frameset

 

 

Die Entwicklung des Verlages Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

line Karl Klaus Walther, Die deutschsprachige Verlagsproduktion von Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

 

Historisch-politisches, kulturelles und buchgeschichtliches Umfeld

 

Der Blick in die Vergangenheit, auf einen bekanntermaßen nicht existierenden Verlag, und die Suche nach den in Bibliotheken noch vorhandenen, in Bibliographien und Katalogen bisher nur unzulänglich verzeichneten Werken mit seinem Impressum mag auf den ersten Blick als eine Tätigkeit bibliophilen oder historisch-antiquarischen Charakters erscheinen, wie sie in dieser Art auf dem weiten Felde des Buchwesens nicht selten anzutreffen ist. Dabei stellt auch hier der Blick zurück den Reflex der Gegenwart dar, die in ihren fortwährenden Veränderungen den Wandel des Geschichtsbildes mitvollzieht. Pietät vor der Tradition und Blickwechsel durch neue Erkenntnisse, Strömungen, ästhetische Empfindungen bestimmen in vielfältigen Schattierungen unser Bild von der Vergangenheit. Je mehr wir von ihr erfahren, um so mehr erweist sich die scheinbar glatte Kontinuität historischer Abläufe als eine Abfolge verschiedenartiger, für den Zeitgenossen nicht immer voll zu überschauender Vorgänge, in denen die Akteure auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Das gilt auch für die Geschichte des Verlages Pierre Marteau alias Peter Hammer, hinter dem nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse keine aktenmäßig belegbare Person stand und über den daher nichts aus Einträgen in Personenstands- und Handelsregistern zu erfahren ist. Die Verleger, die sich des Impressums bedienten, bilden weder regional noch von der Bedeutung ihrer Firmen und Verlagsprogramme eine homogene Gruppe, auch wenn zwischen einigen engere verwandtschaftliche oder geschäftliche Beziehungen bestanden haben könnten. Daß bei so vielen Beteiligten der Name Pierre Marteau/peter Hammer heute noch fast gleichbedeutend ist mit einem Verlagsprogramm, das sich über das buchgeschichtliche Interesse hinaus als Schnittpunkt vielfältiger politischer, literarischer und philosophischer Strömungen erweist, macht die Erforschung der Veröffentlichungen und ihrer Autoren deutlich. Nicht nur zeigt sich hier die Zugkraft des Impressums, sondern auch die Zeit vom ausgehenden 17. Jh. bis zur Mitte des 19. Jh. in all ihren Spannungen und Brüchen: Neben der Furcht vor Repressionen und dem berechtigten Sicherheitsverlangen tauchen hier Vergessene, Gebrochene, früh Verstummte ebenso auf wie die, die im Kleide des loyalen Hofmannes und Diplomaten dienten und doch den Hauch einer anderen Zeit, einer neuen Gesellschaftsordnung spürten und sie im verborgenen zu fördern trachteten. Die Bedeutung der hier versammelten Autoren ist ebenso unterschiedlich wie die ihrer Werke, die mit diesem Impressum erschienen, im Gesamtkomplex ihres OEuvres. In Arbeiten zur deutschen und französischen Literatur und Aufklärungsphilosophie sowie über die deutschen Jakobiner haben viele dieser Werke eine entsprechende Darstellung und Würdigung erhalten, ohne daß den Umständen ihrer Publikation in jedem Falle die nötige Aufmerksamkeit gewidmet worden wäre. Gerade die anonym erschienenen Schriften und die ephemeren Autoren zeigen aber, mehr noch als der Blick auf die "großen Namen", welche Verbreitung und Resonanz bestimmte Gedanken erreicht hatten - ihnen soll daher die besondere Aufmerksamkeit der Darstellung gelten.

Es ist kein Zufall, daß die Produktion von Pierre Marteau/peter Hammer zum ersten Male von einem "Achtundvierziger", nämlich dem Leipziger Publizisten, Verleger und Buchhändler Emil Weller, in einem größeren Zusammenhange gesehen wurde. Nach der Flucht vor der Reaktion in die Schweiz widmete er sich der bibliographischen Ersch.ließung und Darstellung früher Zeugnisse der Publizistik, in denen sich progressives Gedankengut und Stimmungen des Volkes widerspiegeln. Mit Hilfe der ihm zugänglicher Bibliotheken, Bibliographien und Kataloge leistete er eine intensive Erschließungsarbeit, die trotz mancher Zeitbedingtheiten und Unzulänglichkeiten auch heute noch Anknüpfungspunkte bietet. Er folgte damit dem Weg, den u. a. Robert Prutz in seiner "Geschichte des deutschen Journalismus" (T. 1, Hannover 1845) gewiesen hatte. Das Zusammentreffen der Wiederkehr des 200. Jahrestages der englischen Revolution mit den Ereignissen der vierziger Jahre des 19. Jh., aber auch die folgenden Repressionsmaßnahmen der Reaktion regten Teilnehmer und Sympathisanten der achtundvierziger Revolution zur Aufarbeitung progressiver und publizistischer Traditionen an. Sie begnügten sich nicht damit, in einer der Philologie entlehnten Methode akribisch Fakten und Belege aneinanderzureihen, sondern machten auch Tendenzen und Beweg,ungen der Geschichte deutlich. Ein noch heute unentbehrliches Ergebnis sind z. B. Wellers "Falsche und fingierte Druckorte" (l. Aufl. 1858). In seinem Vorwort setzt er, der Flüciltling, die Akzente. Seine Sammlung erscheint ihm als Beispiel der Unfreiheit und Unterdrückung, aber auch des Widerstandes dagegen und ist das Ergebnis der Arbeit im trostreichen, geistanregenden, blickweitenden Zufluchtsraum vieler Emigranten, der Bibliothek. Unter dem äußeren Erscheinungsbild einer sich in die germanistische und historische Forschungsmethode der Zeit einfügenden Detailforschung hielt er die Erinnerung an Traditionen wach, die ihre Wurzeln in weit zurückreichenden sozialen und politischen Strömungen hatten. Sein Werk war nicht nur ein Beitrag zur Grundlagenforschung der Buchkunde ganz allgemein, wie etwa die in dieser Zeit vermehrt entstehenden Pseudonymen- und Anonymenlexika, es war auch Ausdruck einer "Oppositionswissenschaft", die jenem "fortgeschrittenen Stand bürgerlicher Bewußtseinsentwicklung" (1) entspricht, wie er in der Literaturgeschichtsschreibung von Prutz und Gervinus vertreten wurde und für die Zeit des Vormärz charakteristisch war. Für Weller war die Vergangenheit eine sich auch in der Gegenwart manifestierende Entwicklungslinie im Unterschied zur einsetzenden unkritischen Verehrung klassischer Vorbilder einerseits, zur Betrachtung anderer Zeugnisse der Vergangenheit unter dem Aspekt des "Curiösen", tatsächlich oder vermeintlich Seltenen, Erotisch-Pikanten, Deftigen, herausgelöst aus der Verbindung mit ihrer Zeit.

Die bei Weller erkennbar werdenden methodisch-theoretischen Ansätze und die Versuche eines Gesamtüberblickes etwa bei Holzmann-Bohatta und Goedeke verschwanden in der Folgezeit hinter einer Flut deskriptiver Artikel, die auf zufälligen Funden beruhten und deren Wert für wissenschaftlich weiterführende Untersuchungen of( gering ist. Das Gefühl für historische Kontinuität, geistig-kulturelle Strömungen trat zurück hinter dem Einzelbeispiel oder der Orientierung auf einzelne Verleger, Drucker, Buchhändler. An die Stelle des Zusammenhanges mit dem historisch-politisch-sozialen und auch ästhetischen Umfeld trat die weitgehend isolierte Beschreibung mehr oder weniger zufälliger Funde in Bibliotheken und Sammlungen, wie sie mit z. T. anerkennenswertem Fleiß von einzelnen Bibliothekaren, Antiquaren und Sammlern betrieben wurde. Sehr oft trübt der Stolz auf einen Fund oder gar die Freude über den persönlichen Besitz den Blick- für den tatsächlichen Wert des beschriebenen Objektes. Solche überwiegend deskriptiven Arbeiten ohne verallgemeinerungsfähige, weiterführende und anregende Erkenntnisse bilden, vergleichbar vergangenen Entwicklungen in der Germanistik und anderen Philologien, Bestandteile einer "Wissenschaft des Nichtwissenswerten" und haben dazu beigetragen, das Ansehen der Buchkunde als einer wissenschaftlichen Disziplin zu schmälern.

Neben den skizzierten Arbeitsmethoden wirkten auch Urteile und Meinungen aus der Germanistik in die Buchkunde hinein. Dazu gehörte, und die Objekte schienen es zu bestätigen, die überwiegend negative Meinung der Klassik und Romantik über das 17. Jh., die ungeprüft bis weit in dieses Jahrhundert hinein tradiert wurde. Der Blickwechsel, den Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft hier bereits seit längerem zu vollziehen begonnen haben, ist in der Buchkunde und der bibliographischen Aufarbeitung dieses Jahrhunderts erst seit -kurzem spürbar. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Beschäftigung mit dem Verleger Marteau sich in der Vergangenheit in der Behandlung des zufällig Gefundenen erschöpfte und auch Wellers Erkenntnisse nicht weiter genutzt wurden. Ungenutzt für die Forschung blieb bisher das handschriftliche Verzeichnis französischer und deutschsprachiger Marteau-Titel des Historikers und Antiquars Kreyssig (2), dessen genaue Titelbeschreibung auf Autopsie beruhen muß. Arbeiten wie die von Moeltzner (3) oder Bielschowsky (4), die sich auf Bibliotheken oder private Sammlungen stützen, gehen insofern über den Wissensstand von Weller hin.aus, als sie unbekannte oder bisher unvollständig wiedergegebene Titel aufführen. Renommierte Bibliographien wie Goedeke und Hayn-Gotendorf fußen über weite Strecken auf dem Material von Weller und anderen, ebenfalls ungeprüft übernommenen Quellen, wodurch die Identifizierung einer Ausgabe nicht immer erleichtert wird. Methodisch leiden die bisherigen Arbeiten über Marteau daran, daß die deutschsprachige und die französische Produktion als Einheit betrachtet werden. Auch wenn viele Berührungspunkte und Wechselbeziehungen durch Übersetzungen, Bearbeitungen, Nachahmungen usw. bestehen, zeigt doch schon der Blick in den "Weller" und eine statistisch-chronologische Auflistung die Fragwürdigkeit einer derartigen Vermengung.

Entlastend sei aber hier auch darauf verwiesen, daß erst mit der Möglichkeit, originalgetreue Kopien z. B. der Titelblätter schnell herzustellen, der Vergleich scheinbar oder tatsächlich identischer Ausgaben leichter geworden ist. So existieren, und das nicht nur bei Marteau, gerade am Ende des 17. Jh. Ausgaben mit gleichem Titelblatt, aber unterschiedlichen Umfangsangaben, Zeilenschlüssen, Schmuckelementen. Es tauchen Ausgaben auf, die äußerlich identisch sind, die aber unterschiedliche Impressi tragen. Die Ähnlichkeit der barock formulierten Titel anonymer Werke ist groß und wird durch die Titelkürzung noch verstärkt, so daß auch katalogmäßige Überprüfungen sich als ungemein mühsam erweisen. An den heutigen Schwierigkeiten hat allerdings auch Weller schuld, der manchen Titel fast bis zur Unkenntlichkeit kürzte.

Die Produktion des Verlages Marteau, die in den Meßkatalogen des 18. Jh. z. T., in den Bibliographien von Kayser und Heinsius unter diesem Impressum gar nicht verzeichnet ist, ist gleichermaßen Teil des offiziellen Buchhandels wie auch des "zweiten Marktes", über den Flugschriften historisch-politischen Inhalts, Personalschriften, akademische Abhandlungen im direkten Verkehr zwischen Herstellern und Empfängern innerhalb eines weitgehend geschlossenen Kommunikationssystems vertrieben wurden (5).

Insgesamt bietet sich über die Zeit der Existenz des Verlages hinweg das Bild eines sich entwickelnden literarischen Marktes, der geprägt ist von kapitalistischem Konkurrenz und Profitstreben, von Spekulationen mit den geistigen Erzeugnissen der Autoren und deren Ausbeutung. Mit all den Vereinigungen, Absprachen, Vertriebsmethoden der Verlage und Buchhändler entstand hier bereits am Anfang des 18. Jh. ein voll ausgeprägtes kapitalistisches Wirtschaftsgefüge mit einem Netz von Verbindungen und Interdependenzen wie in keinem anderen Wirtschaftszweig der Zeit. Die Produktion hochveredelter Waren und Werkzeuge, aber auch von täglichem Gebrauchsgut, war vor der Entwicklung einer leistungsfähigen Infrastruktur des Deutschen Reiches weitgehend regional gebunden, der kostspielige und risikoreiche Fernhandel machte Glas, Geschirr, Gold- und Silberschmiedearbeiten, Tuche zu kostbaren Gegenständen für wenige Begüterte. Anders dagegen der Buchhandel, der nicht nur die weitgehende Arbeitsteilung zwischen Druckern, Verlegern und Händlern aufwies, sondern in der Lage war, Lese-, Bildungs- und Erbauungsbedürfnisse großer Bevölkerungsschichten auch über erhebliche Entfernungen hinweg zu befriedigen. Kontakte mit ausländischen Partnern machten auch den Bezug originalsprachiger Literatur möglich. Bezahlte Mittelsmänner europäischer Höfe und kleinerer Territorialherren sorgten gleichzeitig dafür, daß ihre Auftraggeber mit interessanten Neuerscheinungen aus allen Wissensgebieten versorgt wurden (6). Als Ergebnis weisen Bibliotheken dieses Ursprungs, die historisch gewachsen sind, eine Fülle anderweitig kaum noch anzutreffender Literatur auf, auch zum Komplex Marteau.

Der literarische Markt, der das Wort zur Ware machte und mit einem, wenn auch unsicheren Erfolg winkte, war der Nährboden für eine Vielzahl oft käuflicher Schreiberlinge, für literarische Zänkereien, Cliquenbildungen, Plagiatoren, bedenkenlose Bearbeiter und Übersetzer, die im Kampf um einen möglichst großen Verdienst auch die entsprechenden Drucker und Verleger fanden. Für viele von ihnen, die nach einem Universitätsstudium eine schlecht oder mäßig bezahlte Anstellung gefunden hatten, waren solche Arbeiten der bitter notwendige Nebenverdienst. Daß für Produkte, die auf diese Weise entstanden waren, auch der Name Marteau herhalten mußte, zeigt die Einbindung in die literarischen Verhältnisse der Zeit um so deutlicher.

In dem Maße, wie sich, gefördert auch durch Verleger und Buchhändler, geordnete Verhältnisse im Honorar- und Nachdruckwesen durchzusetzen begannen und der Name eines Verlages Gütezeichen und Programm wurde, verschwanden auch Praktiken, die weit verbreitet gewesen sein dürften und mit denen nicht nur die Zensurbehörden, sondern auch die Autoren getäuscht wurden - die Manipulationen mit Nachschußauflagen oder Contrefaçons und die sog. Titelauf lagen. Gerade für die Anfangszeit der Marteau-Produktion finden sich zahlreiche Belege für diese Praktiken. Bei den Nachschußauflagen wurde die Neuauflage eines gefragten Werkes typographisch genau nach der Originalausgabe gesetzt - ein Mittel, mit dem der Originalverleger den Autor täuschen konnte. Auch Nachdrucker konnten sich, besaßen sie das entsprechende Typenmaterial, dieser Praxis bedienen. Erkennbar werden solche Exemplare in der Autopsie, wenn z. B. durch technische Unzulänglichkeiten im Satz- und Druckvorgang eine Verschiebung in der Seitenzahl erkennbar wird und innerhalb eines Bogens zu kompresserem Satz und der Verwendung von mehr Abkürzungen übergegangen wird. Mit zunehmender technischer Entwicklung werden solche Abweichungen jedoch immer seltener, der technische Aufwand zu ihrer Feststellung, wie es die Arbeiten von Boghardt (7) zeigen, wächst. Überfordert sind auch die standardisierten Titelaufnahmen der meisten Bibliothekskataloge.

Ein anderes Mittel, um sowohl im Kleinschrifttum als auch bei Werken namhafter Autoren, am Rande der Legalität oder auch schon etwas außerhalb davon, Leser und Autoren zu täuschen, waren die sog. Titelauf lagen. Hier wurden neue Titelfassungen geschaffen, die mitunter durch Wendungen wie "Oder" und "das ist" erkennbar werden. Identische Vorreden oder die gleichen toten Kolumnentitel sind hierfür Anhaltspunkte. Wie schwierig solche Zuordnungen gleicher Texte zueinander und damit auch die Herstellung editorisch zuverlässiger Stammbäume sind, zeigen die Titel übersetzter Schriften. Originaltitel und die Vielfalt der deutschen Titelfassungen frappieren stets von neuem. Während die unter fingiertem Impressum und Pseudonym veröffentlichten Werke Beers, Reuters, Bohses, Klingers dank der gesicherten Autorschaft ihren festen Platz im Kanon der Textüberlieferungen besitzen, sind solche Zuordnungen gerade bei aktuellem Kleinschrifttum nur fallweise zu treffen und gehören in den Bereich der fachgebundenen Textkritik, sofern nicht im Text selbst oder aus zeitgenössischen Eintragungen weitere Hinweise zu erhalten sind. So erschien beispielsweise bei Marteau im Jahre 1705 "Die Curiöse Winter-Campagne", ein Bericht über die Belagerung von Gibraltar und andere militärische Ereignisse des spanischen Erbfolgekrieges. Im letzten Satz der Schrift findet sich der Hinweis:

"... und man wird unserer Feder alsdenn nicht unrecht auslegen/ daß sie zur Beschreibung der geschwächten Macht Königes Ludwigs des Grossen in Franckreich/ den Titel der zu ihrem Niedergang eilenden Frantzösischen Sonnen vorsetzen lassen".

Eine Schrift mit dem Titel "Die zum Niedergang eilende Frantzösische Sonne" erschien aber 1705 in Leipzig bei Johann Theodor Boetius "in Rothhaupts-Hof auf dem Auctions- und Bilder-Saal" mit Kupfern und entsprechendem Privileg. Wenn auch im Marteau-Exemplar nur eine Bogenzählung vorliegt, so zeigt das Titelblatt in der Wahl der Type, den Formulierungen und teilweise auch im Zeilenfall eine weitgehende Übereinstimmung mit dem offiziellen Druck; vielleicht stammen beide Drucke sogar aus der gleichen Offizin.

Satzdifferente Exemplare finden sich auch bei den Ausgaben von 1709 und 1710 des "Discurs von Land-Ständten", die beide bei Marteau erschienen. Im Zeilenfall des Titelblattes wird die Ausgabe von 1709 nachgeahmt, wenn auch bei der Wahl des Schriftgrades und der Zierleiste Unterschiede auftreten. Wie kompliziert hier die Satzverhältnisse sind, zeigt, daß das ) () ( gezeichnete Blatt aus der Ausgabe von 1709 stammt und sich bruchlos in den Text der späteren Ausgabe einfügt. Durch geschickte Ausgleiche auf der letzten Seite entsteht ein Druckbild, das der Auflage von 1709 fast genau zu entsprechen scheint.

Die sich mehrende Verwendung fingierter Erscheinungsorte und von Pseudonymen seit der zweiten Hälfte des 17. Jh. war kein Zufall. Mit ihnen sollte, angesichts einer wachsenden Zahl von Publikationen mit einander ähnelnden Titeln, eine Differenzierung und für den Leser eine leichtere Identifizierung erreicht werden. Diese Tendenz entsprach dem sich entwickelnden Selbstgefühl der Autoren und Verleger/Drucker, die ihre Namen auch als Werbung ansahen. Pseudonyme wie Teutophilus Hahnenfeind, Freymund, Wahremund oder die bis ins 19. Jh. gebräuchlichen fingierten Erscheinungsorte, die mit Fried-, Frei- und Wahr- zusammengesetzt sind, sagen etwas über den Charakter der Schrift aus. Verfasser und Impressum aus der Zeit des spanischen Erbfolgekrieges (1705) wie "Des entzückten Marforio in die Welt gethane Reise. Von Friedlieb Kriegfeinden. Klagenfurth bey Wigand Bessersgott" sprechen hier für sich. Politische Ereignisse brachten auch außerdeutsche und außereuropäische Namen ins Spiel, z. B. während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges Boston, Philadelphia usw., Bagdad, Ninive, Jerusalem während des Feldzuges Napoleons im Nahen Osten (8). Daneben existiertennatürlich eine Reihe von Ortsbezeichnungen, in denen sich die Neigung zu Jux und Spielerei, auch zu subtiler Ironie, ausdrückt. Von all den Zentren des Buchgewerbes, die als fiktiver Erscheinungsort verwendet wurden, dürfte Köln am meisten vorkommen.

Die Entscheidung für die Wahl des einen oder anderen Pseudonyms oder fingierten Impressums mag, für sich gesehen, durch den Zufall oder momentane äußere Faktoren, Rücksichten und Wünsche von Autor und Verleger bestimmt sein - in größerem Zusammenhang zeigen sich hier Tendenzen, die mit einem modernen Begriff als "Literaturpolitik" zu bezeichnen wären und die auf Verbindungen beruhten, für die der englische Chemiker Robert Boyle um 1645/46 den Begriff "lnvisible College" prägte (9). Der Begriff, der heute vor allem den Kontakt von Wissenschaftlern eines Fachgebietes untereinander unabhängig von nationalen oder sprachlichen Grenzen und den Austausch ihrer Erkenntnisse außerhalb der institutionalisierten Informatiorskanäle bezeichnet, charakterisierte neben der Keimzelle der Royal Society auch andere Verbindungen und Kontakte der Zeit. So trugen z. B. deutsche Geistliche und Gelehrte durch ihr publizistisches Wirken aus dem niederländischen oder englischen Exil heraus zur Verbreitung der Ideen der englischen Revolution wie auch der einsetzenden Aufklärung bei. Parallel hierzu wird ein ähnliches, weitverzweigtes, vom Mantel der Geheimhaltung bedecktes Netz spiritualistischer, schwärmerischer oder mystischer Sekten und Strömungen geknüpft, das über eine internationale, durch keinerlei angreifbarre Institutionen zu treffende Anhängerschar verfügte und durch sie ihre Schriften vertrieb. Das Prinzip des nichtinstitutionalisierten Zusammenschlusses wirkte über diese ersten Anlässe weiter und war die Grundlage für vielfältige, nationale und konfessionelle Grenzen überschreitende Kontakte. Gruppierungen um Zeitschriften, Verlage oder Unternehmen wie Zedlers Universallexikon und die französische Enzyklopädie sind ebenso als unsichtbare Kollektive anzusehen wie jene Schulen, die sich durch das Wirken hervorragender Gelehrter an Universitäten bildeten (10). Bekannt ist auch, daß sich der iakobinisch orientierte Altonaer Demokratenzirkel (um 1795/96) um die dortige Verlagsgesellschaft gebildet hatte (11). Die Vermutung liegt nahe, daß Verlagsbezeichnungen wie "au dépens de la compagnie" oder "Auf Kosten der Gesellschaft" auf solche, auf den ersten Blick nicht erkennbare Zusammenschlüsse hindeuten.

Die europäische politisch-publizistische Opposition der zweiter, Hälfte des 17. Jh. und des beginnenden 18. Jh. mußte sich, wollte sie erfolgreich ihre Leser erreichen, aller verfügbaren Listen und Hilfsmittel bedienen. Nur wenige Namen sind bekannt geworden. Ihnen. allen, Autoren wie Lesern, waren Abneigung und Kampf gegen das feudalabsolutistische Regime Ludwigs XIV. und die Herrschaft der Stuarts gemeinsam, Ideen der englischen Revolution wie der einsetzenden Aufklärung durchdringen ihre Schriften. Zu den Autoren gehören, bekanntgewordene Namen zeigen es, Diplomaten, hochrangige Mitglieder territorialer Hofhaltungen, Vertreter anderer Berufe, die mit Geschick die Feder zu führen wußten. Sie nutzten die literarischen Kunstgattungen und Stilmittel geschickt für ihre Zwecke, all die Schäferdichtungen, allegorischen Romane und Liebesgeschichten, fiktiven Briefwechsel, Huldigungsgedichte, Schauspiele, die meist in europäischem höfischen oder einem orientalischen Milieu angesiedelt waren. Das eigentliche Hof leben, vor allem das am Hofe Ludwigs XIV. und an den kleineren, ihn imitierenden Hof haltungen, stand in krassem Gegensatz zu den edlen Gefühlen, hochherzigen Handlungen und preisenswürdigen Protagonisten dieser Literatur, so daß ihre Travestierung nur zu nahe lag. Gekleidet in das bereits vertraute Gewand gängiger Lebens- und Liebesgeschichten berühmter und berüchtigter Personen wurden hier direkt oder in leicht durchschaubarer Verschlüsselung die Skandale, Intrigen, Affären der Zeit ausgebeutet, gedruckt, nachgedruckt, bearbeitet, wobei die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sich verwischen und die Phantasie mancher Autoren uns noch heute zu erfreuen vermag. Gespräche im Reiche der Toten, unter den irdischen Potentaten oder unter den Göttern des Olymp, aufgefangene Briefe, Träume, angeblich belauschte Gespräche, Begegnungen auf Reisen, Funde schriftlicher Aufzeichnungen Unbekannter, Befragungen von Orakeln schufen jene auktoriale Distanz, die vor Verfolgungen schützen sollte (12). Aber auch gebräuchliche Formen von Buchtiteln oder im Schwange befindliche Literaturgattungen dienten dazu, im vertrauten, unauffälligen Gewande Gedanken und Tatsachen zu verbreiten, die nicht immer autoritätskonform waren. Kataloge angeblicher Devotionalien und fiktiver Buchtitel, wie sie auch von Leibniz -und Grimmelshausen verfaßt wurden, erfundene Vorlesungsverzeichnisse, Grammatiken, Leichenpredigten, Ehrensäulen und Singspiele runden das Bild ab und zeugen von dem Einfallsreichtum der politisch-publizistischen Opposition. Mit der Annäherung an die "legale" Produktion der Zeit wurde es auch möglich, sich der Kanäle des Buchhandels zu bedienen und formal mit einem, wenn auch fingierten, Impressum den Zensurbestimmungen zu genügen.

In der Produktion des Verlages Marteau und thematisch verwandter zeitgenössischer Schriften ist Publizistik und Belletristik gleichermaßen von Fiktion und Realitätsbezug durchdrungen. Für die Zukunft fruchtbar wird vor allem jener Teil der belletristischen Produktion, dessen Inhalte sich von der Bindung an das höfische Leben lösen und dafür jene Elemente entwickeln, die vor allem für den Roman kennzeichnend waren. Während Christian Reuter, Hunold, Gressel, Bohse oder der erst in diesem Jahrhundert wiederentdeckte Johann Beer nur mit einzelnen Werken bei Marteau vertreten sind und ihren festen Platz in der Literaturgeschichte besitzen, sind einige der bemerkenswerteren Prosaschriften bis heute anonym geblieben. Das bewahrte siejedoch nicht davor, zusammen mit den Werken berühmterer Zeitgenossen vom harschen ästhetischen Urteil der Folgezeit getroffen und damit aus dem literarischen Bewußtsein der Nachgeborenen verdrängt zu werden. Der Mantel des Vergessens fiel auch über jene, die als Übersetzer, Bearbeiter, Herausgeber Werke des Auslandes oder früherer Zeiten dem Leser zugänglich machten.

Übersetzungstätigkeit gehörte zu den schlechtbezahlten, auf schnelle Leistung mehr als auf Sorgfalt und Texttreue orientierten Tätigkeiten, mit denen ein akademisches Proletariat einen Teil seines Lebensunterhaltes bestritt. Man mag manche dieser Übersetzungen daher mehr als informatorische Orientierungshilfen für den zeitgenössischen Leser denn als anspruchsvolle Nachschöpfungen betrachten. Das änderte sich erst im Laufe des 18. Jh. mit einer sich vertiefenden Rezeption englischer und französischer Literatur. Zur Zeit der französischen Revolution ist das, was nicht nur für Marteau, sondern auch für andere Verleger übersetzt wurde, zusammen mit der gesellschaftlichen Position der Übersetzer und den übrigen Bereichen ihres Schaffens aufschlußreich für die geistige Situation der Zeit.


 

Anmerkungen

  1. Rosenberg, R.: Der Kompetenzübergang der Literaturgeschichtsschreibung auf die Germanistik. in: Zeitschrift f. Germanistik 1 (1980) 3, S. 261-276.
  2. Kreyssig, G. Ch.: Verzeichnis von Büchern, die bey Peter Marteau zu Cölln herausgekommen sind. - (um 1735, Handschrift der ULB Halle).
  3. Moeltzner, A.: Zwanzig Jahre maskierter Druckerarbeit. Pierre du Marteaus Drucke 1660-1680 in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. in: Beiträge zum Bibliotheks- und Buchwesen. Paul Schwenke zum 20. 03. 1913. - Berlin 1913, S. 197-204.
  4. Bielschowsky, L.: Die sonderbare Geschichte des Kölner Druckers Pierre du Marteau. in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurt/M.) (1977) A 261-275. - (= Aus dem Antiquariat; 7).
  5. Koretzki, G.-R.: Kasualdrucke: Ihre Verbreitungsformen und ihre Leser. in: Gelegenheitsdichtung. - Bremen 1977, S. 37-68; Walther, K. K.: Kommunikationstheoretische Aspekte der Flugschriftenliteratur des 17. Jh. in: Zentralblatt f. Bibliothekswesen 92 (1978) 5, S. 215-221.
  6. Härtel, H.: Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel. Studien zum Erwerbungsvorgang. in Wolfenbütteler Beiträge 3 (1978), S. 235-282.
  7. Boghardt, M.: Analytische Druckforschung. Ein methodischer Beitrag zu Buchkunde und Textkritik. - Hamburg 1977.
  8. Walther, K. K.: Zur Typologie fingierter Druck- und Verlassene des 17. bis 19. Jh. in: Zentralblatt f. Bibliothekswesen 91 (1977) 2, S. 101-107.
  9. Walther, K. K.: 'Invisible College'. Entstehung und zeitgeschichtlicher Hintergrund eines Begriffes. in: Wiss. Z. Martin-Luther-Univ. Halle, Ges. u. sprachwiss. Reihe 31 (1981) 1, S. 77-87.
  10. Ein Beispiel ist Christian Wolffs kontinentale Ausstrahlung und die große Zahl offener und heimliclier Anhänger. Vgl. Ludovici, C. G.: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. - 3. verm. Aufl. - T. 1-3. - Leipzig 1738.
  11. Stephan, I.: Literarischer Jakobinismus in Deutschland (1789-1806). - Stuttgart 1976.
  12. Knight, K.: Die Träume des Simplicissimus, Philanders und Jan Rebhus. in: Daphnis 5 (1976), S. 276.

 

Literatur