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Die Entwicklung des Verlages Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

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Von der ersten Erwähnung bis zum Tode Ludwigs XIV.

 

Freschot, Der Galante Congress (Cölln: Marteau, 1714)

 

Als im Jahr 1663 erstmals von Louis und Daniel Elzevier in Amsterdam als Erscheinungsort Cologne und als Drucker/Verleger der Name Pierre du Marteau verwendet wurde, konnte man diesen Namen für eine der vielen Verkleidungen halten, mit denen die Zweige dieses Verlagshauses Teile ihrer Produktion zu tarnen pflegten. Nach den Angaben bei Willems (25) sollen sie insgesamt 74 Tarnnamen verwendet haben, von denen sich eine Reihe im Laufe späterer Forschungen als die Namen von Lohndruckern herausstellten. Während heute die Existenz eines Druckers wie Pieter/pierre le Grand belegt ist (26), können Namensbildungen wie Jacques le Jeune, Pierre le Sincère, Pierre le Petit auch als Analogbildungen zu einem vorhandenen Vorbild angesehen werden. Hinzu kamen als Tarnnamen längst erloschene Firmenbezeichnungen etwa von Frühdruckern und als beliebter fingierter Erscheinungsort Köln.

Das war nicht allein die Reverenz vor einem auch für die Niederlande bedeutsamen. Umschlagplatz für Nachrichten und Waren, sondern auch die Erinnerung daran, daß das Erscheinen der ersten Auflage des berüchtigten "Hexenhammers" von Jacob Sprenger und Heinrich Institoris (1486) durch ein gefälschtes Gutachten der Kölner Universität begleitet wurde. Als Sitz eines Erzbischofs, der am Ausgang des 17. Jh. eine wichtige Rolle in der Landes- und Reichspolitik spielte, war Köln gleichzeitig das Zentrum strenger katholischer Observanz im Rheinland, dessen weltliche Händel auch die Niederlande berührten. So mag die Wahl dieses Erscheinungsortes eine Form subtiler Ironie darstellen, wie es bei antikatholischen Schriften mit dem fiktiven Erscheinungsort Rom. der Fall ist.

Bei dem vorliegenden Namen dürfte es sich um die Übersetzung von Kölner Häusernamen ins Französische handeln. In der Straße "Unterfettenhennen" waren bis zum Ende des 18. Jh. die Drucker und Buchhändler zu finden. Eines der Häuser, Nr. 9, hieß in der einen Hälfte "Zum Hammerstein", in der anderen "Brothalle", und wurde u. a. von den namhaften Buchdrucker- und -händlerfamilien Mylius und Hierat genutzt (27). Übersetzt man das Wort "Hammerstein", so ist das Ergebnis Pierre du Marteau, die Namensform, die bei den ersten Drucken verwendet wurde. Mit dem schon früh erfolgten Wegfall des "du" wurde dieser Bezug später verwischt, mit der Rückübersetzung ins Deutsche ging er vollends verloren. Und noch eine weitere mögliche Quelle findet sich im Bereich dieses Wortfeldes. Ein Drucker namens Peter Steinbüchel/-buchel war zwischen 1665 und 1677 als Lohndrucker und Druckerverleger in Köln im "Goldschläger" vor dem Minoritenkloster tätig. Die auch in der kölnischen Mundart bestehende Verwandtschaft des zweiten Wortteiles zu hochdeutsch "pochen, schlagen, hämmern" läßt hier einen weiteren Hinweis auf die Erklärung des Namens zu. Wie aus dem Verzeichnis Kölner Drucker von Büllingens (28) zu ersehen ist, druckte und verlegte er in den siebziger Jahren lediglich lateinische Schriften, die ebenso wenig wie der dem Autor bekanntgewordene deutschsprachige Druck etwas mit dem Themenkreis Marteaus zu tun hatten.

Bleibt man bei der vordergründigen Worterklärung und Übersetzung, so fällt auf, daß bei französischen fingierten Firmennamen auch der Name Paul L'Enclume (= Amboß) als Antonym auftaucht. Dieses Impressum wurde, soweit bekannt, von deutschsprachigen Druckern und Verlegern lediglich im Jahre 1690 bei der Schrift "Endymions Erneuerte Relation aus dem Parnasso" verwendet, wo es lautet: "Gedruckt bei Peter Marteau, und verlegt von Jacob L'Enclume".

Die Verwendung der Begriffe "Hammer" und "Amboß" legt aber auch die Vermutung nahe, daß die ursprüngliche Verwendung des Namens durch zeitgenössische Vorstellungen aus dem Bereich der Symbolik und Emblematik bestimmt wurde.

Auffallend ist jedoch, daß der Vielschreiber und Kompilator Johann Samuel Adami (Pseudonym Misander) in seiner 1695 erschienenen Zusammenstellung über "Bücher-Freunde und Bücher-Feinde" nach Seneca ausführt "Eines Weisen Gemüthe ist wie ein Ambos/ der sich vor keinem Hammer fürchtet/ daß es heist:

Oder/ wie man siehet/ daß der Hammer von dem geschlagenen Ambose wieder in die Höhe und zurücke springet: (...)

Die relativ großzügigen Zensurbestimmungen der Niederlande, die noch dazu in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich gehandhabt wurden, und ein weitblickender Geschäftssinn ließen das Land zu einem der Zentren europäischer Buchproduktion werden. Eine gediegene, zuverlässige typographische Ausstattung, die Veröffentlichung wissenschaftlicher Werke von Autoren aus allen Teilen Europas und die Mittlerstellung im europäischen und beginnenden überseeischen Nachrichtengeschäft schufen für das Buchgewerbe nahezu konkurrenzlose Existenzbedingungen. Obwohl wiederholt in ihrer staatlichen Existenz schwer bedroht, waren die Niederlande dennoch Exilland für Flüchtlinge unterschiedlicher Herkunft und Anschauung, aber auch Zuflucht und Lebensmöglichkeit für Studenten, Künstler und Gelehrte aus den unter Kriegen, religiöser und politischer Intoleranz leidenden übrigen europäischen Territorien. Unter den Autoren, die in den Niederlanden veröffentlicht wurden, muß man unterscheiden zwischen solchen,

In- und ausländische Publizisten, "Zeitungsschreiber" und Diplomaten nutzten die Pressen der Niederlande, um in nahezu allen europäischen Sprachen die Stellungnahmen ihrer Auftraggeber zu verbreiten. Die europäische politisch-publizistische Oppositionhatte eines ihrer stärksten Zentren hier und verstand es, ihre Schriften auch bei den wichtigsten Kontrahenten zu verbreiten, am Hofe Ludwigs XIV. und am englischen Hofe. Wie gefürchtet diese Schriften waren, zeigt das erfundene Gespräch einer Waise mit der Madame Maintenon, in dem sie sich über ihr ungewisses persönliches Schicksal beklagt und berichtet, daß sie nur durch holländische Schriften über den Zustand des Landes die Wahrheit erführen:

"Wann wir nun den warhafftigen Zustand Franckreichs wissen wollen/ müssen wir uns in frembden Landen umthun und auß Holland und anderen Orten die Buchlein kommen lassen die deßwegen außgehen/ und uns das Königreich in seinem warhafften Zustand darstellen..." Madame de Maintenon, die bis dahin schweigend zugehört hatte, "wurde ... bald bleich/ bald roht/ und veränderte in einem Augenblick wohl 1000. Mahl die Farb ..." (30).

Wird die Wirkung dieser holländischen Schriften und der eingestreuten Spottverse hier noch dichterisch eingekleidet, so war die Furcht vor ihnen nicht ganz unbegründet. Im Jahre 1688 erwartete die Gemahlin Jakobs II. von England ein Kind. Spekulationen noch vor der Geburt gingen fest davon aus, daß es endlich der erwünschte männliche Erbe wäre, der die Thronfolge der Stuarts sichern würde. Diese Behauptungen und gewisse Abweichungen vom üblichen Zeremoniell bei der Niederkunft der Königin ließen das Gerücht entstehen, die Schwangerschaft sei vorgetäuscht gewesen und der Erbe das "beygeschoben Kind" eines Müllers. Diese Behauptung wurde i.m Handumdrehen in ganz Europa verbreitet und trug zur moralischen Diskreditierung der Stuarts und ihrem Sturz erheblich bei.

Zu den fiktiven Impressa, die für französische Publikationen verwendet wurden, gehörte seit 1663 zunehmend die Bezeichnung Cologne, Chez Pierre (du) Marteau. Mit diesem Impressum erschien eine breite Palette von sog. Lebens- und Liebesgeschichten der französischen Hofgesellschaft, ihrer Skandale und Intrigen, von politischen, philosophischen, die Auf klärung einleitenden Schriften und von zeitgenössischer französischer Belletristik.

Autoren und Themen der unter falscher Flagge publizierten Schriften bilden ein relativ homogenes Feld. Die ideologischen Prämissen und politischen Zielstellungen der Autoren, ihre persönlichen Beziehungen und geistigen Affinitäten sowie die Gruppierung um bestimmte Medienformen lassen sie als eine Art unsichtbares Kolleg erscheinen.

Anders sah es beim deutschsprachigen Teil der Marteau-Produktion aus. Erst rund 20 Jahre nach dem Erscheinen des ersten französischen Drucks ist ein deutschsprachiger Druck nachweisbar, also erheblich früher als bei Weller verzeichnet. Was unter diesem Impressum in den folgenden Jahren erscheint, gehört weitgehend in den Bereich der politisch-publizistischen Opposition und der von ihr verfaßten "räsonnierenden" Flugschriften, also Kommentar und Analyse des Geschehens nebst satirisch-polemischer Ausgestaltung. Zahlenmäßig ist es nur ein Bruchteil der Produktion der Zeit, verzichteten doch deutschsprachige Flugschriften fast durchgängig auf Erscheinungsort, Drucker bzw. Verleger. Umfangreichere Schriften, etwa aus dem Bereich der französischen "Chronique scandaleuse", erschienen hierunter kaum. Damit entsprach die Produktion vorerst dem Streben nach Vielsprachigkeit, durch das eben zu dieser Zeit auch MarteauTitel in Englisch, Niederländisch, Latein und Italienisch nachweisbar sind. Erst in den neunziger Jahren begann eine deutliche Absetzbewegung von fremden Titeln und Themen hin zu deutschen Problemen und Werken der Belletristik. Das hängt damit zusammen, daß mit der Thronbesteigung des Hauses Oranien in England Frankreichs Hegemonialbestrebungen in Europa einen empfindlichen Rückschlag erlitten hattenund sich die europäische politisch-publizistische Opposition mit der einsetzenden Stabilisierung der Verhältnisse verstärkt auch anderen Schauplätzen des Geschehens zuwenden konnte. Wie groß die Sympathien für Wilhelm III. waren, zeigt sich daran, daß in den Veröffentlichungen der Jahre 1688/89 Wilhelm statt Pierre Marteau steht.

Am Anfang der deutschsprachigen Veröffentlichungen steht Pollidore de Warmonds Schrift "Der wahre Ursprung Gegenwertiger Frantzösischen Macht" (1683). In ihr wird der Zustand Frankreichs satirisch und der des Deutschen Reiches besorgt analysiert und vor leichtfertigen Friedenshoffnungen gewarnt. Der Tenor der Schrift und damit auch des größten Teils der künftigen Marteau-Produktion wird deutlich, wenn es darin heißt:

"Es sind die grössesten Monarchien iederzeit auf dem Schweiß und Bluth der Armen Unterthanen zu deren Ewigen Mehrung und Taurhafftigkeit gegründet gewesen ... ".

Hiermit beginnt, wesentlich früher als bei Weller und anderen Bibliographien angegeben, die deutschsprachige Produktion des Hauses Marteau. Bereits ein Jahr später folgte eine Schrift, die von den englischen Emigranten auf dem Kontinent ausgegangen sein dürfte, nämlich eine Rechtfertigung des englischen Republikaners Sir Algernon Sidney, der nach dem fehlgeschlagenen Rye House Plot gegen den englischen König Karl II. unter rechtlich anfechtbaren Beschuldigungen hingerichtet worden war (31). Seine Schrift erschien sowohl bei Marteau als auch mit ähnlichem Titelblatt und gleichem Umfang ohne Angabe eines Verlegers, beide versehen mit Anmerkungen, die sichtlich für den deutschen Leser bestimmt waren. In bewegenden Worten sieht sich Sidney als Zeuge für Gottes Gnade, nachdem er zuvor ausgeführt hatte,

"Daß die Obrigkeit dem Volck zum besten; nicht aber das Volck zum Ehrenprangen der Obrigkeit gesetzt seye; Daß der Obrigkeit Recht und Macht in jedem Lande so bewand sey/ und so weit gehe/ als selbigen Landes Gesetze/ Derselben geben; Daß/ dafern solche Gesetze/ und die darauf geleistete Eydt/ welche die Krafft eines Vertrags/ zwischen Obrigkeit und Unterthanen einführen/ alterirt werden solten/ deren Schändung ohne Gefahr/ das gantze Gebäu niederzureissen/ nicht geschehen könne".

In der Schrift "Das bey gegenwärtigen Conjuncturen in sich selbst Verwirte Franckreich" (1689) wird dargestellt, wie unter dem Vorwand der Religion Kriege und territoriale Veränderungen inszeniert werden:

"Die Land-verderbliche Regiersucht weltlicher Regenten ist von einer solchen durchtriebenen List und Verstellung/ indem sie so viel scheinbare Praetexte und Deck-Mantel/ dero Begierden darunter zu verbergen/ auszufinden weiß/ daß zuweilen auch wol die Staats-verständigsten dadurch verwirret/ und in ein zweiffelhafftes Urtheil gesetzet werden. Unter solchen Praetexten aber seynd insgemein die vornehm- und gültigsten Religio und Libertas Patriae, zwey ponderose Simulacra, durch welche man seinen Länderbegierigen Waffen die bunte Farbe anzustreichen/ andere Partheyen auf seine Seite zu ziehen/ sonderlich aber den leicht aufzureitzenden Pöbel Eblouissements einnehmen und zu seinem Vortheil in Harnisch bringen kan."

Der größte Teil der bis in die neunziger Jahre erschienenen Schriften war anonym oder pseudonym erschienen und entsprach dem Inhalt und äußeren Bild nach den räsonnierenden Flugschriften der Zeit. Neben sie traten in der Folgezeit auch gewichtigere Abhandlungen, deren Autoren bekannt waren. Hierzu gehört die Darstellung der dänischen Verhältnisse unter der Herrschaft Christians V. von Robert Molesworth (32). Für die Nachwirkung ist vor allem das Vorwort von Bedeutung, das, aus einer radikal-kritischenPosition der Frühauf klärung geschrieben, sich gegen absolutistische Herrschaftsausübung, religiöse Bevormundung und für eine allgemeine Bildung ausspricht, Themen, die in vielfacher Form zur damaligen Zeit aufgegriffen wurden: "Eine schöne Belesenheit und das Reisen/ seynd das bewährteste Gegen-Mittel wider das Gifft der Tyranney" (Blatt Biii). Das durch die Forschungen von Ries (33) widerlegte Gerücht, das Buch sei in England verboten, und die kontinentalen Übersetzungen, die darauf bei Marteau erschienen, riefen mehrere Ausgaben hervor und trugen dazu bei, daß englische aufklärerische Ideen stärker verbreitet wurden, als wenn das Buch ohne diesen Nimbus erschienen wäre.

Als im Jahre 1696 der polnische König Jan Sobieski starb, wurde die Wahl eines Nachfolgers zum Gegenstand eines internationalen Intrigenspiels, in dem die frankreichorientierte Partei mit der Witwe Sobieskis an der Spitze für den französischen Prinzen Conty eintrat. Erst durch den Einfluß Österreichs gelang es, den Kurfürsten Friedrich August von Sachsen zum König wählen zu lassen, der deswegen zum Katholizismus übertrat. Dieses Gerangel um die Macht lenkte aber den Blick auf Polen und seine geschichtliche Entwicklung. Gaspar de Tende beschrieb vor allem den Zustand Polens (1697), wobei in der ausführlichen Inhaltsangabe auf dem Titelblatt der deutschen Übersetzung die Erwähnung der "eingeschränckten Gewalt" der polnischen Wahlkönige auffällt. Auf die Gepflogenheiten der Wahlmonarchie seit ihrem Bestehen geht La Bizardière ein. Die eine Ausgabe seines Werkes trägt den neugierig stimmenden Titel "Der sarmatische Wahlschoppen", während eine andere Ausgabe im Stil der Zeit "Der Curieuse und vollkommene Polnische Staats-Mann" heißt.

Schon bald darauf sollte ein weiteres Ereignis die europäischen Mächte beschäftigen und zu folgenreichen militärischen Verwicklungen führen. Mit dem Tode des kinderlosen Karl II. von Spanien stand dort das Erlöschen der habsburgischen Linie bevor, und so erhoben Frankreich, der deutsche Kaiser und auch Bayern Anspruch auf den Thron, da sie sich aufgrund der bestehenden verwandtschaftlichen Bindungen zur Erbfolge berechtigt glaubten. Nach dem Tode Ka,rls ergriff der Enkel Ludwigs XIV., Philip von Anjou, Besitz vom spanischen Thron; diesem Machtzuwachs Frankreichs mit seinen militärischen und politischen Folgen suchten die europäischen Mächte, auch die nicht direkt an der Erbfolge beteiligten, zu begegnen durch eine Tripel.allianz zwischen Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, der auch Portugal beitrat. Das Ergebnis war eine unter dem Namen "Spanischer Erbfolgekrieg" bekannt gewordene Folge von Feldzügen und Schlachten, die teils durch die wirtschaftliche Erschöpfung Frankreichs, teils durch Sonderinteressen der Beteiligten mit den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt 1713 und 1714 beendet wurden und deren Ergebnis kaum im Verhältnis zu den wirtschaftlichen, politischen Folgen und den Leiden der Bevölkerung der betroffenen Länder stand.

Wie üblich, wurden alle dieser Aktionen durch die entsprechende Propaganda begleitet. Daneben finden sich aber auch Töne der Ungeduld über die immer neuen Kriegslasten. So findet sich am Schluß von "Der Martialische Unglücks-Stern" (1701) die Sehnsucht nach Frieden:

"Viele tausend unter denen Christen wünschen/ daß der Fürst des Friedens/ der denen Blutgierigen feind ist/ dieses gefährliche Kriegs-Wetter bald vertreiben und denen Christl. Ländern einen beständigen Frieden gönnen möge."

Wesentlich schärfer ist der Ton in "Die Aller-Christlichsten Fragstücke ... Ludovici XIV. ... " (1706). Ein Reisender aus einem Lande, das "zwischen den Hottentotten und den Elyseischen Feldern" liegt, nennt die Staatsprinzipien seines Heimatlandes, diedas Idealbild einer aufgeklärten Wahlmonarchie darstellen, und erhält darauf von Ludwig XIV. Antworten zu Religions- und Regierungsangelegenheiten, die Muster absolutistischer Regierungsauffassung sind. Der Fremde schließt aus den Außerungen zur Religion, daß die französische Auffassung "der nechste Weg zum Atheismo sey" (S. 8). Üeber die Gelehrten äußert sich Ludwig wie folgt:

"Den Gelehrten kan man nicht besser an das Hertz greiffen/ als wenn man bißweilen die Mißgeburten ihrer Einfälle belohnet/ und sich von außen anstellet/ als ob man an ihren papiernen Kram ein belieben trüge. Wenn sie das sehen/ so opffern sie alle Kräffte ihres Verstandes dem Wohlgefallen ihres Fürstens auf/ und bemühen sich Hauffenweise/ denjenigen mit ihren Lobsprüchen biß an den Himmel zu erheben/ welchen sie zu anderer Zeit bis in den Abgrund des Flußes der Vergessenheit stürtzen würden" (S. 10).

Gerade die Verwicklung der katholischen Mächte in Auseinandersetzungen, die mit dem vielbesch,worenen christlichen Bekenntnis nichts zu tun hatten, riefen auch deutlich antikatholische Schriften hervor wie "Die Ungarische und Sevennesische Unruhen" (1705). Alle sozialen und konfessionellen Unruhen der Zeit, in denen sich, wie in Ungarn und den Sevennen, das Volk erhob, werden den Machenschaften und Intrigen der katholischen Geistlichen zugeschrieben. Gegen den katholischen Gewissenszwang werden die Aufrührer verteidigt und die Greuel ihrer Verfolger genannt:

"So ist auch wol zu glauben/ ... / daß die Camisards nicht alle so schlimm seyn/ wie sie insgemein von ihren Feinden ausgeschrien werden/ da sie/ wie aus ihren gedruckten Manifest erhellet/ nur die Gewissens-Freyheit/ die ohndem in keines Menschen Gewalt/ praetendiren. Und wie offt hat man gehöret/ daß man einen unschuldigen wehrlosen hauffen Weiber/ Kinder und alter Leute/ die niemand schaden können/ noch wollen/ und nur zum Gebet sich versamlet/ überfallen/ verbrandt und massacriret habe" (S. 7).

Als die englische Königin Anna im Jahre 1712 vor dem Parlament Pläne eines Friedens mit Frankreich verkündete, bedeutete das de facto das Ende der antifranzösischen Koalition und ihre erhebliche Schwächung auf dem Kontinent. Jean Dumont sieht in der Vorrede zu "Das seuffzende Europa" (1713) darin nicht nur den Ausdruck weiblichen Wankelmutes und das Ergebnis französischer Bestechungen durch "ein Praesent von vielen Bouteillen delicaten Weins", sondern er sieht auch, daß "um ein Nichts gleichsam die gantze Welt Menschen aufgeopfert: Um ein Nichts seind unbegreiffliche Unkosten angewendet". Erinnert wird auch daran, daß der Großvater Annas, Karl I., "seinen Königlichen Halß deswegen lassen [mußte]/ weil er/ der Engelischen Freyheit und Gesetzen zu nahe getreten zu haben beschuldiget ward. Meinet denn das Engelische Ministerium, daß es in weniger Missethat stecke?". Bekannt war dem Verfasser auch, daß Jonathan Swift in die innenpolitischen Ränkespiele, die zu dieser Entwicklung führten, verwickelt war und sie im Auftrage der Königin rechtfertigen sollte: "Die Königin soll zwar dem D. Swibst (!) dessen Widerlegung aufgetragen haben/ alleine wie dieser Mann so hellen Wahrheiten eine Finsternuß mit Bestande werde erwecken können/ ist kaum abzusehen".

Unter der Regierung Annas wurde auch die mögliche Wiedereinsetzung der Stuarts auf dem englischen Thron erörtert, ein Gedanke, der in England ebenso wie auf dem Kontinent Unruhe auslöste. Im "Leben des Ritters von St. George", wie der Beiname des Praetendenten lautete, wird vermutlich von einem englischen Publizisten Königin Anna verteidigt und gegen die Anwartschaft der Stuarts Partei ergriffen. Eine solche Schrift durfte des Interesses bei den deutschen Lesern sicher sein, war doch das Haus Hannoverbereits als Nachfolgedynastie im Gespräch - der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover war der Ururenkel Jakobs I. von England, während die 13 Kinder Annas früh gestorben. waren. So erschien diese Schrift 1713/14 in mehreren Ausgaben und Auflagen, darunter auch bei Marteau. Nach der Vorrede zum zweiten Teil (1713) wurde sie zweimal in Deutschland übersetzt, die erste Auflage war binnen weniger Wochen verkauft.

Es ist ein Kennzeichen der Flugschriften jener Jahre, auch der nicht bei Marteau erschienenen, daß sie vom aktuellen Anlaß oft auf die Verhältnisse des jeweiligen Landes eingingen, Kompilationen und Plagiate mischen sich hier mit eigenständigen, oft scharfsinnigen Analysen und Schilderungen der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse, wie sie die Autoren aus eigener Anschauung und durch Reisen gewonnen haben. Die Behandlung von "Staatsfragen", Titel mit Worten wie "Staats-Orakel", "Staats-Balance", "Staats-Frage", "Staats-Mann" usw. gaben diesem Genre den Titel "Staats-Schriften". Ihre theoretische Untermauerung erhielten sie durch die sich am Ausgang des 17. Jh. entwickelnde "Staatswissenschaft". Nachhaltigen Einfluß übte weit über das Deutsche Reich hinaus Samuel Pufen.dorfs wiederholt aufgelegtes Werk "De statu imperii Germanici" (1667) aus, wie auch Marteau-Titel wie "Discurs von Land-Ständten" (1709, 1710) oder "Gedancken von dem Ursprung und Unterscheid Des Adelichen- Burger- und Bauer-Standes in Teutschland" (1710) zeigen. Hier findet sich eine kritische Betrachtung zeitgenössischer Verhältnisse vor dem Hintergrund eines idealisierten Blickes in die Geschichte:

"Wer nur ein wenig in denen alten römischen Historien geübet ist, der wird bald sehen, daß es mancher Knecht bey den Römern besser gehabt/ als heut zu Tage bey einem kleinen Fürsten ein Cantzler ... Und aus der Historie ist genugsam bekannt, daß keine Herren ihre Knechte ruder gehalten als eben diese Christliche Herren Bischöffe" (S. 11).

Städte sieht der Autor als von Bischöfen gegründet an wegen ihres Hanges zum Wohlleben, Orte wie Trier, Mainz, Köln, Straßburg, Speyer, Worms, Augsburg entstanden, weil die Deutschen dort von Römern angesteckt wurden und von alter deutscher Sitte abgewichen sind.

Pufendorf veröffentlichte seine Werke unter dem Pseudonym Veronensis Severinus de Monzambano. Aus der Kontraktion des Pseudonyms entstand der Name Sevaramber für Bewohner eines südlichen Landes, wie er erstmals durch Denis Vairasse d'Alais in seiner "Histoire des Sevarambes" (1677-79) verwendet wurde. Die Lehren Pufendorfs, die von ihnen ausgehenden Denkanstöße und dieser Begriff ergaben eine vielfältige Brechung in. der zeitgenössischen Literatur, wie es etwa das Werk des produktiven Paul Jacob Marperger (1656-1730) zeigt, der in seinen Schriften ausführliche Vorschläge zur Hebung der Wirtschaft eines Staates und zu seiner inneren Ordnung machte. So lautet der Titel seiner 1722 veröffentlichten Schrift "Abbildung einer ... Vollkommenen Republic, Ohne daß man daßfalls auf eine Platonische Utopische, oder Severambische etc. zu verfallen Ursach habe Die Travestierung dieser Gedanken in einer umgangssprachlich gefärbten Redeweise und in ungelenkem Stil stellt die ohne Erscheinungsjahr erschienene Schrift P. Mori "Beatior Utopia Oder Entwurff Einer Paradigmatischen Policey" dar. Mit moraltheologischen Gründen wird dargelegt, warum ein Leben in Bescheidenheit, aber mit gleicher Güterverteilung nützlich sei. Interessant sind seine Vorschläge zur Regulierung des Geldumlaufs, der Warenproduktion und des Absatzes. Zu vermuten, wenn auch nicht zu beweisen, ist, daß der Autor Marperger selbst war, der hier in volkstümlicher Sprechweise seine Ideen zu verbreiten sucht. Dafür spricht folgende Stelle:

"Habe dieses alles/ in einem größeren scripto weiter ausgeführtet/ welches wol nützlicher zu lesen wäre/ weils umständlicher/ doch eckelt man vor vielen lesen/ biethe es aber sonsten/ wan belieben dazu wäre."

Marperger selbst war nicht zimperlich, in gedruckten Prospekten den Buchhändlern und Verlegern Titel anzubieten, von denen z. T. erst ein handschriftlicher Entwurf vorlag.

Von jenem Nebenpfad abgesehen, erlangten die Sevaramber Bedeutung in einem Werk, das eine Zwischenstellung zwischen den räsonnierenden Flugschriften und der sich entwickelnden Belletristik einnimmt und zum Vorläufer einer ganzen Gattung, nämlich fiktiver Briefe exotischer Europa-Besucher, wird. Es handelt sich um die in vier Teilen zwischen 1700 und 1701/02 erschienenen "Geheimen Reise-Discourse Einiger in Europa abgesandter Sevaramber oder Südländer". Nach den Feststellungen von Weißhaupt (34) sind sie die in Vergessenheit geratenen Vorläufer zu Montesquieus "Lettres Persanes" (deren Originalausgabe erschien auch bei Marteau!) und vielen anderen, heute z. T. vergessenen Werken der deutschen, englischen und französischen Literatur des 18. Jh.

Auf den Einfluß Pufendorfs deutet der Inhalt der Reise-Discourse, beschäftigen sie sich doch mit vielen Problemen des Reiches, hinter denen die Forderung nach einer stärkeren Selbstbesinnung der Deutschen angesichts des französischen Einflusses steht:

"Und auf solche Weise sehen sie: daß die Reisen nach Franckreich seyen/ ein Brunn-Quelle aller Atheisterey/ der den Wollust und Uppigkeit als zwey getreue Gef-ärths-Leute folgen/ das letztere aber geschieht nicht ohne Geld-Depensen/ welches mehr als vormahlen erfordert wird/ weil denn die Revenuen nicht zulangen/ so müssen die Alchimisten einem solchen Staat aus der Noth helffen/ diese aber nehmen nicht nach Theophrasti Helmontii oder Borrichii principiis, die tria simplicia naturae, sal, sulphur, & mercurium, solem hervor zu bringen/ nein/ sie haben drey andere simplicia, welche aus der neu-eröffneten Chimia des Fouquets/ Colberts und Pontchartrein erlernet/ nemlich Thränen/ Seufzer und Blut der bedrängten Unterthanen/ wo diese wohl untereinander gemischet werden/ und stratum supra stratum gemacht/ nebst dem mit Executionen braf zugefeuret wird/ zeiget sich gar bald der rothe Löwe/ oder der Ritter auf dem rothen Pferd/ welcher solem mit sich führet/ woraus dann nach Belieben Brasoletten drat d'or, point de Venise tapeten, Spiel-Geld/ Opern-Geld/ Carnaval-Geld etc. gekünstelt,werden können ... was müssen es nicht treffliche Zeiten gewesen seyn/ wie eines Fürsten von Sachsen/ oder eines Ertz-Bischoffs/ gantze Hofhaltung in einem Cantzler/ einem Amtmann und Secretario, ohne die niedrigen Hof-Bedienten/ deren über 10. oder 12. auch nicht gewesen/ bestanden" (S. 77/78).

Ein Werk wie die "Reise-Discourse" bildet den Übergang auch zu jenem Teil der Belletristik, die bei Marteau erschien und in der bereits das vom bürgerlichen Emanzipationsstreben geprägte Bild einer anderen Gesellschaft mit den ihr eigenen Vorstellungen von Toleranz, öffentlicher und privater Moral und dem Verhältnis zur gesellschaftlichen Umwelt zu finden ist. Die Lebensgeschichten und Abenteuer sind die gewöhnlicher Sterblicher, die ihre oft mit derb-dreisten Episoden gespickten Schicksale nicht selten in der Ich-Form vortragen und zusammen mit der Einbindung in aktuelle Ereignisse wie Seeschlachten, Kriegszüge und Expeditionen nach Übersee jene Atmosphäre der Authentizität schaffen, die den bürgerlichen Roman des 18. Jh. auszeichnet.

So, wie sich in die Flugschriftenliteratur Elemente der Belletristik und des Spiels der Phantasie einmischen, so durchdringen historische und biographische Elemente den Roman und machen ihn in einzelnen Episoden auch an den Realitäten nachprüfbar.Wenn sich Christian Reuters "Schelmuffsky" wiederholt mit dem Seeräuber Hans Barth herumschlägt und ihn schließlich besiegt, so kannte der zeitgenössische Leser diese Gestalt nur zu gut aus zeitgenössischer Publizistik und der romanhaften Lebensbeschreibung mit dem konventionell klingenden Titel "Des berühmten Ritters Jean Baerts Curieuse Liebes- und Glücks-Fälle" (um 1697/98). Jean Baert, als armer Leute Kind geboren, geht nach einer Kaufmannslehre zur See und bringt es in der niederländischen Flotte bis zum Kapitän. Eingestreut sind kritische Reflexionen darüber, daß die Kinder reicher Eltern leichter Karriere machen, deswegen aber keineswegs klüger oder moralischer sind. Die Frauen der Amsterdamer Kaufleute und Kapitäne werben, als Baert berühmt geworden ist, um seine Gunst und bringen ihn, da er standhaft bleibt, in allerlei schwierige Situationen. Ein Gegenbild zu den Sitten der Zeit und dem, was der damalige Leser erwarten würde, entsteht in der Episode, da ein junges Mädchen, das ihn liebt, ihm in Männerkleidern nachreist. Ein Kaufmann, in dessen Hause sie übernachtet, durchschaut die Verkleidung, nutzt aber die Gelegenheit eines Abenteuers nicht, sondern geleitet sie am nächsten Tage wohlbehalten zu ihrem Vater, der auch noch sein Geschäftsfreund ist, zurück. Entgegen der Verheißung auf dem Titelblatt bricht der Roman abrupt ab, spart also die polnischen Unternehmungen aus. Eine Fortsetzung wird dem Leser zwar versprochen, ist aber offensichtlich nicht erfolgt. Baert war aber, im Solde Ludwigs XIV. stehend, nicht nur ein gefürchteter Seeräuber, sondern hatte auch den Auftrag, den französischen Grafen Conty zur See nach Polen zu bringen, wo er von einigen der Magnaten zum König gewählt worden war, das Land aber angesichts des Widerstandes gegen ihn fluchtartig verlassen mußte. Es mag sein, daß nun dem anonymen Autor eine Fortsetzung nicht länger attraktiv erschien, oder daß er fürchtete, damit in der Parteien Streit und Hader zu geraten.

Es mag als zeittypisch anzusehen sein, daß Baert nach vielen Anfech.tungen sich erstmals verliebt, als er eine Ureinwohnerin Mittelamerikas von vornehmer Herkunft aus den Händen der Piraten befreit.

Es ist hiermit jedoch ein Thema angeschlagen, daß zu jener Zeit in vielerlei Gestalt abgehandelt wurde - die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Seit Hoeltichs Wittenberger Disputation 1678 (35) tauchte immer wieder die Frage auf, ob die Frau ein menschliches Wesen sei. Diese frauenfeindliche Haltung reicht über die deutsche Literatur des 15. und 16. Jh. zurück bis auf Aristoteles und Paulus' Brief an die Korinther (36). Frauenfeindliche Werke des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jh. erhielten ihre Nahrung aus den Sitten der Zeit, in denen Frauen weder als Favoritinnen der Herrschenden noch als "Schlampampe" in den unteren Schichten eine allzu ruhmvolle Rolle spielten. Auf der anderen Seite steht eine im Petrarkismus gegründete, nicht nur auf vordergründige Ziele gerichtete echte Galanterie und Wertschätzung der Frauen, auch in den unteren Volksschichten. Reale Vertreterinnen eines anderen Bildes von der Frau sind solche gebildeten Frauen wie die Dichterinnen Anna Katharina von Greiffenberg oder Anna Ovena Hoyers; zu nennen sind hier auch die vielen Frauen, die das Bild des Druck- und Verlagswesens am Ende des 17. Jh. mitbestimmten - nach den Feststellungen von Sabine Welke (37) und ablesbar auch bei Benzing (38) hatten Frauen in Deutschland zu keinem späteren Zeitpunkt wieder einen solchen Anteil an diesem Gewerbe. Frauenfeindlichkeit und Frauenlob, Anerkennung und Ablehnung als Partner durchdringen die Literatur und gehören zu den vielen widersprüchlichen Zügen der Zeit. Die Behandlung des Themas konnte immer wieder auf die Neugier der Leser rechnen, wie es die mit den Bestandteilen Leben, Liebe, Abenteuer, Schicksal gebildeten Buchtitel der Zeit zeigen.

So steht z. B. Johann Beers Schrift "Des berühmten Francisci Sambelle wolausgepolirte Weiber-Hächel" (1714) ebenso in der Tradition der zeitgenössischen Diskussionen über die Frauen wie "Philogamus und Antigamus. Oder Vergnügungen und Verdrießlichkeiten des Ehestandes" (1696) und Johann Balthasar Schupps 1707 erneut aufgelegtes "lnstrumentum pacis oder Friedens-schluß zwischen Mann und Weib". Als Verteidiger der Frauen trat wiederholt Friedrich Julius Rottmann auf; schon die Titel von mehrmals aufgelegten Werken wie "Die verthedigte Mägde-Heyrath" (1713, 1714) oder "Der wolverthedigte Steiffe und weite Weiber-Rock" (1715) sprechen für sich. Im "Lustigen Weiber-Procurator" (1714) nimmt Rottmann die Frauen in Schutz gegenüber "denen Manns-Personen ... Welche Das Weibliche Geschlecht verachten/ beschimpffen/ verspotten/ verleumbden ..." und schließt sich dem Lob an, das Zeitgenossen wie Wilhelm Ignaz Schütz, Sigmund von Birken oder Johann Frauenlob dem weiblichen Geschlecht gespendet haben. Man mag diese Schrift auch als Antwort auf Beers Ausfälle gegen die Frauen ansehen, denn in der Widmung "Dem sämptlichen Hochlöblichen Frauenzimmer ... Wird gegenwärtiger Tractat zu einer angenehmen Zeit-Verkürtzung/ wan Ihnen die Sommer-Tage zu lang fallen/ ... dediciret", eine deutliche Anspielung auf Beers "Kurtzweilige Sommer-Täge".

Die ambivalente Haltung der Autoren gegenüber den Frauen, die Diskrepanzen zwischen Titel und Inhalt machen diese Werke, die die weltliterarische Entwicklung späterer Jahrzehnte andeuten, immer wieder aufschlußreich, zeigen sie doch äuch den Übergang der Frau vom Objekt der Darstellung zum handelnden, denkenden, empfindenden Subjekt, das sich in der Welt ebenso zurechtzufinden vermag wie der Mann. Ausgesprochen politische Bildung, in dieser Form für die Zeit nicht eben häufig, zeigt sich in dem schon erwähnten Gespräch zwischen einer Waise und Madame de Maintenon im Stift von St. Cyr. Sie verbindet ihr ganz persönliches Schicksal mit dem politischen Zustand Frankreichs, über den sie aus eingeschmuggelten Schriften erfahren hat. Wohl wissend um die Folgen einer über die persönliche Leidenserfahrung hinausreichenden Erkenntnis flieht sie vor einer Bestrafung in Männerkleidung nach Brüssel.

So stark muß jedoch die frauenfeindliche Konvention gewesen sein, daß man das reine, makellose, tugendhafte Ideal lieber unter den Sternen der Fremde denn denen der Heimat suchte. Auch wenn die Titelfassungen sich kaum von gängigen Wendungen zu unterscheiden scheinen, so sind hierin kaum noch die Konzessionen an edle Damen mit schönen exotischen Namen zu finden, wie sie das höfisch-barocke Drama oder der höfische Roman bevorzugten. Das zeigt sich bei der edlen Amerikanerin, die Jean Baert befreit, und auch bei dem Rom.an "Die hitzige Indianerin" (1701), dessen Titel ebenso wie der der Neuausgabe von 1704 "Die Erlauchtete Sclavin" dem Geschmack der Zeit entsprachen.

Der Verfasser der "Hitzigen Indianerin" schildert seine Reise nach Holländisch-Indien nüchtern und ohne Vorurteile. Eingeschobene Lebensgeschichten von Personen, denen er begegnete, unter anderem die eines Einsiedlers auf St. Helena, einer schwarzen Sklavin in Afrika oder von Europäerinnen zweifelhaften Lebenswandels, die ihr Glück in Übersee versuchen wollten, verleihen dem Werk den Charakter eines Zeitbildes. Deutlich werden hier nicht nur die Folgen, die sich aus der Begegnung von Europäern mit Afrikanern und Asiaten ergeben, sondern auch die tolerante Haltung des Autors ihnen gegen-über. Andeutungen des Verfassers über seine Lebensumstände in der Widmung und ein kritischer Unterton gegenüber den Holländern legen die Vermutung nahe, daß der Autor sich durch sein bis heute nicht gelüftetes Pseudonym vor weiteren Unannehmlichkeiten schützen wollte. Bestätigt wird diese Vermutung dadurch, daß in der Ausgabevon 1704 alle Personen- und Ortsnamen, die auf den Urheber weisen könnten, mit N. N. getilgt wurden, obwohl die Angleichung von Druckbild und Umfang an die ältere Ausgabe angestrebt wurde. Ähnliche Vorsichtsmaßnahmen dürften bei der frühesten deutschen Übersetzung von "1001 Nacht" zugrunde gelegen haben, die unter dem Titel "Arabische Liebeshändel" erschien. Der Übersetzer war der bekannte Verfasser beliebter Romane, August Bohse (Talander), der aus Gründen des persönlichen Fortkommens Veranlassung hatte, seine Urheberschaft zu verschleiern, ein Streben, dem der ursprüngliche Verleger Gleditsch durch Herstellung einer Nachschußauflage entgegenkam (39).

Die Zuflucht zu einem fingierten Impressum und die erkennbaren Begleitumstände der Veröffentlichungen lassen deutlich werden, wie es auch die Titelfassung von Cervantes' "La fuerza de la sangre" zeigt, daß man sich des literarischen Geschmacks nicht sicher war, nicht einmal bei wirklichkeitsnahen Schilderungen und bürgerlich an.mutenden Tugenden. Es war eben etwas anderes, ob sich die Handlung in einer Umgebung abspielte, deren exotischer Charakter zwar durch die Reisen der Zeit inspiriert war, aber hier nur den Charakter von beliebig austauschbaren Versatzstücken hatte, und ob Tugenden gelebt, nicht deklamiert, wurden. Diesen Konflikt spürten besonders deutlich die Hamburger Verleger, die an der Verbreitung politischer Flugschriften und vielfältiger Belletristik einen erheblichen Anteil hatten, waren sie doch Zeugen und z. T. auch Betroffene, als eine orthodoxe Geistlichkeit gegen die erste vollständig gedruckte Ausgabe des Korans (Hamburg 1694), die lateinische Übersetzung von 1698 und die deutsche Übersetzung von 1703 Sturm zu laufen begann (40).

In diese Auseinandersetzungen, die den Bestand des Gemeinwesens erschütterten und erst durch kaiserliche Intervention beigelegt werden konnten, wurde auch der bekannte Librettist und Dichter Barthold Feind verwickelt. Seine Übersetzung von Jeremias de Deckers "Lob der Geldsucht" aus dem Niederländischen war mehr als das, denn sie enthielt Wendungen, durch die sich z. B. die hamburgische Geistlichkeit direkt getroffen fühlte. Beseelt vom Geiste der Orthodoxie, dem das hamburgische Theater- und Literatenleben ohnehin ein Dorn im Auge war, wurde durch den Handwerker Balthasar Stilke, der als "Volkes Stimme" agieren sollte, ein Teil des Werkes am 18. 03. 1707 öffentlich verbrannt. Dieser Vorgang, der in katholischen und absolutistisch regierten Ländern noch üblich war, war in protestantischen Territorien, noch dazu im recht liberalen Hamburg, außergewöhnlich und erregte über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen (41). Und ein Zeitgenosse urteilte etwas später: "Bey denen Protestanten geschiehet es langsam, daß man ein Buch confiscieren läßet, weilen die Erfahrung selbst gelehret, daß mancher Scribent darnach verlanget und sich einen Ruhm daraus machet, weilen dergleichen Bücher meistenteils begierig auffgesuchet und um einen viel höheren Preiß bezahlet werden" (42).

Wie meist in solchen Fällen, ließ die literarische Rache nicht auf sich warten. Neben einigen Streitschriften erschienen im Jahre 1708 in Stade, vor den Toren Hamburgs, Feinds deutsche Gedichte und Opernlibretti. Ihnen beigedruckt mit einem gesonderten Titelblatt erschien erneut "Hrn. Lic. Feindes Aus dem Holländischen übersetzte ausbündige Satyre Vom Lobe der Geldsucht" (1709). In der Einleitung beschreibt er die Abenteuer, die er angeblich auf dem Wege zu Peter Marteau in Köln zu bestehen hatte, und die Begegnung mit ihm. Feind zieht hier alle Register seiner satirischen Kunst, wenn er die äußere Erscheinung Marteaus mit der seines Widersachers in Hamburg vergleicht:

"Mr. Marteau ist ein recht feiner Mann/ von gerader mittelmäßiger Statur/ schwartzbraunen Haaren und äuglein/ etwas auffgeworffenen Lippen/ einer halben Habichts-Nase/ einer nicht eben gar zu hohen/ aber dabey bey weiten nicht so runtzlichten und niedrigen Büffel-Stirne/ als Hr. Dr. Krumbholtz/ und ziemlich gesetzten Beinen/ etwann 44. Jahr alt".

Besonders pikant ist eine Schilderung der literarischen Kenntnisse Marteaus:

"Er hat eine exakte Wissenschaft von Büchern/ insonderheit von Frantzösischen Memoirs, hat dabey viel gelesen/ und ist ein Mann der bey seiner grossen Erfahrung ein reiffes Urtheil fället/ deswegen er bey den Hrn. Jesuitern und Augustinern sehr beliebt."

Es folgen dann weitere Anspielungen auf Krumbholtz, während die Vorrede sich ganz im Stil herkömmlicher Widmungen usw. bewegt.

Auch die streitbaren Literaten der Zeit bedienten sich des Verlegers Marteau. Der unter dem Beinamen Menantes bekanntgewordene Christian Friedrich Hunold verfertigte während seines Aufenthaltes in Hamburg eine Satire gegen seinen Widersacher Christian Warnecke unter dem Titel "Der thörichte Pritschmeister Oder Schwermende Poete" (1704). In ihr verteidigte er die schlesische Dichterschule mit so großem Erfolg, daß es in Benjamin Wedels "Geheimen Nachrichten und Briefen von Herrn Menantes Leben und Schrifften" (Cölln: 1731) davon heißt:

",Dieses ist aber gewiß/ daß er niemahlen etwas gelehrters geschrieben/ als die Anmerckungen so dabei zu finden/ und seine großen Belesenheit zeigen. Seine Feinde musten bekennen/ dergleichen hätten sie hinter ihm nicht gesucht. Seine Freunde frolockten darüber/ und war wol keine gelehrte Zusammenkunfft/ da man nicht von dieser Comoedie discurirte und bey einem Glaß-wein sich hertzlich darüber zulachte ..." (S. 39/40).

Hunold werden auch "Jocoserii Galanter und Satyrischer Gedichte Erstes Praesent" (1705) zugeschrieben, eine Sammlung scharfzüngiger Sonette und Epigramme auf Literaten und soziale Zustände der Zeit. "An die Schmeichlerischen Poeten" gewandt schreibt er:

Ihr deutschen Dichter/ die ihr den Parnaß bestiegen/
Und schreibet auch noch/ was des Lesens würdig ist/
Wie kömmt es doch daß euch durchgehends fast gelüst
Euch vor dem Midas-Volck so krum und tieff zu biegen
Und vor das liebe Brodt der Welt so vor zu lügen?
...
Es möcht ein edler Geist darvon des Jammers kriegen/
Schreibt lieber Satyren und strafft die Laster-Welt.

Während solche Aufforderungen noch im Rahmen der poetischen Diskussionen der Zeit bleiben, ist "Auff den plötzlichen Todt eines Causenmachers und Tyrannischen Bauernschinders" in seiner Tonart wesentlich schärfer und unverblümter:

Ihr Bürger in der Stadt/ Ihr Bauern auff dem Lande
Seyd froh und dancket Gott:
Daß euer Treiber Todt/
Der Euch bey nah gebracht zum Bettlers Staab und Stande/
Der euer Blut aus den verschrumpfften Adern preste/
Ist doch einmahl verreckt/
Und liegt hier ausgestreckt/
Die Seele fuhr dahin aus ihrem faulen Neste
Wo sie sich hat gesellt zum allergrösten Hauffen/
Gerechter Gott erhör/
Und stürtz Ihr doch nur mehr/
Die Ungerechtigkeit wie Wasser in sich sauffen (S. 25).

Der Tenor der anderen Gedichte ist ähnlich. Deutliche Bezüge auf das Wirken der Jesuiten, auf Vorgänge am französischen Hof und Bedrückung durch die Obrigkeit sind erkennbar, desgleichen auch die Bewunderung für Friedrich Wilhelm von Oranien als Wilhelm III. Wiederholt werden Gedichte auf einen Mann gemacht, der seinen Glauben wechselte - ein in der damaligen Zeit ebenso ungewöhnliches wie Aufsehen erregendes Ereignis. Die Charakterisierung dieses Konvertiten deutet auf August II. von Sachsen hin, der 1697 zum katholischen Glauben übertrat, um sich so um die polnische Königskrone bewerben zu können.

Das Gelegenheitsgedicht mit seinem freundlich-bewundernden, gelegentlich auch nekkend-spielerischen Ton, wie es zu jener Zeit im Schwange war, ist hier umgewandelt in ein Ventil für sozialen Unmut und politische Meinungen, wie sie im Volke umliefen. Da sich ähnliche Gedichte eingestreut in zeitgenössischen Flugschriften und aktuellen Abhandlungen finden und z. T. auch in der Neukirchschen Sammlung "Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte" (1697 ff.), erscheint die Zuschreibung dieses Werkes zu einem Autor fraglich, vermutlich war Hunold nur der Herausgeber.

Dem satirischen Geist des Zeitalters entsprach auch die Verfremdung bekannter Literaturformen. Die Übersetzung von Daniel Heinsius' 1638 lateinisch erschienener "Laus Pediculi" zu "Lustige und Zeit-kürtzende Curiositäten. In einer Lob-Schrifft der Läuse" (1710) folgt in Aufbau und Kapitelüberschriften den Formulierungen zeitgenössischer gelehrter Abhandlungen, wenn es heißt: Von dem Ursprung des Nahmens der Läuse, Von dem alten Herkommen und Geburt der Läuse, Der Läuse Krieges-Thaten, Die Läuse geben auch Artzney-Verständige ab, Der Läuse Standvestigkeit und Glückseligkeit im Tode.

Der zeitüblichen Dreigliederung einer Leichenpredigt mit Castrum doloris, Procession und Parentation nachgebildet ist "Kurtzer Entwurff Was bey solenner Beerdigung der fünfften Monarchie ... merckwürdiges vorgegangen" (1706), eine Anspielung auf die französischen Niederlagen und die Besetzung Madrids durch Engländer und Portugiesen im spanischen Erbfolgekrieg.

Das hallesche Exemplar mit dem Impressum Naumburg/ In der Peter Paul Messe/ Anno 1706 dürfte, nimmt man die Angabe als echt an, das Original sein, während die Marteau-Ausgabe den Nachdruck darstellt, durch den gleichzeitig die enge zeitliche Bindung an die Peter Paul Messe aufgehoben werden sollte.

Die umfangreiche und über Jahre hin ungebrochene Produktivität des Hauses Marteau erweckte Neugier, Bewunderung und auch Ablehnung unter den Zeitgenossen. Wie auch immer die Haltung gewesen sein mag, zwischen 1690 und 1710 wurde der "Ruf" begründet, der über die Jahrhunderte fortwirkte.

Erstmals ließ sich der Theologe Heinrich Gundolf Benthem über das Verlagswesen der Niederländer und diesen Verlag aus:

"Sondern es werden auch viel schandbahre Bücher/ ärgerliche Liebes-Geschichten und ehrenrührige Schrifften in grosser Menge ans Licht gesetzet. Doch was die Romainen anlanget/ sind die meisten nur ein Abdruck oder Übersetzung der Frantzösischen/ wozu denn unser Cöln und Peter Hamer den Namen hergeben müssen: denn es sind die Frantzosen/ mit anderen mittägigen Völckern/ vor den Niederländern nicht nur Reich an Liebesgedancken/ sondern sie mögen auch gern/ vor allen anderen Völckern/ von ihrer Liebe kühnlich reden und schreiben" (43).

Bleibt es hier noch bei der reinen Feststellung, so sind des Simplicissimi "Unpartheyische Reflexiones" (44) in ihrer Aussage wesentlich schärfer. Auch wenn man annehmen kann, daß es sich hier um ein Vexierspiel und Ablenkungsmanöver handelt, ist doch auch diese Schrift in Köln erschienen und bedient sich gleicher oder ähnlicher Elemente wie andere zeitgenössische räsonnierende Flugschriften, die eingangs kritisiert werden:

"Der Ort/ wo so viel hundert Chartequen jährlich ausgebrütet werden/ ist das Welt-beruffene Cölln/ ein Ort/ ich weiß nicht/ an was vor einem Flusse gelegen: denn zu Cölln an der Spree hat man schlechte Druckereyen; zu Cölln am Rhein lassen die heil. drey könige/ so allda begraben liegen/ nichts piquantes unter ihrer censur paßiren; und also muß es nothwendig das Cölln an dem Fluß Lethe oder an dem Wasser der Vergessenheit seyn/ wo Pierre Marteau seinen Buchladen hat/ an Welchen sich aller Hencker addreßiret/ der mit seinen unzeitigen Grillen/ so er über die Staats-affairen geträumet/ und durch gräßliche Gesichter ausgeheckt/ nicht länger zu Hause bleiben kan. Mit diesem Pierre Marteau führte der jüngere Simplicißimus/ ein Enckel des älteren/ ... / einen fleißigen Brieff-Wechsel/ damit er ihm alle geheimen Correspondentzen/ auffgefangene Briefe/ und Agenten voll Haus aus/ alle Staats-Cantzeleyen: Politische Mercurios/ Extracte/ Remarquen/ Post-Reuter/ Brabantische Couriers/ und abscheuliche Blut-Bäder/ enfin alle Dreck-Schuyten/ nebst den ordinairen Gazetten und Nouvellen übersenden. muste" (S. 3).

Das Spiel mit der Fiktion" die zugleich ernst genommen wird, wird in Jan Zygmunt Jungschultz' anonym erschienener "Lebensbeschreibung" des polnischen Kardinals Michael Radzieiowski noch weiter getrieben. Nicht nur erschien die Schrift "Bey Peter Hammers des ältern Wittib und Erben", sondern der Fortsetzung wurde auch eine "Vorrede der Hammerischen Wittib" vorangestellt. In bewegten Worten schildert sie, wie bereits nach dem Vertrieb der ersten hundert Exemplare ein Nachdruck erfolgte und wie niemand auf ihre Lage Rücksicht nahm:

"Ich hatte mich gleich anfangs dessen besorget/ daher ich meiner/ als einer armen Wittib Nahmen/ vorgesetzet/ (da ich sonst diese Bögen durch meinen ältesten Sohn/ auch Peter Hammer/ wie sein Vater genennet/ hätte können lassen in Druck gehen/) in Meynung man würde mir etwa nicht so leicht wehe thun. Aber es gehet mir wie andern meines gleichen/ und will man an Wittwen und Waysen/ am ersten zum Ritter werden."

Die Witwe bekennt sich im folgenden zum gleichen Glauben wie der Primas, überlegt aber auch,

"daß in unserer Druckerey so gar viel von unserer Geistlichkeit/ und zwar insonderheit von etlichen Herrn Cardinälen eingeloffen/ ich mir auch nimmermehr in Kopf bringen kan/ daß/ weiln keine weltliche Person bey uns ein Kirchen-Amt verrichten kan/ doch unre Herrn Geistlichen mit denen Regiments-Geschäfften so gar viel zu thun haben/ daß sie fast ihres Amts und Gewissens gäntzlich darüber vergessen".

Die Befriedung europäischer Verhältnisse durch die Verträge von Utrecht und Rastatt, die Erschöpfung der europäischen Mächte und der Tod Ludwigs XIV. kennzeichnen das Ende der ersten Phase der Verlagsgeschichte ebenso wie den Ausgang einer Literatur, die teils erotisch-pikant, teils frühbürgerlich-realistisch geprägt ist oder unter deren teilweise höfisch-konventionell verbrämter Oberfläche sich antihöfische Impulse erkennen lassen. Auch das äußere Gewand wird hiervon geprägt. Schnelligkeit der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse und ihre Kommentierung, ungenügende technische Ent wicklung des Druckgewerbes und der Papierherstellung ließen größere Ansprüche auf ästhetische Gestaltung nicht zu. Deutlich zeigen sich die Unterschiede zwischen französischen und deutschen Ausgaben bei der Gestaltung der Titelblätter. Entsprachen die französischen den Gestaltungsgrundsätzen, wie sie vom Hause Elzevier befolgt wurden und sich u. a. in der häufigen Verwendung der Weltkugel äußern, so waren die deutschen Titelblätter auf das engste mit dem Druckbild der übrigen deutschen Produktionen verbunden - die Titel waren weitschweifig formuliert, typographische Anordnung und Zeilenfall oft willkürlich, unnötige Worttrennungen nicht die Ausnahme. Als Schrift wurde durchweg die Fraktur benutzt, Fremdwörter und Eigennamen wurden häufig in Antiqua gesetzt, Endungen in Fraktür angefügt. Ligaturen, Kontraktionen, Tilden über m und n zur Verdoppelung kommen, wie in, anderen Schriften auch, nur noch vereinzelt vor. Was jedoch auch unter den technisch unzulänglichen Bedingungen einer schnellen Produktion blüht, sind Zierleisten und Vignetten auf dem Titelblatt sowie Schlußvignetten oder Finalstöcke. Zusammen mit den verwendeten Schriften könnten sie Hinweise auf die tatsächlichen Offizinen geben, sofern verläßliche Zuschreibungen existieren. In den meisten Fällen bleibt das, mangels gesicherter Forschungen, jedoch noch ein unsicheres Geschäft.

Die verwendeten Illustrationen enthalten Holzschnitte oder Kupferstiche. Meist h.andelt es sich um Porträts von den beschriebenen Personen oder auch allegorische Darstellungen. Das Titelbild beispielsweise zur "Hitzigen Indianerin" oder die Kupfer zu der Marteau-Ausgabe von "1001 Nacht" stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Inhalt und waren aufgrund ihrer Darstellungen eher als Anreiz für den Käufer gedacht denn als kongeniale Entsprechung zum Text.


 

Anmerkungen

  1. Willems, A.: Les Elzevier. - Bruxelles usw. 1880, S. XVI.
  2. Eeghen, I. H. van: Three contemporaries in the service of Daniel Elzevier. in: Quaerendo 9 (1979) 4, S. 337.
  3. Geschichte des deutschen Buchhandels. - Bd. 1-4. - Leipzig 1886-1909. - Bd. 1: S. 299; Bd. 2: S.|95,197.
  4. Büllingen, K. von: Annales typographici Coloniensis. - Bd. 1-5. - Handschrift in UStB -Köln.
  5. Adami, J. S.: Misanders Bücher-Freunde und Bücher-Feinde. - Dresden 1695, S. 127-128.
  6. Der Durch vieles Wehklagen/ endlichen entstandene Tumult und Aufruhr Cölln: Marteau Erben 1696, S. 21.
  7. Sidney, A.: Des Herrn Algernon Sidney Dem Scherif übergebene Schrifft Cölln: Marteau 1684.
  8. Molesworth, R.: Dännemarks Gegenwärtiger Staat Cölln: Marteau 1695.
  9. Ries, P. M.: Robert Molesworth's Account of Denmark: a study in the art of political publishing and bookselling in England and on the continent before 1700. in: Scandinavica 7 (1968) 2, S. 108-123.
  10. Weißhaupt, W.: Europa sieht sich mit fremdem Blick: Werke nach d. Schema d. "Lettres persanes", in d. europäischen, insbesonders der deutschen Literatur des 18. Jh. - T. 1-3. - Frankfurt/M. usw. 1979. - (Europäische Hochschulschriften: R. 1; Bd. 279).
  11. Hoeltich, F. H.: Quaestio foemina non est homo videbunt publice ... et Joh. Caspar Waltz. - Wittebergae 1678.
  12. Hardin, J.: Johann Beer's "Der Politische Feuermäuer-Kehrer" and the anonymous novel "Der Ausgekehrte Politische Feuer-Mäuer Kehren": contrasting views of woman in the German Novel of the late seventeenth century. in: Modern language notes 96 (1981) S. 489-502.
  13. Welke, S.: Die Frau und die Anfänge des deutschen Zeitungswesens. Diss. Wien 1971 (Masch.).
  14. Benzing, J.: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jh. im deutschen Sprachgebiet. - Wiesbaden 1963.
  15. Walther, K. K.: Eine unbekannte frühe deutsche Übersetzung von 1001 Nacht. in: Marginalien (1977) 65, S. 36-43.
  16. Wohlwill, A.: Hamburg und der Islam, insbesondere am Ende des 17. Jh. in: Zeitschrift d. Vereins f. hamburgische Geschichte 23 (1908) 2, S. 275-390.
  17. Westphal, A.: Epistola I. ad fratrem Christianum Westphalium. - Sedini 1709.
  18. Bernhard, J. A.: Kurtzgefaßte curieuse Historie derer Gelehrten. - Franckfurt am Mayn 1718, S.693.
  19. Benthem, H. G.: Holländischer Kirchen- und Schulen-Staat. - T. 2. - Franckfurt u. Leipzig 1698, S.662.
  20. Unpartheyische Reflexiones über den anno 1705 von den streitenden Partheyen ins Europa hingebrachten Feld-Zug. - Cölln 1706.

 

Literatur