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Die Entwicklung des Verlages Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

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Exkurs über die Zensur

 

Gekoppelt mit den vielfältigen Formen der Tarnung und Verschlüsselung ist ein Bereich, der nicht nur im Zusammenhang mit Marteau, sondern mit der literarischen Produktion der Vergangenheit eine Rolle spielt - die Zensur. Zensur ist das charakteristische Kennzeichen antagonistischer Klassengesellschaften und ein zwar eingeführter, niemals jedoch vollständig definierter Begriff für das Eingreifen staatlicher oder geistlicher Gewalt in den literarischen Kommunikationsprozeß in Form von Schreib- und Publikationsverboten, das Verbot des Druckes und Vertriebes bestimmter Titel entweder generell oder mit Ausnahmen für einen bestimmten Empfängerkreis, das Verbot des privaten Besitzes oder der allgemeinen Zugänglichkeit von Büchern in Bibliotheken. Legalisiert wurden diese Vorgänge durch Gesetze über Vorzensur, Einsendepflicht von Neuerscheinungen, Listen verbotener oder empfohlener Literatur, Auflagen an Buchhändler, Verleger und Bibliotheken. Die Durchsetzung konnte dabei mit unterschiedlicher Intensität erfolgen und war in ihrer Wirksamkeit davon abhängig, wieweit sich das feudalabsolutistische oder kapitalistische Staatswesen in Verwaltung und Infrastruktur organisiert hatte. In ihrer brutalsten Form äußert sich die Kommunikationskontrolle in der Verbrennung von Büchern, der Vernichtung oder gewaltsamen "Reinigung" der Bibliotheken von Privatpersonen, Körperschaften und Institutionen.

Dem Gedanken der möglichst weitgehenden Kornmunikationskontrolle liegt die Absicht zugrunde, auf dem Stand des vorhandenen Gedankengutes zu beharren, das Bewiesene nochmals zu beweisen und nur solche neuen Erkenntnisse zuzulassen, die für die Erhaltung des jeweiligen Machtsystems produktiv erscheinen. Die Idee des Neuen, Unbekannten, das bisherige Weltbild womöglich Verändernden bleibt ein Schrecken, den man nur durch Kontrollen oder Gängelung bannen kann. Es ist deswegen kein Wunder, daß der Begriff des Neuen in der Philosophie, den Erfindungen und Entdeckungen gerade im 17. Jh. eine solche Rolle für die Vertreter des aufstrebenden Bürgertums und der entstehenden Intelligenz spielte, so daß sich das Wort neu in unzähligen Büchertiteln in nahezu allen europäischen Sprachen findet.

Aus der Polarität zwischen dem Streben nach geistigem und wissenschaftlichem Fortschritt und den Interessen des Staates erwuchsen vor allem dann Spannungen, wenn Lösungen durch soziale und politische Veränderungen, wie etwa in England, nicht erfolgten. Die Geschichte einiger europäischer Länder zeigt, daß das bewußte Ignorierenwollen wissenschaftlicher, geistiger, kultureller Entwicklungen, die Abschnürung von ausländischen Einflüssen sich letztlich gegen die Urheber richtet und zu nur schwer aufholbarem Rückstand auf allen Gebieten führt. Die Erfolglosigkeit solcher aus der Angst vor zukünftigen Entwicklungen entstandenen Haltung und der damit einhergehenden Zensur charakterisierte Jacob Grimm treffend wie folgt:

"Des Verbots, der Censur blödsichtiges Auge vermag doch bloß in unmittelbarer Nähe und Gegenwart zu sichern, die drohenderen Übel der Zukunft gewahrt es nicht" (13).

Mit dieser Erkenntnis wird das Problem der Zensur von der Darstellung und Betrachtung einzelner Fälle zu einem allgemeinen politischen Problem, das in den Auseinandersetzungen des Vormärz und der Revolution von 1848 ein wesentliches Thema wurde. Es ist deshalb auch kein Zufall, wenn die ersten publizistischen Arbeiten von Karl Marx aus dem Jahre 1842 sich eingehend mit Zensurfragen beschäftigen (14). Der allgemeine Kampf gegen die Zensur wurde in der Folgezeit Teil des politischen Kampfes des um seine endgültige Emanzipation kämpfenden Bürgertums und der aufsteigenden Arbeiterklasse. Wenn auch die gelockerten Bestimmungen der Kommunikationskontrolle in den meisten kapitalistischen Ländern generelle Konflikte wie in früheren Jahrhunderten nahezu ausschlossen, so zeigten doch Einzelfälle, die z. T. auch namhafte Schriftsteller und Publizisten betrafen, daß das Problem dennoch fortbestand.

Verstöße gegen Zensurbestimmungen wurden aufgrund gesetzlicher Regelungen oder direkter Entscheidungen des Souveräns geahndet und reichten von der Konfiskation und Verbrennung des Corpus delicti durch den Henker bis zur Strafe an Körper und Besitz für Autoren, Hersteller und Vermittler. Wenn auch ein jeder dieser Fälle spektakulär ist und sich Milton in seiner "Areopagitica" veranlaßt sah, vor den Folgen von Zensur und Bücherverbrennungen zu warnen (15), so ist die Zensur des 17. und 18. Jh. doch nicht mit der Kommunikationskontrolle zu vergleichen, die z. B. ein faschistischer Staat des 20. Jh. auszuüben in der Lage ist.

Eine Kommunikationskontrolle, die flächendeckend und effektiv auf dem jeweiligen Herrschaftsgebiet arbeitet, ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Dazu gehört z. B. ein Verwaltungsapparat, der alle Verleger und Drucker samt ihren technischen Ausrüstungen und ihrem Geschäftsverkehr erfaßt und kontrolliert. Die Kontrolle des Außenhandels und ein strenges Zollregime kann die Einfuhr unerwünschten Schrifttums verhindern, die Reglementierung des Binnenmarktes die freie Verfügbarkeit von Papier, Maschinen und anderem Zubehör einschränken. Aber auch dort, wo der direkte Einsatz der Staatsgewalt die materielle Basis in Gestalt von Pressen und Typen zerstörte, mußte das nicht das Ende bedeuten. Der Druckvorgang war bekannt, und das Deutsche Reich sowie die angrenzenden Gebiete verfügten seinerzeit über hinreichend geschickte Handwerker, die erneut Typen und Gerät herstellen konnten. Das war ein zugegeben mühsamer und opfervoller Weg, der aber solange möglich war, wie entsprechende Handwerker verfügbar und das benötigte Material auf einem offenen Markt erhältlich war. Eine aufgrund der materiellen Voraussetzungen absolute Kommunikationskontrolle dürfte es im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jh. nur in Rußland gegeben haben, da hier keine privat betriebenen Druckereien existierten (16). Aber auch diese Aussage relativiert sich, trat doch dort an die Stelle des zensierten gedruckten Wortes das handgeschriebene Buch oder die handgeschriebene Zeitung. Es ist deshalb gerade für diese Zeit trügerisch, die Vermittlung und Wirkung von Ideen nur danach zu messen,wie sie im Druck verbreitet wurden. Aus den noch erhaltenen Korrespondenzen dieser Zeit läßt sich ablesen, wie eng das Netz diplomatischer, wissenschaftlicher und privater Kontakte über Europa gezogen war, ein Netz, um dessen Erhalt, Existenz und Nutzung sich Cromwell und die russischen Zaren gleichermaßen sorgten (17). Nicht zu vergessen sind die geistigen Einflüsse, die von solch führenden Universitäten wie Padua oder Leyden ausgingen.

Wenn man von der Kommunikationskontrolle in Deutschland spricht, so bietet sich ein so vielfältig schillerndes Bild, das sich einer Verallgemeinerung entzieht, wenn man nicht auch die Kräfte zeigt, die ihr entgegenwirkten. Dabei muß man bedenken, daß in einer antagonistischen Klassengesellschaft sich Staatsräson, Profit- und Klasseninteressen und persönliche Überzeugung der "Literaturproduzenten" in einer vielfältigen Brechung gegenüberstehen. Die wirtschaftliche Macht, die Drucker und Verleger zu entwickeln begannen, konnte sehr oft über die Handhabung der Kommunikationskontrolle entscheiden. Bekanntestes Beispiel ist das Schicksal der Frankfurter Buchmesse im 18. Jh., deren Besuch durch engstirniges Wirken der kaiserlichen Bücherkommission den Verlegern mehr und mehr verleidet wurde, so daß sie schließlich einging. Als Ratsmitglieder oder Teile der städtischen Verteidigungskräfte besaßen wohlhabende Buchdrucker einflußreiche Positionen, die sie zum Schutz ihrer Unternehmen und der ihrer Zunftgenossen nutzen konnten (18). Mit dem Risiko, das der Verleger/Drucker einer umstrittenen Schrift oder eines unbeliebten Autors einging, konnte er alles verlieren oder höchste moralische Anerkennung, ja vielleicht sogar materiellen Gewinn ernten - mit entschiedenem Auftreten von mutigen Männern, die sich durch ihre Erziehung und geistige Entwicklung nur ihrem Gewissen verpflichtet fühlten, gelang es vielfach, den zu engen Spielraum gegen den Widerstand der Obrigkeit zu erwidern oder, wo diese doch die Oberhand behielt, sie in ihrem eigentlichen Wesen bloßzustellen.

Eine der Grundlagen der Kommunikationskontrolle in den katholischen Territorien des Deutschen Reiches war der immer wieder aufgelegte "Index Romanus" der Zensurkommission des Heiligen Stuhls. Zeitgenossen in nichtkatholischen Ländern verwendeten ihn, wie etwa der erste Bibliothekar der Bodleiana, Thomas James, um zu wissen, welche Bücher und Ausgaben zu kaufen seien (19).

Für das Reichsgebiet ga,Iten des weiteren die Vereinbarungen von Augsburg (1555) und Münster (1648/49), die in den Wahlkapitulationen der deutschen Kaiser als Grundlage für den Religionsfrieden stets von neuem beschworen wurden. Der Reichsabschied von Speyer (1570) wird in der Literatur als besonders einschneidend betrachtet, beschränkte er doch die Druckereien auf Reichs-, Universitäts- und Residenzstädte und untersagte den Betrieb sog. Winkeldruckereien. In Wirklichkeit widerspiegelt sich hier nur der wirtschaftliche Konzentrationsprozeß auf diesen Gebiet, denn hier wird, vergleichbar anderen Gewerben, eine Art Gerechtsame verliehen. Die 1-nfrastruktur Deutschlands zu jener Zeit ließ es einfach nicht zu, außerhalb dieser Zentren des wirtschaftlichen, politischen und geistigen Lebens eine Druckerei mit Gewinn aufrechtzuerhalten. Erst seit dem Ende des 19. Jh. war es möglich, daß sich in kleineren Orten z. B. Sachsens und Thüringens leistungsfähige Druckereien von überregionaler Bedeutung entwickelten.

Das Schwergewicht der Überwachung lag bis ins 18. Jh. hinein bei religiösen Schriften, sollte doch damit vermieden werden, daß die Streitigkeiten innerhalb der Richtungen des Protestantismus oder zwischen Protestanten und Katholiken erneut auflebten. Der für Zensurfragen zuständige Reichshofrat verbot des weiteren solche Schriften, die den Frieden innerhalb des Reiches gefährden oder Unannehmlichkeiten mit auswärtigen Mächten bringen konnten, die verfassungsmäßige Ordnung des Reiches in Frage stellten oder Kaiserhaus und Reichsstände angriffen (20). Eine generelle Verschärfung der Zensur und eine besondere Beaufsichtigung der Zeitungen und Zeitschriften setzte nach der Wahlkapitulation Leopolds II. ein, die unter dem unmittelbaren Eindruck der französischen Revolution 1790 erfolgte. Danach sollten keine Schriften geduldet werden, durch die "der Umsturz der gegenwärtigen Verfassung oder die Störung der öffentlichen Ruhe befördert wird" (21). Den Zeitungen wurde untersagt, französische Vorgänge oder die Bedrohung des Reiches durch Frankreich zu behandeln. Auch nach dem Zerfall des alten Reiches wirkten die Zensurgesetze fort, die nach dem Wiener Kongreß in den sogenannten Karlsbader Beschlüssen (1819) in verschärfter Form neu festgelegt wurden, um alle kritischen und unbotmäßigen Stimmen zu unterdrücken. Der Kampf gegen diese drückenden Zensurbestimmungen wurde zum Teil des allgemeinen politischen Kampfes und führte in der Revolution von 1848 zur Abschaffung dieser Bestimmungen.

Die hier skizzierten Regelungen bildeten den Rahmen der Zensurbestimmungen, die durchzusetzen den jeweiligen Territorialgewalten vorbehalten blieb. So wurden in Sachsen und Preußen nach Möglichkeit Fachleute, vor allem aus dem Kreis der Hochschullehrer, herangezogen. Auch die Zensurregelungen für die Universitäten und Akademien dürften in den protestantischen Landesteilen großzügiger gewesen sein, um auf diese Weise Gelehrte im Lande zu halten oder ins Land zu holen.

Stadtstaaten wie Nürnberg (22) oder Hamburg reagierten vor allem dann, wenn aus einer Veröffentlichung direkte Gefahren für das Gemeinwesen zu erwachsen schienen. Als um die Wende vom 17. und 18. Jh. in Hamburg tiefgreifende theologisch genährte Unruhen ausbrachen, erließ 1707 der Rat erneut ein "Mandat wegen der Pasquillen", in denen deren Herstellung und Vertrieb unter Strafe verboten wurde (23).

Das Bild obrigkeitlicher Bevormundung wäre jedoch zu einseitig, würde man nur den über den Buchhandel offiziell vertriebenen Teil der literarischen Produktion betrachten. Nur zu leicht wird übersehen, daß auch oder gerade Literatur politischen oder anderweitig kontroversen Inhalts ebenso wie bestimmte Kategorien des Kleinschrifttums außerhalb des Buchhandels, z. T. in einem in sich geschlossenen "zweiten Markt" (Koretzki), vertrieben wurde. Hier handelte es sich um die direkte Zusendung an den potentiellen Leser. Beispiele sind die vielen Flugschriften, die trotz der gesetzlichen Bestimmungen in den meisten Fällen Verfasser und Impressum vermissen lassen, ein Brauch, der in den protestantischen Territorien noch stärker ausgeprägt gewesen zu sein scheint als in den katholischen. Ein noch heute für diese Gepflogenheit anzutreffendes Indiz ist, daß in Bibliotheken, deren Bestände auf private Sammlerinitiative oder Einbindung in bestimmte Kommunikationsnetze zurückgehen, diese Art Literatur stärker vorhanden ist als in solchen, die weitgehend nur auf Erwerbungen aus einem schmalen Etat und die Angebote des Buchhandels angewiesen waren.

Unterschiede in der Kommunikationskontrolle gab es auch zwischen Büchern und periodischen Schriften, vor allem Tageszeitungen. Wie Tschirch (24) ausführt, waren Zeitschriften und Zeitungen wesentlich stärker von der Schere des Zensors, von Verbreitungsbehinderungen und direkten Verboten betroffen als die Vielzahl der Einzelschriften, die zwischen 1790 und 1820 das Licht der Welt erblickten.

Mit diesen Ausführungen kann das Umfeld der verlegerischen Aktivitäten Pierre Marteaus nur umrissen werden - Details bleiben den Darstellungen einzelner Zeitabschnitte vorbehalten, deren wechselnde Voraussetzungen auch das "Verlagsprofil" mitbestimmten.


 

Anmerkungen

  1. Grimm, J.: Über seine Entlassung. - Basel 1838, S. 32.
  2. Marx, K.: Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion. in: Marx/Engels: Werke, Bd. 1. -Berlin 1958, S. 3-25; Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags; Debatten über Preßfreiheit und Publikationen der Landständischen Verhandlungen. Ibid. S. 28-77.
  3. Milton, J.: Areopagitica. in: Complete prose works. - Vol. 2. - New Haven 1959, S. 480-570.
  4. Luppov, S. P.: Kniga v Rossii v poslepetrovskoe vremja (1725-1740). - Leningrad 1976.
  5. Welke, M.: Rußland in der deutschen Publizistik des 17. Jh. in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 23 (1976), S. 105-276; Simonov, V. I.: Deutsche Zeitungen des 17. Jh. im zentralen Staatsarchiv für alte Akten (CGADA), Moskau. in: Gutenberg-Jahrbuch (1979), S. 210-220; Das Am Augusto 1704. Glücklich besiegte Narva. Cölln by Peter Freymund, Bl. A2ff.
  6. Reuter, W.: Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Buchdruckgewerbes im Rheinland bis 1800 (Köln, Bonn, Düsseldorf). in: Archiv für Geschichte d. Buchwesens 1 (1958), S. 642-726, bes. S. 681.
  7. Hill, Ch.: Intellectual origins of the English revolution. - Oxford 1966, S. 25.
  8. Eisenhardt, U.: Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. - Karlsruhe 1970, S. 126-127.
  9. Eisenhardt, U.: a. a. 0., S. 129.
  10. Sporhan-Krempel, L.: Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700. - Nürnberg 1,968.
  11. E. Edl. Hochw. Rahts der Stadt Hamburg Mandat wegen der Pasquillen. - Hamburg: Neumann 1707.
  12. Tschirch, 0.: Geschichte der öffentlichen Meinung in Preußen. - 1. 2. - Weimar 1933-1934.

 

Literatur