Kirchhofer, Strategie und Wahrheit | frameset

Veränderungen im Roman in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

 

 

Während im vorigen Kapitel die Problematisierung von Leidenschaften und Geschlecht unter dem Aspekt der Wahrheit durch ganz unterschiedliche Diskurse verfolgt wurde, geht es nun um die Frage, welches spezifische Wissen wie und mit welchen Wirkungen im Roman eingesetzt wird. Bei der Analyse von Behns Love Letters hatte sich ja die strategische Problematisierung als charakteristisch für die Liebesintrige erwiesen. An Delarivier Manleys New Atalantis läßt sich zeigen, daß dies auch noch im frühen 18. Jahrhundert gilt. Physiologisch-anthropologisches Wissen wird dagegen explizit gerninggeschätzt und abgewertet. Eliza Haywoods Roman Natura (aus der Jahrhundertmitte) behält die Distribution und Funktion des Wissens bei, die für Manley charakteristisch war. Doch er bewertet das moralphilosophische Wissen über die Leidenschaften neu, indem er es zum zentralen Erzählgegenstand erhebt. In Sarah Fieldings David Simple schließlich wird das Gewinnen, Bestätigen und Befragen solchen Wissens im Handlungsverlauf dramatisiert, so daß die einzelnen Figuren und nicht mehr vorrangig die Erzählinstanz Träger des Wissens sind. In der Perspektive des Einsatzes von Wissen sind die Modifikationen im Roman vom frühen 18. Jahrhundert zur Jahrhundertmitte nur oberflächlich als zunehmende moralisierende Einschränkung einer vormaligen Freizügigkeit zu beschreiben. Was sich zuträgt, ist der Übergang von einer strategischen Problematisierung zu einer Problematisierung der Wahrheit der geschlechtlichen Leidenschaft, die mit einer Diversifizierung der Träger des Wissens und einer Dramatisierung seiner Gewinnung und Überprüfung einhergeht. Mit der Frage nach der Wahrheit von Leidenschaften und Geschlecht tritt auch das Problem ihrer Erkennbarkeit in den Vordergrund. Das Geschlechtliche ist häufig für die Beteiligten — wie die Whole Duty of Man formulierte — "unavoidably hid". Die Regeln für seine Erkenntnis in sich und in anderen müssen dem Rechnung tragen.

Strategische Problematisierung und "native, generous and undissembled love": Manleys New Atalantis (1709)

Delarivier Manley, New Atalantis, vol. 2

Mrs. Manleys Glanzstücke erotischen Schreibens

Der Kontext von Delarivier Manleys Selbstcharakterisierung als Meisterin in Liebesdingen wurde bereits oben als Kontrast zu den Subjektivierungsmustern der Ladies Library vorgestellt. Die Qualität, mit der sich Manley dort der gelehrten Madame Dacier an die Seite stellt, ist nicht auf dem Gebiet ihres politischen Engagements auf Seiten der Tories — und damit ihrer Verdienste für um das Wohl Englands — zu suchen. Wessen sie sich rühmt, oder um genauer zu sein, wessen Sir Charles Lovemore und der Chevalier D'Aumont Rivella rühmen, ist ihre unerreichte Fähigkeit in der Darstellung der geschlechtlichen Leidenschaft.

I have not known any of the Moderns in that Point [i.e. in der Darstellung der Liebe, A.K.] come up to your famous Author of the Atalantis. She has carried the Passion farther than could be readily conceiv'd: Her Germanicus on the Embroider'd Bugle Bed, naked out of the Bath: — Her Young and innocent Charlot, transported with the powerful Emotion of a just kindling Flame, sinking with Delight and Shame upon the Bosom of her Lover in the Gallery of Books [...] are such Representatives of Nature, that must warm the coldest Reader; it raises high Ideas of the Dignity of Human Kind, and informs us that we have in our Composition, wherewith to taste sublime and transporting Joys: After perusing her Inchanting Descriptions, which of us have not gone in Search of Raptures which she every where tells us, as happy Mortals, we are capable of tasting. (Manley, Rivella, 4)

Zu geschlechtlichen Genüssen, zu denen die Natur dem einzelnen zwar die Fähigkeit, aber nicht die Anleitung mitgibt, kann Manleys New Atalantis den Weg weisen.

Dabei ist der Text nicht in erster Line ein erotischer Roman, sondern ein satirischer. Die Allegorien der Tugend und der Gerechtigkeit durchwandern das Land und gelangen in die Hauptstadt in Begleitung einer ebenfalls allegorischen Informationsquelle: Lady Intelligence. Sie schauen sich um, erkundigen sich nach allem, was sie sehen, und erblicken (fast) überall moralischen Verfall. Doch eigentlich geht es noch um anderes: Als "Secret Memoirs and Manners of several Persons of Quality, of both Sexes", wie der vollständige Titel anhebt, vermittelt der Text Informationen über Ereignisse, Personen und Intrigen am englischen Hof. Was Lady Intelligence den beiden Damen enthüllt, sind die privaten Hintergründe großer öffentlicher Vorgänge und die persönlichen Affären bekannter Personen.1 Unter diesen Geschichten ist nun auch die der "Young and innocent Charlot", die in Rivella als erotisches Meisterstück herausgestellt wird, und um den Einsatz von Wissen in dieser Episode soll es nun gehen.

Erzählt wird eine Liebesintrige zwischen einem mächtigen Herzog und seinem jungen Mündel. Der Herzog scheint in seiner Erziehung die junge Charlot zunächst selbst mit den höchsten Tugendbegriffen auszurüsten, welche diese, nicht zuletzt ihm zu gefallen2, sich zu eigen macht: "[...] the young Charlot seemed to intend herself a pattern for the ladies of this degenerate age" (Manley, Atalantis, 31), heißt es. Indessen geschieht es, daß der Herzog sich in Charlot verliebt, und nach einigen inneren Kämpfen (er will sie aus Ehrgeiz nicht heiraten und schreckt als ihr Vormund zunächst davor zurück, sie zu verführen) beschließt er, sie aus ihrer tugendhaften, beaufsichtigten Zurückgezogenheit zu nehmen und für sein Werben empfänglich zu machen.

He was resolved to change her whole form of living, to bring her to court, to show her the world; balls, assemblies, operas, comedies, cards, and visits — every thing that might enervate the mind, and fit it for the soft play and impressions of love. (Manley, Atalantis, 34)

Für die beabsichtigte Umwandlung Charlots vom tugendhaften Mündel zur liebesbereiten Mätresse greift der Herzog auf ein Wissen über die Faktoren zurück, die eine Frau zum einen oder zum anderen machen, und verspricht sich die Erreichung seines Ziels von der Schaffung von entsprechenden Umständen.

Der erste und schon von Erfolg gekrönte Schritt in diese Richtung besteht darin, daß er Charlot den Zugang zu bestimmten bislang verwehrten Büchern gestattet. Er ruft sie in seine Bibliothek, die eine "collection of the most valuable authors, with a mixture of the most amorous" (Manley, Atalantis, 35) enthält, und eröffnet ihr, daß sie nun alt genug sei, um keine Gouvernante mehr zu brauchen. Ab sofort sei sie ihre eigene Herrin, und insbesondere solle ihr nun kein Lesestoff mehr vorenthalten bleiben. Sogleich macht er mit einem bislang unerlaubten Autor den Anfang:

[...] he took down an Ovid, and opening it just at the love of Myrra for her father, conscious red overspread his face. He gave it to her to read; she obeyed him with a visible delight. Nothing is more pleasing to young girls than in being first considered as women. Charlot saw that the Duke entertained her with an air of consideration more than usual, passionate and respectful. This taught her to refuge in the native pride and cunning of the sex; she assumed an air more haughty. The leaving a girl just beginning to believe herself capable of attaining that empire over mankind, which they are all born and taught by instinct to expect [sic]. She took the book and placed herself by the Duke; his eyes feasted themselves upon her face, thence wandered over snowy bosom and saw the young swelling breasts just beginning to distinguish themselves and which were gently heaved at the impression Myrra's sufferings made upon her heart. By this dangerous reading he pretended to show her that there were pleasures her sex were born for, and which she might consequently long to taste! Curiosity is an early and dangerous enemy to virtue. The young Charlot [...] wrought her imagination up to such a lively height at the father's anger after the possession of his daughter, which she judged highly unkind and unnatural that she dropped her book, tears filled her eyes, sobs rose to oppress her and she pulled out her handkerchief to cover the disorder. (Manley, Atalantis, 35)

Der Inhalt des aufreizenden Lesestoffs wird nur knapp angedeutet. Ovid ist zwar ein erotischer Meister der Antike, doch die Darstellung der erotischen Szene übernimmt die Erzählstimme selbst, wenn die Früchte dieser vorbereitenden Maßnahmen geerntet werden.

The Duke, who was master of all mankind, could trace 'em through all the meanders of dissimulation and cunning, was not at a loss how to interpret the agitation of a girl who knew no hypocrisy. All was artless, the beautiful product of innocence and nature. He drew her gently to him, drank her tears with his kisses, sucked her sighs, and gave her by that dangerous commerce (her soul before prepared for softness), new and unfelt desires. Her virtue was becalmed, or rather unapprehensive of him for an invader. He pressed her lips with his; the nimble beatings of his heart, apparently seen and felt through his open breast! the glowings! the tremblings of his limbs! the glorious sparkles from his guilty eyes! his shortness of breath and eminent disorder — were things all new to her that had never seen, heard, or read before of those powerful operations struck from the fire of the two meeting sex. Nor had she leisure to examine his disorders, possessed by greater of her own! Greater because that modesty opposing nature forced a struggle of dissimulation. But the Duke's pursuing kisses overcame the very thoughts of any thing but the new and lazy poison stealing to her heart and spreading swiftly and imperceptibly through all her veins; she closed her eyes with languishing delight! delivered up the possession of her lips and breath to the amorous invader, returned his eager grasps and, in a word, gave her whole person into his arms in meltings of full delight! The Duke, by that lovely ecstasy carried beyond himself, sunk over the expiring fair in raptures too powerful for description, calling her his admirable Charlot! his charming angel! his adorable goddess! But all was so far modest that he attempted not beyond her lips and breast but cried that she should never be anothers. The empire of his soul was hers, enchanted by inexplicable, irresistible magic! She had power beyond the gods themselves! Charlot returned from that amiable disorder, was anew charmed at the Duke's words, words that set her so far above what was mortal; the woman assumed in her and she would have no notice taken of the transports she had shown. He saw and favoured her modesty, secure of the fatal sting he had fixed within her breast, that taste of delight which powerful love and nature would call upon her to repeat. [...] (Manley, Atalantis, 36)

Verführer und Verführte werden gleichermaßen von den "powerful operations struck from the fire of the two meeting sex" überwältigt und überlassen sich ganz den Wirkungen der geschlechtlichen Leidenschaft: Charlots nie zuvor gefühlte geschlechtliche Erregung, die zitternde und keuchende Lust des Herzogs, die gänzliche Hingabe an das Gefühl, das Wechselspiel von Anschwellen und Abebben der Empfindung in beiden. Diese Szene ist es zweifellos, die in der History of Rivella zu jenen "Representatives of Nature, that must warm the coldest Reader" (Manley, Rivella, 4) gerechnet wird. Die gegebene Zusammenfassung zeigt indessen, daß die Momente der Ekstase aus einer sich entwickelnden Situation herausgegriffen sind. Schon die Schamröte des Herzogs in dem Moment, wo er Charlot die literarische Gestaltung der Vater-Tochter-Liebe zu lesen gibt, schon die geschmeichelte Eitelkeit Charlots und ihre Rührung über das Schicksal der unglücklichen Myrra, gehören zu den Momenten, die die Situation emotional vorbereiten.

Auf diesen Faktoren, die die Situation präparieren und sie in bestimmter Weise ablaufen lassen, liegt jeweils der entscheidende Akzent.

Die Wendungen der Entwicklung und die freie, unbefangene Liebe

Die Darstellung der Funken, die das Zusammentreffen der Geschlechter schlägt, ist eingebettet in die Thematisierung der taktischen und strategischen Umstände, die jede neue Wendung der Erzählung bedingen. Die Passage steht durchgängig im Zeichen des gelingenden Verführungsplans des Herzogs. Charlot erhält ihre Unabhängigkeit zusammen mit ungekannten Eindrücken von Genüssen; sie soll diese Freiheit gerade dazu verwenden, sich diese Genüsse, deren größter und letzter der Liebesakt mit dem Herzog selbst sein soll, zu verschaffen.

Die Erzählstimme hebt an allen Orten die grundlegende Asymmetrie der Situation hervor: Der Herzog, "master of all mankind", hat keine Schwierigkeiten, Charlot in jedem Augenblick zu durchschauen und ihre Reaktionen zu lenken. Charlot dagegen reagiert nur, und sie reagiert genau wie vorhergesehen, ihr Verhalten ist "the beautiful product of innocence and nature". Darüberhinaus wird auf das Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis hingewiesen, das der Herzog zum Ausgangspunkt der Verführung macht (Charlots Tugend ist "unapprehensive of him as an invader"). Der Dominanz des Herzogs steht die Unerfahrenheit Charlots gegenüber, die sich nur auf ihre angeborenen weiblichen Instinkte verlassen kann, die aber der Herzog wieder genau kennt und einschätzen kann.

Dabei gibt es Momente, in denen die Asymmetrie der Beziehung umschlagen könnte. Der Erfolg des Verführungsplans ist so atemberaubend, daß der Herzog in Gefahr gerät, "the empire over his soul" im Ernst an Charlot abgeben zu müssen.3 Charlot könnte in der Folge die Asymmetrie zu ihren Gunsten verschieben, wenn sie es verstünde, ihre Berechenbarkeit abzulegen und die Erfüllung des Begehrens ihres Vormunds an Bedingungen zu knüpfen.

Tatsächlich lernt sie dies vorübergehend, und es heißt: "She had learnt to manage the Duke and to distrust herself" (Manley, Atalantis, 38). Doch der Herzog überrascht sie eines Tages und nimmt sie mit Gewalt; sie verzeiht ihm, läßt sich zu einer Liebesnacht verleiten und wird danach seine Mätresse. Auch dann wäre noch nicht alles verloren, doch versäumt sie es an entscheidender Stelle, sich um die Sicherung ihrer gesellschaftlichen Stellung zu kümmern:

Then was her time to push for what he possibly might have consented to, rather than not have possessed her undisturbed, but she was afraid that he should think her love was the result of interest and believed so well of his honour as not to distrust his care of hers. (Manley, Atalantis, 41)

Der Herzog ist eine Zeitlang der glücklichste Mann auf Erden, wird dann ihrer müde und läßt die nun Bedauernswerte fallen. Der Ruin Charlots ist zwar auch das Ergebnis der Ausgangsbedingungen, wird ganz konkret aber durch ihre Fehleinschätzung der Lage und ihr entsprechendes Fehlverhalten herbeigeführt. Es ist auch nicht so, daß die erfolgversprechenden Schritte ihr nicht bekannt gewesen wären: Hätte sie die Ratschläge einer befreundeten adeligen Witwe beherzigt, die der Herzog in der Folge tatsächlich zu seiner Frau macht, so hätte sie sich an den entscheidenden Wendungen den Herzog und ihre Ehre gesichert. Eine Reduktion auf die Asymmetrie des Verhältnisses wird der Entwicklung, die als Abfolge von Wendepunkten erzählt wird, also nicht gerecht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Erzählinstanz stehen genau die Faktoren, die jeweils eine Wendung in der Entwicklung auslösen.

Genausowenig wie eine stabile Asymmetrie der Machtverhältnisse gibt es eine stabile Asymmetrie des Wissens, dergestalt daß das Wissen des Herzogs mit der Unwissenheit Charlots kontrastiert wird. Nicht umsonst ist die "Gallery of Books" der Ort der ersten Verführung. Das entscheidende Merkmal des Verführungsplans besteht nicht im Vorenthalten von Wissen, sondern darin, daß Charlot der Zugang zu Wissen, zur Bibliothek eröffnet wird. Auch im Anschluß an die erste Szene erhält Charlot während der Abwesenheit des Herzogs kalkulierte Gelegenheit, Wissen zu erwerben:

[The Duke] had recommended to her reading the most dangerous books of love — Ovid, Petrarch, Tibullus — those moving tragedies that so powerfully expose the force of love and corrupt the mind. He went even farther, and left her such as explained the nature, manner and raptures of enjoyment. Thus he infused poison into the ears of the lovely virgin. [...] She was indefatigable in reading. [...] Whole nights were wasted by her in that gallery. [...] The Duke had laid in her way such as made no mention of virtue or honour but only advanced native, generous and undissembled love. (Manley, Atalantis, 37)

Der Herzog setzt gerade auf Charlots Wissensdurst; Wissen über die Macht der Liebe, Wissen über das Wesen der geschlechtlichen Lust sollen die früheren Tugendmaximen Charlots verdrängen und das Terrain für seine weiteren Schritte bereiten. Hätte der Herzog sich darauf beschränkt, anstatt Charlots Gier nach geschlechtlichem Wissen zu erregen und zu befriedigen, ihr lediglich das Wissen über Tugend und Ehre, das der Text ausdrücklich als ausgegrenzt nennt, vorzuenthalten, so wäre damit allein der Zweck nicht erfüllt gewesen: Es bedarf eines mit spezifischen Merkmalen ausgestatteten Wissens, nicht eines 'Nicht-Wissens', um Charlot zu einem Subjekt von Begehren zu machen.

Die Spezifität dieses Wissens und der Zusammenhang, in dem es auftaucht, sind signifikant: "native, generous, and undissembled love" sei die Quintessenz dessen, was Charlot ihrer neuen Lektüre entnehme. In welcher Beziehung steht nun dieses freie und unbefangene Ausleben geschlechtlicher Impulse mit der meisterlichen Darstellung der "powerful operations struck from the fire of the two meeting sex" im Text selbst? Angesichts des Überschwangs der Gefühle, der in der Formulierung von der "Young and innocent Charlot, transported with the powerful Emotion of a just kindling Flame, sinking with Delight and Shame upon the Bosom of her Lover in the Gallery of Books" (Manley, Rivella, 4) zum Ausdruck kommt, könnte man leicht überlesen, daß die Feier der erotischen Szene zunächst vor allem eine Feier der erzählerischen Darstellungskraft ist, die sich hier entfaltet. Die New Atalantis wird damit noch nicht zu einem Text, der zu "native, generous and undissembled love" aufruft.

Die Erzählstimme hebt im Gegenteil die mit der geschlechtlichen Leidenschaft verbundene Gefahr hervor. Es ist immer wieder von "dangerous perturbations of nature", "dangerous commerce", "dangerous delights" (Manley, Atalantis, 36 f.) die Rede. Anstatt sich selbst unter die Advokaten von "native generous and undissembled love" einzureihen, nimmt die Erzählstimme eine scharfe Distanzierung vor:

There are books dangerous to the community of mankind, abominable for virgins, and destructive to youth; such as explain the mysteries of nature, the congregated pleasures of Venus, the full delight of mutual lovers and which rather ought to pass the fire than the press. (Manley, Atalantis, 37)

Die Vehemenz dieser Verdammung von Büchern, die eine bestimmte Sorte von Wissen über Leidenschaften und Geschlecht vermitteln, ist nach der Textlogik keine heuchlerische Distanzierung, die der eigenen 'Pornographie' als moralisches Deckmäntelchen dienen soll. Sie bezieht sich offensichtlich darauf, daß die genannten Werke für die soziale Position ihrer Leser ungünstige Auswirkungen haben, die sie nicht thematisieren. In diesem Sinne enthalten diese Texte kein nützliches Wissen, sondern sind schädlich. In Charlots traurigem Ende wird die Gefahr, in der sie schon die ganze Zeit schwebte, Realität.

Auch wenn die Erzählinstanz die Liebesleidenschaft meisterhaft darzustellen versteht, geschieht deren Problematisierung weiterhin unter dem Aspekt der taktischen und strategischen Umstände und Auswirkungen, mit denen sie verbunden ist. Die Darstellung der Lust fragt nicht nach dem Wesen dieser Lust; sie fragt auch nicht danach, wer das Recht auf diese Lust hat und wem es vorenthalten wird; sie hat kein Problembewußtsein für die Folgen, die sich einstellen, wenn man zu viel oder zu wenig von dieser Lust empfindet. All diese Frage stammen aus anderen Zusammenhängen. In der New Atalantis geht es immer um die Frage, in welcher Weise das Verhalten in Liebesdingen die eigene soziale Position stärkt oder gefährdet.

Die Konzentration des Wissens in der Erzählinstanz

Solches Wissen über die taktischen und strategischen Aspekte von Leidenschaften und Geschlecht kennzeichnet in besonderem Maße die Erzählinstanz. Sie kann die Pläne des Herzogs deswegen so genau nachzeichnen, weil sie über Wissen verfügt, mit dem sie die einzelnen Schritte, die der Herzog unternimmt, in ihrer Effizienz erkennen und identifizieren kann. Die Erzählstimme verbürgt gerade die Verbindung zwischen einem allgemeingültigen Wissen und den jeweiligen Vorgängen. "Nothing is more pleasing to young girls than in first being considered as women", heißt es etwa kommentierend, wenn der Herzog Charlot ihre neue Selbständigkeit verleiht. Mit der Maxime "Curiosity is an early and dangerous enemy to virtue" wird die Operationsvoraussetzung für den Plan des Herzogs, Charlot durch Lektüre zu verderben, benannt. Im engen Zusammenhang mit der Effizienz des Verführungsplans steht auch das Wissen über das weibliche Geschlecht. Von "the native pride and cunning of the sex" ist da die Rede, und von "that empire over mankind, which they are all born and taught by instinct to expect": Charlot handelt nach Ausweis der Erzählstimme im Einklang mit den Impulsen ihrer weiblichen Natur.

Sie tut dies, weil sie, wie bereits gezeigt, teils über dasjenige Wissen, das sie in die Lage versetzt hätte, ihre soziale Position zu sichern oder zu wahren, nicht verfügt (sie ist "ignorant of the power of love", Manley, Atalantis, 36), teils weil sie es nicht beherzigt (denn eine ihr befreundete adelige Witwe gibt ihr durchaus Ratschläge, durch deren Befolgung Charlot zur Gattin des Herzogs hätte werden können). Auch der Herzog verfügt über dieses Wissen, denn es bildet ja die Basis für sein Vorgehen. Der Text baut also eine doppelte Opposition auf: zum einen zwischen strategisch nützlichem Wissen und einem geschlechtsphysiologischen Wissen, von dessen mangelnder strategischer Reflektiertheit Gefahr ausgeht; zum anderen zwischen Figuren, denen es gelingt, ihre soziale Stellung zu sichern, sie vielleicht sogar zu verbessern und sich möglicherweise dazu noch Genüsse zu verschaffen, und anderen Figuren, die aufgrund taktischer Fehler ihre Position verlieren; zu den letzteren gehört Charlot.

Der Ort, an dem der Text dagegen das Höchstmaß an taktischem und strategischem Wissen über alles, so auch über Leidenschaften und Geschlecht vereinigt, ist keine Figur, sondern die Erzählinstanz. Sie behält in jedem Moment recht; sie weiß mehr als alle Figuren; ihr Wissen ist immer 'wahr' und nie in Gefahr, innerhalb des Textes bestritten oder in Frage gestellt zu werden. Dieses Prinzip der hierarchischen Maximalität der Erzählinstanz ist offensichtlich auch etwaigen Inkonsistenzen der Figurencharakterisierung oder des eingesetzten Wissens übergeordnet. Wenn Charlot kurz nacheinander als in "the native pride and cunning of her sex" Zuflucht suchend, dann als "a girl who knew no hypocrisy" beschrieben wird, geschieht dies jedesmal mit auktorialer Autorität. Weder hinsichtlich der Konsistenz von Charlots Charakter noch hinsichtlich der Konsistenz des Erzählerwissens werden im Text Diskrepanzen dieser Art als problematisch reflektiert. Es gibt keine Instanz im Text, die hier Inkonsistenzen thematisieren könnte. Die Position der Erzählstimme als Ort des umfassenden Wissens bleibt unberührt.


  1. Gelegentlich erzählen Personen auch ihre eigene Geschichte. Sogar die wahren Zusammenhänge eines Abschnitts ihres eigenen Lebens enthüllt die Verfasserin. Olaf Simons ("Secret Histories [...]") hat gezeigt, daß der Stellenwert der enthüllten Information entscheidend von der Art der Enthüllung abhängt. Wenn Sir Charles Lovemore in der History of Rivella seinem Zuhörer sagt: "I must refer you to her own Story, under the Name of Delia, in the Atalantis, for the next Four miserable Years of her Life" (Riv 29), so bekennt nicht Delarivier Manley: 'Dort habe ich meine Geschichte bekannt'. Vielmehr sagt eine Romanfigur, daß Rivella in der New Atalantis mit der Geschichte Delias ihre eigene Vergangenheit beschrieben habe. Nicht in der Form des Bekenntnisses, sondern in der Form des offenen Geheimnisses bringt Manley ihre eigene Geschichte ebenso wie die "secret memoirs" über die Intrigen der bekanntesten Persönlichkeiten ihrer Zeit in Umlauf.
  2. Vgl. Manley, Atalantis 33.
  3. Für eine detaillierte Analyse dieser Situationsentfaltung vgl. Olaf Simons, "Secret Histories [...]".