entscheidet, dem Abdruck dieser Korrespondenz in seinem Werk so bedeutenden Raum zu geben. Zur Rechtfertigung seines Vorgehens führt er das Argument der größeren Wirkungsbreite der Lehren an, das schon in der einführenden Bemerkung zu dem zuletzt zitierten Brief der unbekannten Dame anklang:

From Fourteen Editions, and the Variety of Readers they have made me acquainted with, I have learn'd what I could not have believ'd, without that Experience, and I have known half a Sentence of a silly Letter, rouze the Conscience of a young Man, whom the grave Reasoning and the solid Arguments of the same Book, had made no Impression upon. (Onania, Supplement, 6)

Sodann sind die Briefe Beleg für die Nützlichkeit des Buches und die Virulenz seines Anliegens: "undeniable Proofs I have of the Converts the Book has made, and the Good it has wrought on many" (Onania, Supplement, 6).

Daß es solcher fortgesetzten Rechtfertigung bedarf, ist insgesamt ein Charakteristikum des Werks. Denn das Unternehmen des Verfassers ist vielfachen Angriffen ausgesetzt und muß gegen eine Vielzahl von Einwänden verteidigt werden. Gegen alle Angriffe bieten die Bekenntnisse der ratsuchenden Leser Argumentationsmaterial.

In der Vorrede zum Supplement faßt der Verfasser die Vorwürfe gegen ihn selbst zusammen.10 Sind die medizinischen Annahmen, auf denen das Buch und seine Behauptung der immensen Schädlichkeit der Onanie basieren, überhaupt korrekt? Durch viele Zuschriften wird die Diagnose des Verfassers untermauert, daß Onanie und körperliche Beschwerden in einem ursächlichen Zusammenhang stehen.

Ist das Buch nicht kontraproduktiv? Trägt es nicht gerade zur Verbreitung des Lasters bei, dessen Unterbindung es sich zum Ziel gesetzt hat, und wäre nicht das gänzliche Schweigen ein geeigneteres Mittel, um dieses Ziel zu erreichen? Die Zuschriften belegen die ungeheuere Verbreitung des Lasters. Keiner der Korrespondenten hörte durch die Onania zum ersten Mal davon. Dagegen werden Erfolge bei der Unterbindung des Lasters durch die eindringlichen Argumente der Onania gemeldet.

Hat der Verfasser die Vertraulichkeit der ärztlichen Konsultation verletzt, als er die Fallgeschichten einiger seiner Patienten veröffentlichte? Er unternimmt immer alles, um die Anonymität der Korrespondenten zu sichern, und viele erwähnen in ihren Briefen ausdrücklich ihr Einverständnis mit einer Veröffentlichung.

Hat er es an dem Respekt, den ein Gentleman dem weiblichen Geschlecht schuldet, fehlen lassen, wenn er auch Damen der Selbstbefleckung bezichtigt? In ihren Zuschriften bekennen sie es selbst! Gegen alle Anwürfe bestätigen die Bekenntnisse der Leser die Position des Verfassers.

Manche seiner Gegner versuchen gerade, in der Form des Bekenntnisses und der Konsultation Fälle zu unterbreiten, die den Behauptungen des Verfassers zuwiderlaufen. Ein Korrespondent, der seinen ausführlichen Brief mit dem Pseudonym Nathaniel Paedagogus unterzeichnet, faßte nach der Lektüre der Onania den Entschluß, sich künftig zu enthalten, doch, fährt er fort, "alas! How faint are our Promises? And how short liv'd are our best Resolutions?" (Onania 131) Er kehrt zu seinen alten Gewohnheiten zurück, ohne daß sich ein Schaden fühlbar macht, formuliert seine Zweifel und Einwände gegen die Ausführungen des Verfassers und berichtet über seine Versuche, die Ratschläge der Onania zu befolgen:

The Company of the Ladies I willingly shun, especially that which is brisk and airy, finding from thence my Passions are so warm'd, that I almost think it a Happiness when I am out of their Company, that I can in some Measure abate the Fire, which they had kindled; and a few Hours after, the Impressions of their Company still remaining on my Mind, I am almost as strongly tempted to a Repetition of the Fact as before, and what is most Melancholly of all, it is very hard to keep one's Mind free from sinful, or at least from vain and foolish Imaginations at such a Time [...] And tho' you tell us in Pag. 6. that this foolish Practice hinders Marriage, and puts a full stop to Procreation; yet I do affirm it for a real Truth, that my Desires after Matrimony are stronger than ever I perceiv'd them in my whole Life [...] (Onania 138)

Das Bekenntnis dieses Korrespondenten bringt den gleichen Wahrheits- und Authentizitätsanspruch, den der Verfasser meist zu seiner Stützung einsetzt, gegen die Darlegungen der Onania zum Tragen.

Ein anderer Korrespondent, der sich Philalethes nennt, berichtet, er habe unter dem Einfluß der Onania das Masturbieren eingestellt und leide nun nach dreimonatiger Abstinenz an allerhand schweren und unerklärlichen Symptomen. Seine Nachforschungen hätten ergeben, daß Aristoteles, Dun Scotus und Lord Bacon das Unterbleiben regelmäßiger Samenausscheidung als Ursache schwerer Gesundheitsstörungen annähmen. Nun ist Philalethes in einem Dilemma:

Being lately married to a Virgin, not quite 13 Years old (my self 25) and her Father absolutely refuses to let us Cohabit 'till his Daughter shall be full 15 Years of Age [...] Must I incurr [sic] the Diseases threaten'd from a long and hurtful retention of Seed? Or may I under such Circumstances as these, seek relief from Nature's Handmaid, which I take for granted to be a Sin inferior to Fornication? (Onania 101)

Daß das Nachteilige von längerer Abstinenz so gelehrt nachgewiesen wird und dann ein persönlicher Fall gesetzt wird, in dem der naheliegende Ausweg einer Heirat11 verbaut ist, macht den Verfasser der Onania mißtrauisch, und er antwortet:

It is possible you may labour under the Circumstances you speak of [...] But it is also not impossible, that yours is a feigned Case, contrived to try me. [...] You imagine that by your Letter, you have reduced me to these straights, that I must either bid you incur the Diseases threatned from a long and hurtful Retention of Seed, or else give it under my Hand, that on some Emergencies, a Man may have leave to commit what throughout the Book, I have call'd a heinous and abominable Sin in the sight of GOD. (Onania 102)

Doch zu keinem von beidem läßt sich der Verfasser verleiten; vielmehr weist er auf die fortgesetzte Gültigkeit seiner diätetischen Empfehlungen hin.12

Der Brief von Philalethes wird nun erstmals in der sechsten Auflage der Onania abgedruckt. Die Antwort ("As Promis'd in the Sixth Edition", Onania 102) folgt aber erst in der siebten Auflage. Die Praxis, Briefe mit speziellen Problemstellungen anzufügen und sie entweder gleich zu beantworten oder aber für die folgende Auflage diese Antwort in Aussicht zu stellen, setzt mit der vierten Auflage13 ein. Noch am Ende des Werks heißt es:

There being a spare Page in this last Sheet, and the following Letter happening to come before it was wrought off, I take the opportunity of filling it up with it, and let the Writer of it know, that though what he would be inform'd of, is in general clear'd up in several Places of this Book, yet in the next Edition, to leave him without excuse, he may expect to find a particular Answer to it. (Onania 191)

Indem das Werk eine derartige Dynamik entwickelt, ändert sich sein Charakter in entscheidender Weise. Nicht nur ist das eingangs skizzierte Grundgerüst des Werks in der Ausgabe von 1730 nur noch mit Mühe hinter der Menge an Leserzuschriften und Stellungnahmen des Verfassers zu besonderen Problemen oder Einwänden auszumachen, die in jeder Neuauflage dazugekommen sind. Vor allem der Wirkungswille, der sich zu Anfang ganz im Anschluß an das Frömmigkeitshandbuch auf die Ersetzung der Masturbation durch Keuschheitshandlungen richtete, verändert seine Richtung. Je mehr Auflagen das Werk erlebt, desto mehr stellt sich die möglichst eingehende, detaillierte und facettenreiche Erkenntnis dieser und aller ihr verwandten geschlechtlichen Aktivitäten als Ziel. Die Zusammenstellung von sexualwissenschaftlichem Wissen ist, wie eine Notiz am Ende der Onania beweist, dann schon das Prinzip, das dem Supplement zugrundegelegt wurde:

In the three or four last Editions of this Book, the Author gave Notice, that if any Thing should occur to his Knowledge, or be communicated by Letter, relating to the abominable Practice of Self-Pollution, or other Uncleanness, in either of the two Sexes, worth Remarking, and not already observ'd, and should come directed to the Author of the ONANIA, enclos'd to the Bookseller, they should be Printed by way of Supplement [...]

The Author now acquaints his Readers, that he having receiv'd, since the above Notice, several remarkable Letters, from Persons of both Sexes, concerning Self-Pollution, and other secret sinful Gratifications of the Flesh, committed both in a Married and Single State; with some particular Histories of such Cases and their Cures; the said Supplement, and the above-mention'd Observations of Sckmiederus, concerning the return of the Semen into the Mass of Blood, and several other curious Matters, has been Printed [...] (Onania 193)

Während der Whole Duty of Man ein Ergänzungsband mit praktischen Frömmigkeitsübungen folgt, lädt die Onania ihre Leser ein, alles Wissenswerte zu dieser "abominable Practice" einzusenden und anschließend die gesamte Sammlung zu erwerben. Aus dem geistlichen Beistand hat sich im Zuge von Kontroversen über die Wahrheit der geschlechtlichen Leidenschaft das Streben nach sexualwissenschaftlicher Erkenntnis entwickelt.

Mit vertrauten Elementen, aber in neuer Perspektive kommt ein bislang unbeachteter Verhaltensbereich in den Blick. Wie in der Ladies Library zeigt sich an der Onania, wie ihre konkreten Wirkungen in dem neuen Kontext die Aufnahme von Elementen der Frömmigkeitshandbücher überhaupt wünschenswert erscheinen lassen. Die Leser erhalten mit der Onania zuvorderst ein Subjektivierungsmuster: ein Analyseraster, das es ihnen erlaubt, Ereignisse ihres vergangenen Lebens als schlüssige Vorgeschichte gegenwärtiger Probleme zu verstehen — und sie bei Einsendung an den Buchhändler, der die Onania vertreibt, gar unter Wahrung ihrer Anonymität in einer folgenden Auflage des Werks gedruckt zu sehen. Sie dürfen auf die Transformation eines häufig unangenehmen gegenwärtigen Zustands durch die schwierige Enthaltung von dem gewohnten stillen Genuß, durch Änderung ihrer diätetischen Gewohnheiten, schließlich auch durch die Anwendung des Prolifick Powder, der Strengthening Tincture und so fort hoffen. Andere können sich aufgrund von konkurrierendem Wissen der Intervention der Onania widersetzen. Der Brennpunkt der Problematisierung hat sich dabei leicht, aber bedeutsam verschoben. Es geht nicht mehr in erster Linie um die Erhaltung der eigenen Keuschheit mit dem Ziel der Rettung der eigenen Seele, obwohl dieser Ausgangskontext noch beständig mit aufgerufen wird. Im Zentrum steht das Bestreben, die Gesundheit des Körpers und seine Zeugungs- bzw. Empfängnisfähigkeit wiederherzustellen und zu erhalten. Bekenntnis und Keuschheitshandlungen verwandeln sich in detaillierte Syptombeschreibungen und Maßnahmen zur Heilung und Gesunderhaltung; sie bleiben auch so die prinzipiellen Formen der Problematisierung des Geschlechtlichen unter dem Aspekt der Wahrheit. In der über den Buchhändler vermittelten Interaktion der Verfassers mit seinen Lesern wie seinen Gegnern, die sich zunehmend aus einer (moral-)theologischen Perspektive löst und auf die physiologischen Aspekte der Onanie konzentriert, kurz: im Rahmen von Machtbeziehungen entsteht das Geschlechtliche als Bereich wissenschaftlicher Erkenntnis.

Die Text-Leser-Beziehung: die Keuschheit und das Implizite

Einer der oben erwähnten Vorwürfe gegen den Verfasser wurde bislang noch nicht näher betrachtet. Er ließ sich auch nicht durch Bekenntnisse der Leser widerlegen, sondern rührt aus einer Problemstellung, die der Verfasser von Anfang an explizit thematisiert. Ist das Bemühen um die Verbreitung der Keuschheit nicht selbst in Gefahr, den Charakter seines Gegenteils anzunehmen? Wie kann das Sprechen über das Geschlechtliche der Obszönität entgehen?

Direkt im Anschluß an die Definition seines Interventionsbereichs benennt der Verfasser sein Dilemma: "It is almost impossible to treat this Subject so as to be understood by the meanest Capacities, without trespassing at the same time against the Rules of Decency, and making use of Words and Expressions which Modesty forbids us to utter" (Onania 1). Die Kommunikationssituation steht im Zeichen eines charakteristischen Zwiespalts zwischen dem Bestreben, jede direkt lustvolle geschlechtliche Bedeutung zu vermeiden, und der Notwendigkeit, bei der Aussage der Wahrheit des Geschlechtlichen dieses zu benennen. Beide Aspekte: daß einerseits gesprochen werden muß, andererseits die Keuschheit dieses Aktes permanent vom Umschlagen ins Obszöne bedroht ist, sind konstitutiv für das Sprechen über das Geschlechtliche im Zeichen der Wahrheit.

Das Dilemma ist nicht neu. Es bestand schon, wo in den Frömmigkeitshandbüchern von der Keuschheit die Rede war. Der Verfasser kann somit wieder an diese Tradition anknüpfen und tut dies mit einem wörtlichen Zitat14:

[...] that every Body, who would write profitably against any sort of Uncleanness whatsoever, and not do more Harm than Good by his Endeavours, ought to be very careful and circumspect as to this Particular, we may learn from Bishop Taylor, in his Rules and Exercises of Holy Living, &c. 'Tis too plain, says that Learned Prelate, that there are some Spirits so Atheistical, and some so wholly possess'd with a Spirit of Uncleanness, that they turn the most prudent and chaste Discourses into Dirt and filthy Apprehensions; like Cholerick Stomachs, changing their very Cordials and Medicines into Bitterness, and, in a literal Sense, turning the Grace of God into Wantonness. They study Cases of Conscience (as he proceeds) in the Case of carnal Sins, not to avoid, but to learn Ways how to offend God, and to pollute their own Spirits, and search their Houses with a Sun Beam, that they may be instructed in all the Corners of Nastiness. (Onania 2)

Wenn man aber Gefahr läuft, die Schamgrenze der Tugendhaften zu überschreiten und den Unmoralischen noch Material für ihre schlimmen Lüste zu liefern, wäre man dann nicht besser beraten, wenn man die gesamte Problematik auf sich beruhen ließe? Dieser Schlußfolgerung tritt der Verfasser entgegen. So löblich die Scham ja auch sei, so wenig sei sie allein eine Garantie für das Gute:

It is the general Opinion, that the Shameless are the worst of People; yet Shame, when ill plac'd, has often wrought worse Effects than the Reverse alone has ever been able to produce. When a Bastard Infant is found dead, and the Mother, lately deliver'd without Witness, is not able to prove either that she has made Provision for it, or during her Pregnancy, imparted the Secret to another besides the Father, our English Law, without any other Evidence, presumes the Woman to have Murther'd the Child. From whence it is evident the Legislators must have suppos'd, that some Women may have cruelty enough to commit the utmost unnatural Murder of all, and at the same time want Courage to bear Shame [...] (Onania 10)

Dieses drastische Beispiel dient als Beleg dafür, daß die Wahrung von Schamgrenzen allein keine Priorität beanspruchen kann. Trotz der Gefahren, mit denen das Sprechen über das Geschlechtliche verbunden ist, darf es nicht unterlassen werden.

Es muß gesprochen werden. Der Sprecher hat dann die Verantwortung, sich unter größtmöglicher Wahrung des Anstands und der Keuschheit seiner Leser der Aufgabe der Wissensvermittlung zu entledigen:

[...] the Matter I treat of [...] differs much from other Points of Morality; for in handling other Topicks, a Man may safely say whatever he thinks any way advantageous to his Design; and has nothing to hinder him from rallying together whatever he apprehends necessary, and proposing his Arguments in their utmost Extent and Force, making them as plain as possible, and answering all Difficulties imaginable. But in arguing against Uncleanness, especially this sort of it, which of all, as it is the most loathsome, the same Liberty is not to be taken, but a Man is extremely confin'd, and is oblig'd to express himself with the utmost Circumspection and Caution, for fear of intrenching upon Modesty; which as I promis'd I would not be Guilty of doing, I shall all along with the greatest strictness observe, as knowing I should be oblig'd to name some Things that might betray my Readers into the Remembrance of what it is much better that they should for ever forget, as they would not then be able to set such a watchful Guard upon their Thoughts and Fancies, but that some foul or filthy Desires would in spight creep in; the least Imagination only of which would render them Odious in God's Sight, who seeth the Heart, and Delights in none but those who are pure and upright there [...] (Onania 11)

Der Verfasser muß sprechen, aber er muß nicht nur über die Gefahren sprechen, vor denen er seine Leser bewahren will, sondern auch im Bewußtsein jener Gefahren, denen er seine Leser aussetzt. Auch die Leser müssen sich aber im klaren sein, daß das Lesen der Onania nicht nur Nutzen verspricht, sondern auch Gefahren für ihre Keuschheit birgt.

So muß dem Verantwortungsbewußtsein des Sprechers zunächst eine Disposition des Lesers antworten, die ebenfalls bereits zur Keuschheit entschlossen ist:

[...] as I shall be forc'd to make use of some Expressions in this Chapter, which tho' spoke with a Design the most remote from Obscenity, may, working by the reverse, perhaps furnish the Fancies of silly People with Matter of Impurity; therefore, I say, I beg of the Reader to stop here, and not to proceed any further, unless he has a Desire to be Chaste, or at least be apt to consider whether he ought to have it or no. (Onania 12)

Die unselige Tendenz des "working by the reverse" ist zu erkennen und mit einem Entschluß zur Keuschheit zu beantworten, ohne den der Schaden, den die Lektüre nach sich zieht, ihren Nutzen weit überwiegen wird.15 Grundvoraussetzung ist für alle Kommunikationsteilnehmer eine Konzentration auf die Wahrheit des Geschlechtlichen, die übermittelt wird.

Ein zweites Erfordernis betrifft zunächst die Form der Nachricht. Der Sprecher muß, das klang bereits an, in der Wahl seiner Worte äußerst sparsam und vorsichtig sein. Dies bedingt ein weiteres Merkmal der erforderlichen Disposition der Leser:

[...] as my great Aim is to promote Virtue and Christian Purity, and to discourage Vice and Uncleanness, without giving Offence to any, I shall chuse rather to be less intelligible to some, and leave several things to the Consideration of my Readers, than by being too plain, run the Hazard of raising in some corrupt Minds, what I would most endeavour to stifle and destroy [...] (Onania 1 f.)

Um die Gefahr, in unerwünschter Weise rezipiert zu werden, möglichst gering zu halten, ist es vorzuziehen, im Zweifelsfall überhaupt nicht verstanden zu werden. Das Sprechen und Schreiben über die Wahrheit des Geschlechtlichen muß sich also tendenziell einen Aspekt der Unverständlichkeit geben. Die Verständigung kommt nicht ohne die "Consideration of my Readers" aus. Das Ergänzen des nicht ausdrücklich Gesagten können nur diejenigen leisten, die bereits das Gemeinte erahnen. Für Leser, die dazu nicht in der Lage sind, bleibt eine neutrale Unverständlichkeit. Etwas, das man eine 'Technik des Impliziten' nennen könnte, ist in der spezifischen Sprechsituation im Zeichen der Wahrheit des Geschlechtlichen angelegt.


  1. Zitate beziehen sich auf diese 15. Auflage, London 1730. - Einen Überblick über die medizinische, pädagogische und moraltheologische Behandlung der Masturbation im 18. und 19. Jahrhundert gibt Ussel (1970), p. 132-163, besonders p. 133 ff. und p. 137 ff. Er hebt hervor, daß das Thema in der Bußpraxis (mit Ausnahme des "auf seine Zeit und seine Umgebung" beschränkten Jean de Gersons [1363-1429], vgl. p. 135) vor dem 18. Jahrhundert keine eigenständige Rolle spielt: "In den Katechismen, die seit dem 16. Jahrhundert erschienen, wurde diese Sünde nicht genannt [...] IGNATIUS VON LOYOLA, der kaum eine strafbare Handlung unerwähnt läßt, spricht nicht über die Selbstbefriedigung. Auch in der Texten der großen katholischen und protestantischen Moraltheologen des 17. Jahrhunderts fehlen deutliche Hinweise. Die Folge war, daß im 18. Jahrhundert die Ärzte die Kampagne eröffneten, daß die Bevölkerung, jung und alt, weder genau wußte, was man unter Masturbation versteht, noch daß sie schädlich, geschweige denn sündhaft sei [...]" (Ussel 1970: 135, Hervorhebung im Text). Die Onania, nach Ussel "ohne Zweifel von dem Arzt BEKKER verfaßt" (p. 137), war also eine einsame Pioniertat; verbreitete Behandlung findet das Thema erst ab etwa 1760, beginnend mit Tissots De l'Onanisme (vgl. Ussel 1970: 237 f. für einen chronologischen Überblick über Quellen zum "Kampf gegen die Masturbation im 18. Jahrhundert").
  2. Vgl. Onania, p. 8 f.
  3. Vgl. Onania, p. 12 ff.
  4. Vgl. Onania, p. 15 ff.
  5. Vgl. Onania, p. 39 ff.
  6. Vgl. Onania, p. 50 ff.
  7. Vgl. besonders Onania p. 54 ff.
  8. Vgl. Onania, p. 168 ff.
  9. Vgl. schon The Whole Duty of a Woman 171 f. und oben S. 76.
  10. Vgl. Onania, Supplement, iii f.
  11. Vgl. Onania 57: "Marriage the Chief Preventative".
  12. Das Problem der "long and hurtful Retention of Seed " wird von anderen Korrespondenten aufgenommen (vgl. Onania 90 f.). Es ist ebenfalls Gegenstand einer wissenschaftlichen Erörterung aus den Acta Eruditorum: "The Observation of L.Salomon Sckmieder [sic], concerning the Seed's return into the Mass of the Blood", die der Verfasser als Beleg, daß keine diätetische Notwendigkeit regelmäßiger Samenergüsse bestehe, im Supplement to the Onania abdruckt (vgl. Sup 57?66).
  13. Vgl. Onania 72.
  14. Vgl. Holy Living 73.
  15. Auch dieser letzte Aufruf entstammt wieder der Präambel zum Abschnitt "Of Chastity" in Taylors Holy Living (vgl. Taylor, Holy Living, 73).