frameset

 

 

Die Entwicklung des Verlages Pierre Marteau/ Peter Hammer, Köln

line

Nachwirkungen

 

Der Blick auf das verlegerische Oeuvre erhellt einer Sonde gleich bisher kaum oder wenig bekannte Bereiche des literarischen Lebens und setzt bei vertrauten neue Akzente. Dabei geht es nicht um die Bewertung einzelner Werke, sondern um ihre Stellung im politischen, sozialen, philosophischen oder literarischen Kontext. Themen und Genres Art der Darstellung und Geschick des Ausdruckes sind vielfältig und oft nur in diesem Zusammenhang deutbar.

Damit aber verlieren die unter diesem Impressum erschienenen Werke den Charakter des "Curiösen" und Zufälligen, das nur den Sammler, den Antiquar, den Bibliophilen interessiert. Die oft brisante Mischung von erotischen Pikanterien (oder was man dafür halten mag), Klatsch und Tratsch über die Herrschenden, dichterischer Freiheit und kritisch-aufklärerischer Argumentation war vielfach das einzige Mittel, die Rigorositäten feudalabsolutistischer Kommunikationskontrolle zu unterlaufen. Zwar finden sich stets wieder moralisierende Stimmen zur Belletristik, besonders zum Roman, an der Wende vom 17. zum 18. Jh., aber letztlich bleibt diese Literatur weitgehend unbehelligt Beispiel sind die mehr oder weniger gelungenen Schlüsselromane. Außerhalb der großen Entwicklungslinie, die von Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik beherrscht wird, aber mit mehr namhaften Repräsentanten des Auslandes als des deutschen Sprachgebietes, offenbart sich hier eine Strömung radikalkritischen Charakters. Sie erweist sich als ein Bestandteil jener Traditionslinie, die von der englischen Revolution Mitte des 17. Jh. über die europäische politisch-publizistische Opposition, den Aufstand der nordamerikanischen Siedler zur französischen Revolution und, wenn auch in anderer äußerer Form, zur Revolution von 1848 reicht. Hier, im politisch-publizistischen Bereich mit dem Anschauungsunterricht der Tagespolitik, entwickelte sich früh die Erkenntnis, daß keineswegs "Familienpacte und Erbschaftstractate, Hofintriguen und Kabinetsgeheimnisse, Bestechungen und Spionierereien ... die Grundlage der verschiedenen Regierungen" bildeten, "die alle darin übereinkamen., die Völker nur als ein zufälliges Accidenz der Souveraine ... zu betrachten" (69). So gesehen, ist das Auf und Ab der zahlenmäßigen Produktion ein Indiz für unterschwellige politische Spannungen, deren Synchronität mit realhistorischen Vorgängen sich erst zwischen 1790 und 18 10 deutlich manifestierte. Obwohl die "Verlagsproduktion" nur einen Bruchteil der gesamten literarischen Produktion der Zeit ausmachte und nur wenige direkte Zeugnisse ihrer Wirkung bekannt sind, stellt sie im Zusammenhang mit den übrigen aufmüpfigen Zeugnissen der Zeit die Spitze eines Eisberges dar. Vielleicht war die Verwendung des Namens zeitweise auch eine Trotzgebärde oder Ausdruck einer besonderen Sensibilisierung, die ihren Standpunkt durch dieses Impressum kund tun wollte. Nicht alle Ereignisse werden gleichmäßig abgedeckt, und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg scheint sich beispielsweise hier überhaupt nicht niedergeschla,gen zu haben - dagegen zeigt sich Kontinuität in der Haltung zu zwei Ländern: Frankreich und Polen. War die Haltung gegenüber feudalabsolutistischen Herrschaftsformen um 1700 auf die Person Ludwigs XIV. als deren Protagonisten fixiert, so wich diese Haltung knapp hundert Jahre später der generellen Kritik am System und der Freude über seinen Sturz, verbunden mit der Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen auch in anderen Ländern. In engem Zusammenhang damit steht auch die Sympathie für Polen und sein Wahlkönigtum, dessen Wahlmodalitäten auf unblutige Weise eine Ausdehnung des französischen Einflusses verhinderten. Daß dieses System im Laufe des 18. Jh. zum Instrument von Intrigen der europäischen Mächte verkam, von denen drei sich, unter dem ohnmächtigen Protest progressiver Kreise, das Land dann teilten, wurde nicht übersehen. Polen genoß die Sympathien progressiver und jakobinisch gesonnener Männer und wurde, nicht zuletzt im publizistischen Wirken von Coellns, zum Ausgangspunkt für die Beleuchtung innerpreußischer Zustände.

Der belletristische Teil offenbart in seinen Anfängen, über den auf Autoren und Genres konzentrierten Teil der Barockforschung hinaus, die Ansätze einer Entwicklung, die zum bürgerlichen Roman und zur Briefliteratur führt. Viele Einleitungen und Einkleidungen publizistischer Erzeugnisse der Zeit lassen beachtenswerte Übungen der Feder erkennen, die über zeitübliche Stereotypen hinausgehen. Auffällig im Bereich der Belletristik ist, daß es nicht immer die wichtigsten Werke eines Schriftstellers waren, die mit fingiertem Impressum erschienen, und daß es in einem gegebenen Zeitabschnitt auch nicht immer die bekanntesten oder für die Nachwelt bedeutsamsten Autoren waren darüber täuschen auch Namen wie Christian Reuter, Johann Beer, Cervantes, Voltaire, Crébillon, Holbach, Klinger, Holtei nicht hinweg. Das aber ist nicht das Entscheidende entscheidend ist, daß sich hier Bewußtseinsschichten und literarische Bereich.e manifestieren wie an keiner anderen Stelle. Zu Recht weist Singer (70) darauf hin, daß für die Zeit um 1700 eine genaue Kenntnis der Romanproduktion, von wenigen Namen abgesehen, kaum besteht. Die Geschichte Jean Baerts, der hitzigen Indianerin, der Schriften Rottmanns sind solche Beispiele.

Der Gebrauch eines erfundenen Firmennamens, zu dem sich niemand bekennen mochte und den niemand ausschließlich für sich beanspruchen wollte, schloß nicht aus, daß auch Schriften darunter veröffentlicht wurden, die der eigentlichen Grundströmung zuwider liefen, wie es etwa mit der Erwiderung auf Molesworths Schrift von King und Brinck, mit Heynigs Angriff gegen Kant oder dem auf Coelln der Fall ist. Zensurfälle im Ursprungsland wie bei Crébillons "Der Schaumlöffel" veranlaßten auch den deutschen Verleger zur Vorsicht. Spekulationen auf die Zugkraft des Namens oder Imitationen des ausländischen Vorbildes sind jedoch nicht die hauptsächlichen Motive für den langandauernden Gebrauch dieses Impressums. Der Anteil anonym und pseudonym erschienener Schriften, die Entschlüsselung der Autoren, Übersetzer, Bearbeiter, Herausgeber und ihrer Herkunft offenbaren die Gründe für ein Schutzbedürfnis.

Von den Autoren, Herausgebern und Übersetzern waren nur wenige in der Lage, von den Erträgen ihrer Feder zu leben und belieferten den literarischen Markt mit den verschiedenartigsten Produkten. Viele befanden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum feudalabsolutistischen Verwaltungsapparat, gehörten kirchlichen, schulischen oder wissenschaftlichen Einrichtungen an und betrieben die literarische Tätigkeit als "Nebenstunden" und zur Verbesserung ihrer eigenen materiellen Lage. Ohne den Verlust der Anstellung, Verfolgung, Inhaftierung, Ausbürgerung zu riskieren, wirkten sie von ihren Positionen als württembergischer Domänenrat (Elsässer), Universitätskanzler (Koch), Kammerfiskal (Paalzow), Hofrat und Kammerprokurator (von Leth), russisch-kaiser licher Hofrat (Ewers), österreichischer Feldmarschall-Lieutenant (Moering), um nur einige Beispiele zu nennen. Theodor Friedrich Laus' theologisch-philosophische Schriften hatten ihm bereits Verweisungen und Verfolgungen eingebracht, so daß sein kameralistisches Werk über das Finanzwesen der Niederlande nur anonym und mit fingiertem Impressum erscheinen konnte.

Sie alle waren also verwundbar oder hatten schon ihre Erfahrungen hinter sich und wollten nicht ohne ausreichenden Schutz publizieren. Daß auch namhafte Autoren und Verleger der Zeit sich zu tarnen suchten, erinnert sei an Goethe, Schiller, Grillparzer, sei hier nur vermerkt; warum sie sich nicht des Namens Marteau bedienten, bleibe dahingestellt (71). Nicht zu übersehen ist auch der Ursprung und die Motivierung aus dem Umkreis der politisch-publizistischen Opposition des ausgehenden 17. Jh. und ihrer Flugschriften mit vielfach anonym gebliebenen Urhebern. Hier mochte, wie im Falle von Molesworths "State of Denmark", bereits das Gerücht des Illegitimen genügen, um eine. Veröffentlichung unter dem Impressum Marteau in mehreren Sprachen zu veranlassen und zur Verbreitung der Schrift beizutragen. All diese Beispiele zeigen, daß die Verwendung dieses fingierten Impressums mehr war als ein aus dem 17. Jh. herübergenommener "Autorenwitz, eine direkte Neckerei und Herausforderung der Behörden", wie es Arnold nennt (72).

Die erneute Blüte der "Verlagsproduktion" zwischen 1790 und 1810 fand ihre Nahrung vor allem in der Begeisterung für die Ziele und Ideale der französischen Revolution einerseits, in dem Kampf um die nationale politische und soziale Erneuerung Deutschlands durch den Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft andererseits. Stilistisch und rhetorisch noch heute fesselnd lesen sich die meisten dieser von politischem Elan, Entschiedenheit der Haltung und radikaler aufklärerischer Kritik geprägten Schriften. Um der weiteren Wirkung der hier propagierten Ideen zu begegnen, schlossen sich die Sieger über Napoleon zusammen, um ihre konservative und restaurative Politik wohlabgestimmt betreiben zu können. Wie wenig es ihnen gelang, zeigt der Gang der Geschichte der ersten Jahrhunderthälfte, als in Vorbereitung und Verlauf der revolutionären Ereignisse die ersten politischen Verbindungen und Organisationen entstanden, die sich anderer Mittel als des fiktiven Impressums Peter Hammer bedienten.

Während die meist schmalen politisch-publizistischen Erzeugnisse der Zeit unter diesem Impressum sich zusammen mit ähnlichen Schriften in zeitgenössischen Sammelbänden in mancherlei variierenden Ausgaben erhalten haben, fielen die belletristischen Werke nicht nur dem physischen Verschleiß durch unbekümmerte Leser, sondern auch dem ästhetischen Verdikt einer an anderen Maßstäben orientierten Zeit anheim. Unabsehbar sind die Verluste durch Kriegsfolgen und andere Katastrophen. So sind Ausgaben Beers, Reuters, Bohses, Gressels, von 1001 Nacht heute seltener als manche Inkunabel und werden von Bibliotheken teilweise fast ebenso gesichert. Dabei offenbaren gerade auch die weniger bekannten Titel Ansätze, die nicht unwesentlich waren für die Entwicklung zum bürgerlichen Roman und zur Briefliteratur oder zu Werken, die wie die Übersetzungen von Cervantes und 1001 Nacht rezeptions- und wirkungsgeschichtlich folgenreich waren.

Das Netz von Beziehungen, das zwischen Autoren, Herausgebern, Übersetzern usw. rekonstruierbar ist, läßt sich für die Verleger und Drucker kaum knüpfen. Sie waren fast über das gesamte deutsche Sprachgebiet verstreut und verwendeten nur selten, wie etwa Brockhaus, das Impressum mehrfach. Durch wiederholte Angaben wie Peter Hammers Erben, Peter Hammers Witwe usw. suchten einige zusätzliche Hinweise für die eigentliche Herkunft zu geben, doch sind Analogieschlüsse für weitere Aufhellungen kaum möglich. Typen und Schmuckelemente bieten kaum verläßliche Anhaltspunkte, da gewerbsmäßige Schriftgießereien bereits den Markt zu beliefern begannen und weiterreichende typographische Forschungen zu diesem Zeitraum fehlen. Neben den schon eingangs erwähnten Praktiken der Contre-façons oder Nachschußauflagen sind auch hier noch die Tarnungen der Herkunft für den Absatz in bestimmten Verbreitungsgebieten zu nennen, wie ihn Hardin z. B. für Johann Beers "Verkehrten Staatsmann" (73) festgestellt hat.

In der Kombination Verlagsort + Drucker/Verleger erhellt dieses fingierte Impressum einen Teilbereich des weiten Feldes literarischer Tarnungen. Die zahlenmäßige Überschaubarkeit im Vergleich zu solch vielbenutzten Impressa wie Deutschland, Germanien, Frankfurt und Leipzig oder auch Koeln ohne jeden Zusatz macht eine Darstellung überhaupt erst möglich. Dabei kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß nicht noch weitere Titel mit diesem Impressum auftauchen können.

Die Beschäftigung mit diesem "Verlag" eröffnet den Blick auf Bereiche des progressiven literarischen und kulturellen Erbes und seiner Rezeption zu seiner Zeit - sie ist zugleich Anreiz für weitere Untersuchungen in einzelnen Disziplinen oder zur Textgeschichte eines Werkes, die zeigen, wie wenig das Vergangene tot, ja, daß es nicht einmal vergangen ist, sondern zu den geistigen Grundlagen unserer Zeit gehört.


 

Anmerkungen

  1. Prutz, R.: Geschichte des deutschen Journalismus. - T. 1. - Hannover 1845, S. 378.
  2. Singer, H.: Der galante Roman. - Stuttgart 1961.
  3. Es ist auffällig, daß Goethe, der sich zu so vielen Personen und Vorgängen geäußert hat, über den Namen Marteau/Hammer kein Wort verliert (Vgl. Sophienausgabe und Gespräche mit Eckermann).
  4. Arnold, R. F.: Geschichte der deutschen Polenliteratur von den Anfängen bis 1800. - Halle 1900, S.142.
  5. Hardin, J.: A note on Johann Beer's Der verkehrte Staats-Mann. in: Daphnis 4 (1975), S. 202-204.

 

Literatur