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Die Entwicklung des Verlages Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

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Die Zeit bis zur französischen Revolution

 

Der quantitative Rückgang der Verlagsproduktion in den folgenden Jahrzehnten korrespondierte mit dem der französischen Produktion. Ursache sind die sich stabilisierenden weltpolitischen Konstellationen nach dem Tode Ludwigs XIV. und Karls XII. von Schweden. Die oft radikalen Stimmen der frühen Aufklärung, die sich hinter allerhand Mystifikationen verbergen mußten, hatten Gehör und Anhänger überall in Europa gefunden. Vertreter der Aufklärung saßen, wenn auch nicht immer unangefochten, in Universitäten, waren Herausgeber von Zeitschriften, Verleger, Buchhändler, Schriftsteller, Übersetzer, Lehrer, Hofleute und wirkten durch ihre wachsende Zahl auf das allgemeine Bewußtsein ein.

Dieses Zeitalter entwickelte andere ästhetische Maßstäbe, die die literarischen Erscheinungen der vorhergehenden Epoche, von wenigen Ausnahmen abgesehen, verwarfen und sie nachhaltige aus dem Kanon literarischer Traditionen verdrängten.

Der Geruch von Skandal, Intrige, Verleumdung und sittlicher Anstößigkeit, der die Produktion des Verlages umgab, machte ihn dem aufstrebenden Bürgertum verdächtig. Das bezog sich nicht nur auf die inhaltliche Seite, sondern auch auf die teilweise sehr unbürgerlichen Lebensläufe der Beer, Hunold, Bohse, Reuter u. a., bevor sie seßhaft und respektabel wurden. Eine weitere Ursache mag die, vorsichtig ausgedrückt, zunehmende Reserviertheit gegenüber französischen kulturellen Einflüssen gewesen sein, die im Bürgertum um sich griff und auch zur Eindeutschung des Verlagsnamens führte, nachdem bereits 1688 in einem niederländischen Druck der Name als Pieter Hammer auftauchte (45).

Obwohl sich die allgemeinen Zensurbedingungen nur wenig geändert hatten, war der literarische Markt mittlerweile so weit entwickelt, daß er auch einen wirtschaftlichen Faktor darstellte und dadurch Belastungen durch kontroverse Titel auffangen konnte. Die Verbreitung von Buchhändlern und Verlegern war, bei Schwergewicht auf den protestantischen Landesteilen, im Vergleich zu den früheren Jahrzehnten gewachsen und hatte a,ußerhalb des Reichsgebietes auch Orte wie Riga oder Kopenhagen zu wichtigen Zentren des deutschsprachigen literarischen Lebens werden lassen. Konfiskationen unliebsanier Titel oder von unerlaubten Nachdrucken blieben auch in Leipzig meist erfolglos. Anonyme Zusendungen an Buchhändler und Kommissionäre mit dem Zusatz, der Absender werde sich zur nächsten Messe melden, wurden immer üblicher, die Vermengung der Nachdrucke mit Titeln oder Bogen eines privilegierten Verlegers, das Ablegen in einem finsteren Winkel oder die Behauptung, es handele sich um unbekannte defekte Exemplare, gehörten zu den gängigen Tricks gegenüber der Aufsichtsbehörde (27). Ortsangaben wie "Frankfurt und Leipzig" im Impressum waren eines der Kennzeichen unerlaubter Nachdrucke. All das bedeutete jedoch nicht, daß sich ein großzügiger Geist durchgesetzt hätte - die Verschleierung der Urheberschaft durch Pseudonyme und fingierte Impressa hielten viele der schreibenden Zeitgenossen nach wie vor für angebracht, ebenso die Tarnung als Herausgeber, Übersetzer und Bearbeiter. Wie notwendig das war, zeigen Einzelschicksale am deutlichsten.

Während die Schicksale etwa Christian Wolffs und C. D. Schubarts oder auch Schillers rechtzeitige Flucht außer Landes bekannt sind, finden sich andere Vorfälle an versteckter Stelle, z. B. in zeitgenössischen Biographien. So wurden Schriften des Philosophen und kurländischen Staatsrats Theodor Ludwig Lau (1670-1740) wiederholt konfisziert, er selbst des Atheismus beschuldigt und zur Revokation gezwungen (46). Eine Darstellung der Geschichte der Reformation und der Protestanten in Ungarn, offensichtlich das Lebenswerk des Theologen und Genealogen Johann Friedrich Gauhe (1681-1755), wurde beim Verleger Gleditsch in Leipzig 1723 durch den kaiserlichen Gesandten konfisziert und nach Wien mitgenommen, wo es verblieb (47). Der Schüler Christian Wolffs und spätere Professor an der Hohen Schule zu Ingolstadt, Johann Adam Freiherr von Ickstatt (1702-1776), mußte nach langwierigen Streitigkeiten mit den Landesbehörden und seinen Vorgesetzten 75 Prozent seiner 6000 Bände umfassenden Bibliothek, meist staatswissenschaftliche Literatur, aussondern (48). Der bayrische Schriftstelle,r, Publizist und Mathematiker Franz von Spaun (1753-1826) wurde 1788 wegen einer angeblich von ihm verfaßten staatsgefährdenden Schrift zehn Jahre lang in Einzelhaft gehalten.

In die buchhändlerischen und verlegerischen Gepflogenheiten der Zeit hatten sich, unter Ausnutzung von rechtlich ungeklärten Situationen, Praktiken eingeschlichen, die zum Schaden der Autoren und auch der Leser auf die Bereicherun.g von Verlegern und Buchhändlern abzielten durch Herstellung unerlaubter Nachdrucke, betrügerischer Subskriptionen, Anpreisung und Vertrieb älterer Werke unter neuem Titel, Aufblähung des Umfangs durch Verwendung eines größeren Schriftgrades usw. Diese zweifelhaften Praktiken, wie sie in Georg Paul Hönns seit 1721 wiederholt aufgelegtem "Betrugs-Lexicon" charakterisiert wurden, ließen auch den Namen Marteau ins Zwielicht geraten und machten ihn, neben der Kritik am Inhalt seiner Produktion, zur Zielscheibe mehr oder weniger geistvoller Attacken. Prägend dürfte dabei das Urteil Pierre Bayles in seinem weitverbreiteten, seit dem ersten Erscheinen 1697 immer wieder auf-gelegten "Dictionnaire historique et critique" gewirkt haben, das 1740 in Gottscheds deutscher Übersetzung erschien:

"Allein eine unendliche Menge kleiner Schriften betreffend, die in dieser Zeit, ohne Namen des Verfassers und des Buchdruckers, herumgegangen sind; so verdienen sie eben so wenig angeführet zu werden, als diejenigen, die seit dreyßig oder vierzig Jahren beym Peter Marteau gedruckt sind, Europa überschwemmet haben. ... In dergleichen Gattungen von Schriften muß man keine Wahrheiten suchen, sie mögen zur Zeit des Herzogs von Alba und in dem Überreste des XVI. Jahrhunderts in der Welt herumgeflogen seyn, oder das Tageslicht erstlich zu unseren Zeiten erblicket haben; und überhaupt erlaubet die Klugheit ,licht, sich dabey aufzuhal.ten, so lange man nicht weis, wo sie hergekommen sind, daß solchergestalt ein ernsthafter Schriftsteller dasjenige am allerwenigsten annehmen kann, was er darinnen findet. Gemeiniglich sind dergleichen Bücher der Kehricht der Zeitungsträger vom Platze Maubert. Die Zuschneider derselben, welche sicher davor sind, daß sie keine Rechenschaft dafür geben dörfen, breiten alles dasjenige verwegen aus, was sie sagen hören" (49).

Ähnlich äußerte sich auch Friedrich Wilhelm Bierling (50, 1724), der die verlegte Literatur als "ex fabulis et historiis mixta" bezeichnete (S. 123-124).

In den Verwicklungen, die sich um die Herausgabe, Finanzierung und Nachdruck des Zedlerschen Universal-Lexicons entspannen, erhielt auch die zeitgenössische Diskussion um die Auswüchse des Pränumerationswesens neue Nahrung. Zedlers Gegner ließen daher in den "Niedersächsischen Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen" vom 19. 12. 1730 die Meldung erscheinen, daß der Verleger Pierre Marteau ein Pränumerations-Betrugs-Lexicon zu veröffentlichen gedenke. Charakterisierung der Erscheinungsweise und Formulierung der Ankündigung lassen ebensowenig wie der Zeitpunkt des Erscheinens einen Zweifel daran, daß es sich hier um einen gezielten Angriff handelte (51).

Die Erfindung von Büchertiteln, ja ganzen Verzeichnissen fiktiver Titel, war nichts ungewöhnliches, doch erschienen solche Schriften außerhalb des Rahmens renommierter Publikationen, wie auch die einleitenden Sätze der Redaktion zeigen:

"Ob man zwar mit Satyrischen Titeln von solchen Büchern, die nimmermehr fertig seyn werden, und deren bißanhero verschiedene eingelauffen sind, in diesen Zeitungen nicht gerne etwas mag zu thun haben, so will man doch die vor kurzer Zeit überschickte zwey Titel von solcher Art, welche sonder Zweifel von einem berühmten Buchhändler herkommen, ..., dem Leser nicht vorenthalten ..." (52).

Die Wirkung dieses Angriffs ging über den einer Querele unter Konkurrenten und Berufskollegen hinaus, wurde er doch in der zeitgenössischen buchhändlerischen Literatur wiederholt abgedruckt, so u. a. auch im bei Marteau 1742 erschienenen "Unpartheyisches Bedenken worinnen ... ausgeführet und verwiesen wird/ daß der unbefugte Nachdruck ... Ein ... Verbrechen, und immer Diebstahl sey".

Weniger heikel war der Herausgeber der Staats- und Gelehrten-Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten (53). Unter der Rubrik "Von gelehrten Sachen" wird aus Cöln mitgeteilt, daß "Der unsterbliche Buchhändler Peter Marteau hat wieder drucken lassen: Nouveaux Dialogues des Dieux ... 1745". Darüber heißt es, "daß es unter diejenigen Schriften gehöre, worinnen mit vielen Worten sehr wenig gesaget wird".. Angehängt sind eine Reihe erfundener Titel in französischer Sprache, die "dem Herrn Peter Marteau oder auch unsern Deutschen Herrn Buchhändlern für einen sehr billigen Preiß zum Verlag angebothen" werden. Mit ihnen werden Unsitten der Zeit, wie z. B. der Gebrauch von Modewörtern, Tabakschnupfen, Eitelkeiten angegriffen.

In einem "Duodrama" aus dem Jahre 1777 wird ein Gespräch zwischen dem Buchhändler Paul Manuz und dem Buchdrucker Peter Hammer erfunden, durch das beide als geschäftstüchtige, skrupellose Verbreiter von Klatsch, Skandal, eilig zusammengeschusterter Kolportageliteratur gekennzeichnet werden. Der aktuelle Anlaß ist aus der Verlagsproduktion nicht erkennbar, vermutlich sollte aber hier eine ganze Gattung getroffen, werden (54).

Mit dem Rückgang der Marteau-Titel bis zur Zeit der französischen Revolution ist auch eine thematische Aufsplitterung verbunden, die kaum einen gemeinsamen Nenner-erkennen läßt. Sie reicht von der politisch motivierten Schrift über radikal-aufklärerische Positionen bis zum mehr oder weniger geistvollen Literatengezänk, wobei die Spekulation auf die Zugkraft des- Namens Marteau nicht immer von der Hand zu weisen ist.

Auch wenn sich die politischen Verhältnisse zu beruhigen begannen, die vergangenen. Jahrzehnte wirkten nach, was sich in Themenwahl, Titelformen und äußerem Erscheinungsbild ausdrückte. Das traf auf die Rechtfertigung der Annexion Schleswig-Holsteins, durch Dänemark (55) ebenso zu wie auf die "Geheimen Nachrichten vom Schwedischen Hofe", die von Johann Paulus Olivekrans und Essaias Pufendorf verfaßt wurdenBurkhard Gotthilf Struve beschäftigte sich mit der Frage, ob der Titel Zar dem Kaiser-, titel gleichwertig sei und der Zar sich daher auch um die deutsche Kaiserwürde bewerben könne (56).

Auch nach dem Antritt des Hauses Hannover auf dem englischen Thron hatte der im französischen Exil lebende letzte Vertreter der Stuarts die Hoffnung auf eine Rückkehr als gekrönter Monarch noch nicht aufgegeben. Durch Intrigen und Propaganda versuchten er und seine Anhänger der englischen Regierung Schwierigkeiten zu bereiten und diplomatische Verwicklungen zu schaffen, wie die "Remarques eines englischen Kauffmanns" aus dem Jahre 1717 zeigen.

Als Stanislaw Leszcinsky, Schwiegervater Ludwigs XV. und polnischer König, im polnischen Erbfolgekrieg 1734 das Land fluchtartig verlassen mußte, ergab das eine Parallele zum englischen Praetendenten - beide werden in einem "Curieusen Gespräch im Reiche der Lebendigen" 1734 vorgestellt. Im Titelkupfer zum ersten Teil werden beide mit folgender Unterschrift gezeigt:

Wir beyde Herren sind einander zimlich gleich,
Ein jeder von uns tracht nach einen Königreich.
Trifft ja auf dieser Welt nicht unser Hoffen ein,
Getrost wir sollen Könige im Reich der Todten sein.

Noch einmal unternahmen die Stuarts um die Jahrhundertmitte den Versuch, in England Fuß zu fassen. Der "junge Praetendent" Karl Eduard landete mit einigen seiner Anhänger in Schottland, wurde aber nach Anfangserfolgen in der Schlacht bei Culloden am 27.4.1746 geschlagen und irrte fünf Monate durch Schottland, bevor es ihm gelang, außer Landes zu kommen. Auf dieses Ereignis bezieht sich die 1746 erschienene Schrift "Der traurige Ritter In schwartzer Gestalt In den Gebürgen Schottlands Oder die Historie des unglücklichen Printzen Carl Stuarts", die nach dem Titelblatt als Komödie "zum Gebrauch der Prätendentischen Hof-Acteurs in Rom" gedacht ist.

Die skrupellose Machtpolitik Friedrichs II. mit ihren wechselnden außenpolitischen Konstellationen und ausgedehnten militärischen Verwicklungen bedurfte der Rechtfertigung durch publizistische Mittel. Für die französischen Schriften bediente sich Friedrich II. auch des Impressums Marteau, um auf diese Weise ihre preußische Herkunft zu verschleiern (57). Aufgrund der Sprache bleiben sie hier außer Betracht. Die Nachricht von der Hinrichtung des engen Freundes Friedrichs, des Leutnants von Katte, wurde um die Jahreswende 1730/31 in zwei Ausgaben verbreitet, deren Urheber im Familien- und Freundeskreis Kattes zu suchen sind. Beide erschienen vermutlich in geringer Auflage und wurden vielleicht auch unterdrückt. Dabei kann angenommen werden, daß die Ausgabe mit dem verdrehten Titelbeginn "Wahre Nachricht, Von der Scharffen mit dem Schwerdt hingerichteten Execution" zuerst erschien, während die mit dem korrigierten Titelblatt die spätere ist, die die Grundlage für den ebenfalls seltenen Neudruck aus dem Anfang dieses Jahrhunderts bildet.

Die Vorgänge des 1. schlesischen Krieges werden in einer aus dem Französischen übersetzten Schrift, "Nachricht oder Historische Erzählung der Kriegeshandlungen, welche gegen das Ende des 1745sten Jahres in Sachsen sich zugetragen haben", geschildert.

Aber gerade jene Verwicklungen zwischen Preußen und Sachsen, Intrigen und Ränkespiele der Politiker, wechselndes Kriegsglück beider Seiten und Rechtfertigungen für diesen und jenen brachten über das Volk immer wieder neues Elend. Der sächsische Minister von Brühl war einer der Protagonisten, gegen den sich publizistischer Unmut entlud. Mit Bitterkeit schreibt der Historiker und Ökonom Johann Heinrich Gottlieb Justi in seiner Schrift "Beyträge zu des Herrn Grafen von Brühls Leben" (1763): "So beschwerlich und schmerzlich, als auch gegenwärtige Zeitläufte denen Einwohnern fallen, die mit ungeheuern Armeen von Kriegesvölkern unvermuthet, unschuldig und auf einer unerhörten Art überzogen, und durch Auf bringung der dazu nöthigen Bedürfnisse, verheeret, verzehret und verwüstet werden; so angenehm sind hingegen denjenigen, die zu dergleichen Bedürfnissen nichts weiter als die Mitleydenheit gegen den Nächsten contribuiren, diejenige Schriften, welche anjetzo grosse Herren, wegen ihren Handelungen, dem Judicio der ganzen vernünftigen Welt einverleiben. Es geschiehet zwar dieses nicht wegen des Wohls und Wehs ihrer Unterthanen, weiln sie hierin nur dem höchsten Wesen Rechenschaft zu geben sich schuldig erachten, und zur Zeit des Krieges aber auch nicht eher, als bis beyde Armeen gegen einander stehen, und die Erde mit Menschenblut überschwemmet werden soll" (S. 3/4).

Eine ähnliche Haltung spricht aus Johann Friedrich von Tröltschs Schrift: "Unpartheyische Gedanken über die Anmerkungen des teutschen Hippolithus a Lapide" (1762). Er sieht die Leiden des Volkes im Zerfall des Reiches und der wachsenden Macht der Landesherren begründet:

"Der arme Unterthan selbst seufzet gedruckt vor den Füssen des erhöheten Abgotts der Landes-Hoheit, dem er mit Leib und Seele unterworfen ist, da kaum das mindeste übrig gelassen wird, welches nicht unter die Landesherrlichen Rechte, ja was sage ich, Rechte, Despotisterey und Eigenwilligkeit, gezogen wäre. Derjenige Rath hat die größeste Verdienste, welcher Dreistigkeit genug hat, die Keyserliche Gebote und Erkenntniße zu vereiteln, und dem es niemals an machiavellistischen Griffen fehlet, mit dem Schweiß und Blut der Unterthanen d ie Ausschweifungen des Landesherrn zu nähren" (S. 5).

Indirekt sind die Leiden der Untertanen auch Gegenstand im "Leben des Grafen von Totleben" (1763), der seine Dienste nacheinander dem sächsischen Hof, den Niederlanden und dem russischen Hof zur Verfügung stellte. An der Spitze russischer Armeen zog er im siebenjährigen Krieg plündernd und brandschatzend durch Pommern bis nach Berlin, Furcht und Schrecken verbreitend. 1763 wegen angeblichen Verrats unter Anklage, wurde er 1769 rehabilitiert und erwarb sich weitere traurige Berühmtheit durch seine Feldzüge in Litauen und Polen. Wenn in dieser zu Lebzeiten. erschienenen, nichts beschönigenden Biographie am Ende seine Verbannung nach Sibirien steht, so dürfte das den Wunschvorstellungen der geplagten Zeitgenossen entsprochen haben, die Zeugen seiner Aktionen gewesen waren.

Mit dem Fortgang des Jahrhunderts wuchs die Sensibilisierung für Probleme und Spannungen, die sich aus dem Weiterbestehen überholter sozialer und politischer Verhältnisse ergaben. Sie begann auch die Haltung hochstehender Persönlichkeiten wie des Juristen und Kanzlers der Universität Gießen, Johann Christoph Koch, zu prägen. Unter seinen meist in Latein geschriebenen, seinerzeit viel beachteten juristischen Abhandlungen führt die deutsche Schrift "Brutalia juris für alle Menschenkinder" (1779) die Rechtsprechung der Zeit durch aneinandergereihte Zitate ad absurdum, wobei das Material hierzu aus der Spruchsammlung der Universität Gießen stammen dürfte.

Die Ereignisse der Zeit boten jedoch nicht nur Stoff für den direkten kritischen Frontalangriff, sondern auch ein weites Feld für satirisch-kritische Schriften verschiedener Art, die bei allem Aktualitäts- und Gegenstandsbezug bereits zur Belletristik überleiten.

Als eine "Lucianische Satyre" bezeichnet sich "Das verwirrete und wieder beruhigte Reich der Todten" (1746). Ähnlich wie die Mächte der Erde bereiten sich auch die Toten auf den Krieg vor, bei dem es nicht mehr, wie die auftretenden Personen Jacob Sprenger (Verfasser des "Hexenhammers"), Quirinus Kuhlmann, Jakob Böhme und Leibniz vermuten lassen, um religiöse oder ideologische Fragen geht. Selbst die Freimaurer rüsten sich, trotz ihrer Ziele, zum Kampfe. Gattungsmäßig steht dieses Werk den zahlreichen "Gesprächen im Reiche der Toten" nahe, die seit dem Ende des 17. Jh. in reicher Fülle erschienen und es erlaubten, durch die Augen und Äußerungen vergangener Gestalten der Geschichte die Gegenwart zu sehen. Philosophisch steht das Werk in der Traditionslinie radikaler Aufklärung, keinen Begriff, kein Urteil als der Weisheit letzten Schluß anzusehen. Wer künftig seine Meinungen und Urteile mit völliger Gewißheit behauptet, solle zu den Mühen des Sisyphos und den Qualen des Tantalus verdammt sein, eine vollkommene Gewißheit in Philosophischen Wissenschaften ohne Aufhören zu suchen, und sie niemahls zu finden" (S. 37).

Neben einer gedruckten oppositionell eingestellten Literatur kursierten auch handschriftliche Äußerungen in Vers und Prosa, die in Sammelbänden und Akten sich z. T. erhalten haben. Zur Tarnung benutzten auch sie das Gewand vertrauter Formen des Kleinschrifttums wie etwa jener "Catalogus Neuer Bücher, die seit der Leipziger OsterMesse aufgelegt worden, und bey Pierre Marteau in Commission zu haben sind" (1757) (58). Er verzeichnet 27 Titel mit einer antipreußischen Note - es war die Zeit des siebenjährigen Krieges, und Friedrich II. war in Sachsen eingefallen. Dieser Katalog steht in der Traditionslinie jener Aufzählungen fingierter Buchtitel, Devotionalien, Reliquien usw., wie sie seit dem 17. Jh. immer wieder auftauchen und aus der Überspitzung ihre Wirkung erhalten (59). Als Beispiele für den Charakter der Schrift seien hier folgende "Titel" genannt:

"Eine Predigt vom Königl. Preuß. Feld-Probst, worinnen selir gründliche bewiesen wird, daß es der Menschen-Liebe und Christen-Pflicht zukomme, die annoch blessirten Soldaten in das Wasser zu schmeissen, -um sie dadurch von einem elenden Leben zu befreyen.. Ist ohnweit Prag zu finden."
     "Ihre Durchl. des Prinzen Moritz von Dessau gründlicher Unterricht nach der neuesten Methode Reverse auszustellen, nebst einem Anhange wie man KriegsGefangene quälen soll. Pirna den 21.. Oct. 1756."
     "Die Vortrefflichkeit des Faust-Rechts, eine Tragoedie, wird täglich auf dem Sächs. Theatro aufgeführet. "

Friedrich Wilhelm Marpurg zieht in seiner Anekdotensammlung "Legende einiger Musikheiligen" (1786) den Vergleich zwischen diesen und Kirchenheiligen und schildert den (fiktiven) Verleger als einen der "galantesten Verleger unserer Zeit, ein Mann von kurzer Entschließung, der allezeit gut Schreibpapier nimmt, und nicht gewohnt ist, um einen Bogen mehr oder weniger einen halben Tag Bedenkzeit zu nehmen" (Vorrede).

Sowohl Johann Ulrich Zorn als auch Gottlob Friedrich Elsässer beschäftigen sich mit dem geistvernebelnden blauen Dunst, der die Wahrheit verbirgt und sich in mancherlei Gestalt äußert. Zorns "Buch vom blauen Dunst" (1768) behandelt seine Erscheinung in Worten, Schriften, Gebärden, Handlungen und Sachen, bei Büchertiteln, Disputationen an Universitäten und im Verlagswesen: "hingegen der Abgott derer Herren Verleger ist nicht Ehre, sondern Gewinnsucht, und disem Gözen opfern sie alles auf. Je ärgerlicher, je ehrenrühriger Ein Stük ist, desto eher bekömmts einen Verleger, weil die Neugierigkeit und Lust nach verbotenen Dingen die allgemeine herrschende Neigung der Menschen ist . -. " (S. 154). Gleiche Gesinnung spricht auch aus Gottlob Friedrich Elsässers "Blauer Dunst in Gedichten" (1771), das auf blauem Papier satirische Gedichte gegen Studenten, Advokaten, Literaten und Kritiker enthält und den blauen Dunst als Zeiterscheinung geißelt:

Daß jede Messe gute Schriften
Ein Denkmaal der Gelahrtheit stiften,
Das macht die Übung edler Kunst;
Doch daß sich Riedels unterstehen,
Zu tadeln, was Sie nicht gesehen,
Das kömmt vom blauen Dunst (S. 8).

Als Teil des bürgerlichen Literaturgeschmacks fanden echte und erdichtete Lebensgeschichten, wie bereits vom Anfang des 18. Jh. und auch aus der englischen Romanliteratur bekannt, ein interessiertes Lesepublikum. Johann Jakob Schatz entwirft in "Der entlarvte Graf oder ausserordentliche Geschichte der (!) Fräulein Theodora von ... ", (1764) ein Gegenbild zu den Abenteuern, die junge mittel- und gönnerlose Männer zu bestehen hatten. Ein Mädchen verliert früh ihre Eltern und erlebt in Männerkleidern vielerlei Abenteuer als Soldat und Händler. Vor einem Todesurteil flieht sie nach Ostindien, leut dort ihre Männerkleider ab und heiratet. Es ist weniger die Pikanterie der Verkleidung, die den heutigen und vielleicht auch den früheren Leser fesselte, sondern eher die innewohnende emanzipatorische Tendenz und das kritische Zeitbild. Aufklärerische und freimaurerische Tendenzen finden sich in "Georg Wallers Leben und Sitten" (1793), verfaßt von dem Offizier und späteren Bibliothekar Heinrich Gottfried von Bretschneider, der damit z. T. eigene Erlebnisse unter Pietisten, Herrnhutern und Freimaurern wiedergab.

Unter ausländischen Verfassern belletristischer Werke sind in dieser Zeit Voltaire mit seinen Trauerspielen "Saul" und "Saul und David" zu nennen sowie Claude Prosper Crébillon mit seiner in Japan angesiedelten Geschichte "Der Schaumlöffel" (1750). Hier macht er sich in der Einkleidung in höfisch-erotisches Milieu der Zeit über die Literatur der Zeit, über Hofleben und Wundergeschichten lustig.

Unter den meist schmuck- und abbildungslosen Produktionen, die sich von der übrigen zeitgenössischen Produktion kaum abheben, nimmt die von Johann Balthasar Sedlezki (1727-1772) 1762/63 wöchentlich herausgegebene Zeitschrift "Der Apotheker" eine Sonderstellung ein. Wie manche Zeitschriften dieser Zeit, so war sie fast das alleinige Wer](ihres Herausgebers. Fast jeder Nummer war jedoch ein Kupfer vorangestellt, das sich auf den meist satirisch-spöttischen oder moralisch-belehrenden Inhalt bezog. Neben Allegorien wird des Apulejus "Goldener Esel" abgedruckt, außerdem Jonathan Swifts satirisch gemeinter "Untrüglicher Vorschlag, wie die Schulden des Königreichs Irland in einer Zeit von einem halben Jahr leichthin können abgetragen werden". Eine umfangreiche, sachlich gegliederte Liste fingierter Buchtitel zielt auf Auswüchse des geistigen und literarischen Lebens der Zeit, z. B.

Aus der Zeit der sog. "erweiterten Preßfreiheit" unter Joseph II. stammt die erste (und einzige) Nummer einer Zeitschrift, deren Titel "Scheißereyen" (1785) auch den wenige]empfindsamen Zeitgenossen etwas derb vorgekommen sein dürfte. Herausgegeben wurde sie von dem Wiener Literaten und Kritiker Johann Rautenstrauch, der sich mit seinen drastischen Äußerungen über Mäzene und schreibende Kollegen außerordentlich weit vorgewagt hatte. Bezeichnend das Motto des Bändchens: Erlogen ist das dictum: Cacatum non est pictum.

Das teilweise widersprüchliche Bild der Produktion der vorrevolutionären Jahrzehnte reflektiert, wenn auch in verkleinerter Form, Teile der zeitgenössischen literarischen Produktion, auch wenn solche Perioden wie Sturm und Drang oder einsetzende Klassik sich hier nicht niederschlagen. Ein expandierender literarischer Markt, der zu einem Wirtschaftsfaktor geworden war, bedurfte zum eigenen Schutz gelegentlich der Verkleidung, vor allem bei weniger prominenten oder umstrittenen Autoren. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Autoren selbst Einfluß auf die Wahl des Impressums nahmen und damit zeigten, daß die Erinnerung an einen Verleger geblieben war, dessen Name in der Vergangenheit ein Programm bedeutet hatte - eine Erinnerung, die nach 1789 erneut produktiv werden sollte.


 

Anmerkungen

  1. Geschichte des deutschen Buchhandels. - Bd. 1-4. - Leipzig 1886-1909. - Bd. 1: S. 299; Bd. 2: S. 195,197.
  1. De nieuwe Test van de trouw der Engelse Kerk. - Tot Keulen, By Pieter Hamer (1688). - (Knuttel 12947; Tiele 8645).
  2. Mauthner, F.: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. - Bd. 3. - Stuttgart u. Berlin 1922, S. 235-249; Joecher, Ch. G.: Allgemeines Gelehrten-Lexikon. - Th. 1-4. - Leipzig usw. 1750-1897.
  3. Allgemeine Deutsche Biographie. - Bd. 8. - Leipzig 1878, S. 423.
  4. Wilczek, G.: Johann Adam Freiherr von Ickstadt und die Hohe Schule zu Ingolstadt. in: Ingolstädter Heimatblätter 32 (1969) 2.
  5. Bayle, P.: Historisches und critisches Wörterbuch, nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt. - T. 2. - Leipzig 1742, S. 147.
  6. Bierling, F. W.: Commentatio de Pyrrhonismo historico. - Lipsiae 1724.
  7. Quedenbaum, G.: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706-1751. - Hildesheim 1977, S. 77-78.
  8. Niedersächsische Zeitungen von Gelehrten Sachsen (1730) 101, 19. Dez., S. 804.
  9. Staats- und Gelehrten-Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten (1745) 118, 24.7.
  10. Der Buchhändler Paul Manuz und der Buchdrucker Peter Hammer. - Kehl 1777.
  11. Preuves incontestables que la cour de Gottorp a donné tout sujet au roi de Dannemarc de se metre en possession des Duches de Slesvic et de Holstein. Unwidersprechliche Proben und Beweiß Cöln: Marteau 1716.
  12. Struve, B. G.: Grundmäßige Untersuchung von dem Kayserlichen Titul und Würde Cölln: Marteau 1723.
  13. Koser, R.: Preussische Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friedrichs II. (1740-1745). Berlin 1877, Einleitung.
  14. Catalogus Neuer Bücher, die seit der Leipziger Oster-Messe aufgelegt worden, und bey Pierre Marteau in Commission zu haben sind. - 1757. - DSB Berlin, Ms. Boruss. quart. 402, T. 4.
  15. vgl. Walther, K. K.: Grimmelshausen und Leibniz als Verfasser von Katalogen fiktiver Gegenstände und Bücher. in: Marginalien (1979) 73, S. 23-30.

 

Literatur