lineThe Novel

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[Hunold, Christian Friedrich =] Menantes,
Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte (Hamburg: G. Liebernickel, 1705).
line by Hans Wagener

[Christian Friedrich Hunold =] Menantes, Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte (Hamburg: G. Liebernickel, 1705).

Der| Europæischen| Höfe,| Liebes-| Und| Helden-Geschichte,| Der Galanten Welt zur ver-|gnügten Curiosité ans Licht| gestellet.| Von| Menantes.| [rule]| HAMBURG,| [rule]| Bey Gottfried Liebernickel, 1705.

Description

2 pts. frontispiece/ p.[i] black and red title page/ p.[iii-xiv] pref./ p.[1]-527/ p.[528] blank/ p.[529] title pt.2/ p.[530] blank]/ p.531-1216/ 8°

Shelf-markslink

{1a: Yv.68} {3: AB:41.24/h,23} {23: Lo.3359} {Regensburg UB: 221/ G 225 593}

Bibliographical Reference

Hans Wagener (Bern, 1978), p.72-73. - Weber/ Mithal (1983), p.196. - G. Dünnhaupt (1990-93), p.2195: 11.I.1.

Author

Hunold, Christian Friedrich (1681-1721).link

History of Publication
A. 1.a this editionDer Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte (Hamburg: G. Liebernickel, 1705). [Reprint: ed. H. Wagener/ E. Sobel (Bern, 1978).]
  b [...] (Hamburg: G. Liebernickels Wittwe, 1709).link
  c [...] (Hamburg: J. W. Fickweiler, 1715).link
  d [...] (Hamburg: J. W. Fickweiler, 1718).link
  e [...] (Hamburg: J. W. Fickweiler, 1720).link
  f [...] (Hamburg: J. W. Fickweiler/ Chr. W. Brandt, 1724).link
  g [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1729).link
  h [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1734). {UB Augsburg:}
  i [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1744). {L: 12330.b.43.}

Continuation by Johann Georg Hamann:

2.a Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte [...] Zweyter Theil (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1728).link
  b [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1729).link
  c [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1734). {Duke UL} {Erlangen UB:} {Schwerin:} {Tübingen UB:}
  d [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1741). {Weimar ZB:}
3.a Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte [...] Dritter Theil (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1740). {Elangen UB:} {Schwerin:} {Tübingen UB:} {Yale UL:}
  b [...] (Hamburg: Chr. W. Brandt, 1747). {3:} {Weimar ZB:}
Self-classification

Title: "Liebes- und Helden-Geschichte"; fol.)(2v: "Roman".

Remarks
link Aufbau
  1. Liebes- und Helden-Geschichte des tapffern Hertzogs Gustavus und der Printzeßin Arione
  2. Liebes- und Helden-Geschichte des Grafen Sillbert von Cremarsig
  3. Traurige Liebes-Geschichte des durchlauchtigen Hertzog Albions und der Printzeßin Marchiana
  4. Liebes-Geschichte des Alfonso, Königs in Torgapulien, und der Printzeßin Isabella
  5. Liebes- und Helden-Geschichte des durchlauchtigen Printzen von Aurasien, und der Printzeßin Amarianen
  6. Kurtze Liebes- und Helden-Geschichte des Königs Silvio, in Gallien
  7. Helden-Geschichte des tapfern Printzen Viciludo von Leburgino. Liebes-Geschichte des großmüthigen Printzen von Leburgino
link Quellen
link Schlüssel
link Literatur
Aufbau der Europäischen Höfe

Die folgende Gegenüberstellung von historischen Fakten mit der Romanhandlung wird deutlich machen, auf welche Weise Hunold seine traditionellen Themen von Liebe und Heroik mit der historischen Realität verquickt hat. Als bestimmendes kompositorisches Prinzip wird sich dabei zeigen, daß Hunold die Reihenfolge der historischen Ereignisse möglichst dem altüberlieferten Schema des spätgriechischen Heliodorschen Romans angepaßt hat, wie es vom deutschen und französischen höfisch-historischen Barockroman immer wieder verwandt worden war: Vereinigung des Liebespaares, Trennung und Wiedervereinigung.

1. Liebes- und Helden-Geschichte des tapffern Hertzogs Gustavus und der Printzeßin Arione

Diese Erzählung hat vor allen anderen dadurch einen Vorrang, daß sie gleichzeitig den Rahmen bildet, in den alle anderen Geschichten eingelegt sind. Gustavus, der Hauptheld des ganzen Romans, ist nicht nur der Zuhörer aller anderen Geschichten; er begegnet auch ihren Handlungsträgern und greift zum Teil aktiv handelnd in ihr Schicksal ein, so z.B. in der linkLiebes- und Helden-Geschichte des Grafen Silibert von Cremarsig und der linkLiebes-Geschichte des Alfonso, Königs in Torgapulien, und der Printzeßin Isabella.

Folgende historische Ereignisse liegen der Handlung zugrunde:[1] Friedrich August (1670-1733), der jüngere Sohn Kurfürst Johann Georgs III. von Sachsen, trat im November 1687 im Alter von 17 Jahren die damals übliche große Kavalierstour an. Er reiste incognito als Graf von Meißen, begleitet von einem kleinen Gefolge und dem Prinzenerzieher von Haxthausen. Die mehrjährige Tour führte ihn durch Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlande, das Reich und Italien. Im März 1689 kehrte er auf Befehl des Vaters heim und nahm in den folgenden drei Jahren an den Kriegen gegen Frankreich am Oberrhein teil. Als am 12. September 1691 der Vater überraschend an einem Fieber starb, übernahm der 1668 geborene Johann Georg IV. die Regierung, von dem noch die Rede sein wird. Friedrich August hielt sich eine Zeitlang am kaiserlichen Hof in Wien auf und nahm an einem Feldzug in den Spanischen Niederlanden teil. Am 10. Januar 1693 folgte er dem Beispiel seines kürzlich verheirateten Bruders, indem er sich mit seiner Cousine vermählte, der Prinzessin Christiane Eberhardine von Bayreuth, Tochter des Markgrafen Ernst. Nach einer Italienreise - ohne seine Frau - hielt er sich bis Anfang 1695 in Dresden auf, da er im April 1694 nach dem Tode seines Bruders die Regierung hatte übernehmen müssen. Von Juli 1695 bis September 1696 nahm er an den Türkenkriegen teil und zwar als Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres in Ungarn, aber mit wechselndem Erfolg: In der Schlacht an der Bega, 1696, die unentschieden ausging, erlitten die Deutschen erhebliche Verluste, woran zum groß. en Teil der Widerstand des alten kaiserlichen Generals gegen das Oberkommando des jungen Kurfürsten schuld war. Als die polnische Krone durch den Tod Johann Sobieskis frei wurde, bewarb sich Friedrich August Anfang 1697, trat am 2. Juni sogar heimlich zum Katholizismus über, um sich zu qualifizieren, und wurde am 27. Juni 1697 auch tatsächlich zum polnischen König gewählt. Der von Ludwig XIV. gestützte Kandidat, Prinz Conti, der mit einer Flotte in Polen gelandet war, wurde von Friedrich August erfolgreich vertrieben.

Da diese Geschichte Augusts des Starken den Rahmen des Hunoldschen Romans abgeben sollte, mußte sie den strukturellen Erfordernissen der Gattung gemäß mehr als die anderen Geschichten angepaßt werden. Zunächst ändert Hunold die Reiseroute der Kavalierstour: Statt Paris, Madrid, Lissabon, Niederlande, Venedig geht der Weg nun über Wien nach Venedig, Madrid, Lissabon, durch die Niederlande nach Paris. Gleichzeitig ändert sich auch das Reisemotiv, indem aus der zur Bildung unternommenen Kavalierstour eine Verfolgungsjagd zur Wiedererlangung der angeblich entführten Geliebten, der Prinzessin Arione, wird. Dadurch ist die Reise mit dem Hinzutreten eines neuen Spannungselements künstlich dramatisiert und die Motivierung ethisch erhöht. Auch die Reise nach Paris findet nicht zum Erwerb von gesellschaftlichem Schliff in der galanten Metropole des Sonnenkönigs statt, sondern wieder, um einen Gefangenen zu befreien, diesmal den Vater der Geliebten, der aber, wie sich herausstellt, inzwischen schon längst befreit worden war, genau wie die Jagd nach Arione sich als sinnlos herausstellt, da die Entführung von ihrem Vater nur vorgetäuscht worden war. Endlich wird Arione tatsächlich entführt, diesmal nach Polen, und Gustavus zieht dorthin, um sie dem thualinischen (= polnischen) Prinzen zu entreißen. Dabei fällt ihm ganz nebenbei die Krone des Landes zu, die er eigentlich nur annimmt, weil es das Beste des Reiches erfordert (S. 1183)[2] Aber auch diesmal braucht er seine geliebte Arione nicht aus den Händen ihres Entführers zu befreien, weil ihr ohne seine Hilfe die Flucht gelingt. - Die historische Christiane Eberhardine ist natürlich nie entführt und von August dem Starken auch nicht so heiß geliebt worden, daß er ihretwegen einen Krieg geführt hätte, denn die Ehe war aus ganz realen politischen Motiven geschlossen worden, und nicht aus Liebe. Auch heiratete der historische Friedrich August seine Gemahlin fast unmittelbar, nachdem er sie persönlich kennen gelernt hatte, d.h. nach der großen Kavalierstour, und 1696 gebar sie ihm schon einen Sohn. Als er sich auf seine Bildungsreise begab, war er, wie wir sahen, noch ein ungebundener junger Mann von siebzehn Jahren, der sich während der Reise in eine ganze Reihe lebensgefährlicher amouröser Abenteuer einließ, wenn man den Berichten des sicherlich übertreibenden Abenteurers von Pöllnitz Glauben schenken darf.[3] - In den Europäischen Höfen findet die Begegnung schon zu Beginn der großen Reise und die Hochzeit erst nach Erwerb der polnischen Krone statt, so daß das Heliodorsche Schema von Vereinigung, Trennung, Wiederfinden ganz erfüllt ist, wobei Gustavus während der Trennung seiner Geliebten gegenüber eine erstaunliche - unhistorische - Treue beweist.

Die in diesen Rahmen eingelegten Erzählungen folgen zum großen Teil demselben Grundschema und korrigieren die Geschichte auf ähnliche Weise:

2. Liebes- und Helden-Geschichte des Grafen Sillbert von Cremarsig

Diese Geschichte hat historische Ereignisse zum Vorwand, die um 1700 noch in aller Munde waren und Anlaß zur Formulierung der widersprüchlichsten Meinungen und Theorien über den tatsächlichen[4] Sachverhalt gaben. Der Graf Philipp, Christoph von Königsmark, ein junger, glänzender Kavalier, in Schweden geboren, aber von altem brandenburgischem Adel, der in hannoverschen Diensten stand, verschwand in der Nacht vom 1. Juli 1694 im hannoverschen Schlosse, ohne daß man je eine Spur von ihm fand. Wenig später wurde die hannoversche Kurprinzessin Sophie Dorothea in ein einsames Landschloß in Ahlden gebracht und im selben Jahr von ihrem Mann geschieden. Der wahre Sachverhalt ist bis heute unklar geblieben, zumal die Aufschluß versprechenden Dokumente offensichtlich von der hannoverschen Regierung vernichtet worden sind.[5] Die hannoversche Regierung beteuerte, über den Verbleib des Grafen nichts zu wissen und protestierte angesichts der wildesten umlaufenden Gerüchte gegen den "Wahn", "als ob dessen Disparition mit des Kurprinzen Frau Gemahlin Retraite einigen rapport hätte"[6] konnte aber damit die weitere Verbreitung kompromittierenden Klatsches nicht aufhalten. August der Starke, Hunolds Gustavus, schaltete sich auf diplomatischer Ebene ein, um die Freilassung des Grafen zu erwirken, bewegt von Aurora von Königsmark, der Schwester des verschwundenen Kavaliers, die in der Folge jahrelang seine Mätresse werden sollte. Hannover bedauerte, nichts zu wissen.

Sophie Dorothea (1666-1726), die Tochter des Herzogs Georg Wilhelm von Celle und der nicht standesgemäßen Eléonore d'Olbreuse, deren Schicksal Hunold bereits als Thema seiner Liebens-Würdigen Adalielink verarbeitet hatte, war im Alter von zehn Jahren mit Friedrich, dem Erbprinzen von Braunschweig-Wolfenbüttel verlobt worden, nach dessen Tode im Felde der hannoversche Herzog Ernst August für seinen ältesten Sohn Georg Ludwig, den späteren König Georg I. von England, um die Hand der Prinzessin anhielt, da sie seinem Hause die Erbschaft des Herzogtums Celle einbringen würde. Eine hohe Mitgift wurde vereinbart und 1682 der Ehekontrakt geschlossen. Da allgemein bekannt war, daß Königsmark ein Jugendfreund Sophie Dorotheas gewesen war, der in Hannover ihre Nähe gesucht und vielleicht mit ihr in[7] brieflichen Kontakt getreten war, verknüpfte das Gerücht das Verschwinden Königsmarks und die Scheidung der Prinzessin miteinander. Der Wahrheit am nächsten kommt dabei wahrscheinlich die Theorie, daß Sophie Dorothea, des Ehebruchs mit Königsmark überführt, sich von ihrem Geliebten entführen lassen wollte, um ihn schließlich zu heiraten. Da dies auch aus ihren Briefen hervorging, verzichteten sogar die Eltern auf ihre Verteidigung, und die Beseitigung Königsmarks sowie ihre Scheidung und gewaltsame Isolierung der Prinzessin waren die Folge. Eine derartige Geschichte ließ sich natürlich im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nicht literarisch gestalten, da ein Autor kaum ungestraft die ehemalige Gattin des englischen Thronfolgers (als solcher wurde Kurfürst Georg Ludwig 1701 nach dem Ableben des letzten der siebzehn Kinder der Königin Anna anerkannt) und Mutter der Königin von Preußen (ihre Tochter Sophie Charlotte hatte 1684 den Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg - ab 1701 "König in Preußen" - geheiratet) des Ehebruchs beschuldigt werden konnte. Aber es gab u.a. eine andere pikante Version, eine märchenhafte Liebesgeschichte, die in der Literatur Eingang fand: Königsmark wäre lange Zeit der Geliebte der Gräfin von Platen gewesen, der Mätresse des Kurfürsten Ernst August von Hannover, die ihn mit ihrer Tochter verheiraten wollte, um die eigene Affäre zu vertuschen und ihn sich gleichzeitig zu erhalten. Als er sich bei einem Gelage in Dresden Ihrer und der Kurprinzessin Gunst rühmte, habe ihn die Gräfin beim Kurfürsten verleumdet. Dieser habe ihn dann töten und seine Schwiegertochter verbannen lassen.

Das ist in großen Zügen die Version, die Hunold in seinem Roman übernimmt, übrigens der frühesten Verwertung der Geschichte in einem Roman, nachdem die Prinzessin schon 1695 in einer anonymen Relation in Paris verteidigt worden war.[8] Da der Stoff durchaus pikant und gefährlich war und Hunold kaum über genaue Informationen verfügt haben dürfte, präsentiert er die Geschichte in Form eines reichlich phantastischen Märchens von der bösen Fee, kombiniert mit dem heliodorschen Strukturprinzip: Silibert verliebt sich heimlich in Dorimena, entsagt aber großmütig, als sie aus politischen Gründen verlobt wird, und schreibt entsagende Briefe, während er ritterliche Waffentaten vollbringt. Dann tritt die liebestolle Adina auf den Plan, die die Rolle der Gräfin Platen spielt und für die interessanterweise der Schlüssel Wedels keinen konkreten Namen gibt. In den Worten des verzauberten Reinald, der als Schwarzkünstler Gustavus und seinen Leuten begegnet und ihnen von Siliberts Gefangennahme berichtet, gibt Hunold seine Interpretation des Geschehens:

Ihre [Adinas] Glut verwandelte sich in eine Raserey, da sie ihn nicht gutwillig zur Gegen Gunst bewegen kondte. Sie brachte dem Groß-Hertzog bey, wie er eine tadelhaffte Brunst auf seine Gemahlin geworffen, welcher er doch noch niemahls seine Liebe gestanden, weil er zu grosse Ehr-Furcht vor sie trug. Die Eyfersucht verleitete diesen Hertzog, daß er dem Gräfflichen Fräulein alles überläßt. Es nahmen deinen Freund in dem Wald von Verona etliche Gefangen und Arten ihn nach Welschland zu. Das Fräulein folgte also fort, und wird ihn in eine ewige Sclaverey bringen. (S. 776)

So erscheint Königsmark in Hunolds Version als ein unschuldiger Kavalier, und Sophie Dorothea als eine großmüthig Entsagende, die durch eine eifersüchtige Nebenbuhlerin in falschen Verdacht gebracht worden ist, und auch der Kurprinz, der hier an Stelle seines Vaters handelt, ist lediglich ein Opfer der Intrige. Die Intervention Augusts des Starken in der Königsmark-Affäre hat sich offensichtlich in der Hilfe Gustavus' für Silibert niedergeschlagen. Indem Adina zur bösen Zauberin wird, die ein unrühmliches Ende findet, und Silibert zum vorbildlich sterbenden Opfer, läuft die Geschichte in die Gattung des Exempels aus, und eine Beleidigung des Hauses Hannover wird geschickt vermieden.

Hunolds Version bildete nur den Anfang einer ganzen Reihe von Behandlungen des Stoffes im Roman. Selbst Herzog Anton Ulrich hat 1707 im letzten Band der Römischen Octavialink eine "Geschichte der Prinzessin Solane" eingefügt, in der die hannoverschen Ereignisse in antikem Gewande berichtet werden. Die meisten späteren Bearbeitungen lehnen sich an die Römische Octavia an.

3. Traurige Liebes-Geschichte des durchlauchtigen Hertzog Albions und der Printzeßin Marchiana

Noch mehr als in der vorigen Geschichte wird in dieser beschönigt, wird eine saubere Romanversion eines historischen Skandals gegeben, obwohl sich Hunold in Einzelheiten zunächst strenger an die Fakten zu halten scheint.[9] Die historischen Personen stimmen zum großen Teil mit denen der Rahmengeschichte überein, was im Roman nicht deutlich wird. Hunold spricht nur von einer "nahe[n] Verwandtschafft dieses Hertzog Albions mit dem Königlichen Wittekindischen Hause" von dem Albion eine Markgrafschaft zu Lehen bekommen habe (S. 182).

Der historische Schauplatz ist wiederum das Kurfürstentum Sachsen, das durch folgenden Skandal mehrere Jahre lang in Atem gehalten wurde: Der damals zwanzigjährige Kronprinz Johann Georg (geb. 1668) halte sich 1688 in die damals dreizehnjährige Magdalene Sibylle von Neitschütz (geb. 1675), die Tochter eines Gardeobersten, heftig verliebt. Als 1691 sein Vater, Johann Georg III., starb und er als Johann Georg IV. die Regierungsnachfolge antrat, wurde sie ganz offiziell zu seiner Favoritin, der er einen Palast mit Hofstaat und Landgüter schenkte. Ihr Vater wurde zum Generalleutnant befördert, und die Freunde der intriganten Mutter erhielten die höchsten Verwaltungsstellen. 1693 erreichte er sogar die Erhebung der "Neitzschin" zur Reichsgräfin von Rochlitz. Inzwischen hatten sein Bruder, Friedrich August, und seine Mutter ihn aber überredet (1692), eine standesgemäße Ehe einzugehen, und zwar mit der sechs Jahre älteren Eleonore Erdmuthe Luise von Sachsen-Eisenach, die nach viereinhalbjähriger Ehe mit Johann Friedrich von Baden-Durlach verwitwet war. Von Liebe konnte hier keine Rede sein, ja zwischen den Ehegatten kam es tatsächlich zu Handgfeiflichkeiten, Vehse berichtet jedoch nichts über einen Streit, bei dem Friedrich August den Bruder nur mit Mühe daran gehindert hätte, seine Gemahlin zu erstechen (Hunold, S. 206f.). Diese Lage sollte aber nicht lange dauern: Schon am 4. April 1694 starb die schöne Gräfin an den Blattern, noch nicht zwanzig Jahre alt, und drei Wochen später, am 27. April 1694, starb auch Kurfürst Johann Georg IV., im sechsundzwanzigsten Jahre seines Lebens. Es ist wahrscheinlich, daß er sich von Magdalene Sibylle angesteckt hatte, da er in den letzten Tagen ihrer Krankheit nicht von ihrer Seite gewichen war und, wie Pöllnitz berichtet, sich auch nach ihrem Tode nicht von der geliebten Leiche trennen konnte.[10] Sein plötzliches Ableben gab jedoch Grund zu allerlei Gerüchten. Man munkelte, er sei vergiftet worden oder durch Zauberei ums Leben gekommen. Nach seinem Tode wurde auch gegen die Mutter der Gräfin von Rochlitz ein Hexenprozeß angestrengt, denn einerseits wurde sie beschuldigt, den Kurfürsten Johann Georg III durch Zauberei ermordet zu haben, um den Geliebten ihrer Tochter, Johann Georg IV., zur Regierung zu bringen, andererseits, daß sie diesen durch Zauberei in ihre Tochter verliebt gemacht habe. Von Georgs IV. Vergiftung war keine Rede, ja dieser Prozeß lenkte vielmehr die Aufmerksamkeit von dem Tod des angeblich unter mysteriösen Umständen verstorbenen Kurfürsten ab. Nachdem die Frau Generalleutnant anderthalb Jahre in Dresden gefangen gesessen hatte, schlug der neue Kurfürst Friedrich August den Prozeß nieder und Magdalene Sibylles Mutter lebte noch bis 1713 auf dem Gute ihres Sohns, des Generalmajors Rudolf Heinrich von Neitschütz und wurde nicht, wie Hunold berichtet, zu ewiger Gefangenschaft in den Kerker geworfen.

Wieder paßt Hunold die historischen Fakten dem Heliodorschen Schema von Vereinigung, Trennung, Wiedervereinigung an: Albion heiratet bei ihm zuerst die innig geliebte Marchiana (S. 183), wird dann durch Zauberei von ihr getrennt, kehrt aber vor seinem Tode zunächst noch einmal zu ihr zurück (S. 209). - In Wirklichkeit schaute Johann Georg dem Einzuge seiner Braut in Leipzig an der Seite Magdalene Sibylles zu und wäre fast noch im letzten Augenblick[11] von der Eheschließung zurückgetreten. So ändert Hunold die Realität von Mätressenwirtschaft und politischer Ehe wieder in ein Märchen von der bösen Fee, wobei die historischen Fakten dem traditionellen Schema des höfisch-historischen Romans angepaßt werden.

4. Liebes-Geschichte des Alfonso, Königs in Torgapulien, und der Printzeßin Isabella

Auch dieser Geschichte liegen skandalöse Ereignisse zugrunde, die zum sensationellsten Klatsch in den europäischen Höfen gehörten. Zahlreiche Relationen des Geschehens in einer bunten Mischung von Wahrheit und Erfindung erschienen noch bis zur[12] Mitte des 18. Jahrhunderts.

Was war geschehen? Portugal hatte 1640 seine Unabhängigkeit von Spanien erkämpft und den Herzog von Braganza als Johann IV. zum König erhoben. Als er 1656 starb, führte seine Gemahlin, Luisa de Guzman, für ihren damals dreizehnjährigen Sohn, den späteren Alfons VI., die Regierungsgeschäfte weiter. Aber die Regentin war mit Hilfe des französischen Generals Schomberg im Kriege gegen Spanien erfolgreicher als in der Erziehung ihres Sohnes, der mit einer ganzen Bande unreifer junger Männer die Straßen Lissabons unsicher machte und die Bordells frequentierte. Einen besonders negativen Einfluß schien der Günstling Nicolas Conti auf Alfons zu haben, so daß die Regentin diesen mit Hilfe ihres zweiten Sohnes, Don Pedro, ergreifen und unter Protest des jungen Königs nach Brasilien schaffen ließ. "A peine Conti avait - il quitté le virage, qu'Alphonse VI l'oublia; non pour suivre les bons avis de la régente, mais pour reporter toute sa confiance, toutes les affections sur un autre courtisan, sur le "[13] comte de Castelmelhor. Dieser hetzte Alfons gegen Mutter und Bruder auf, so daß er 1662 die Regentin zwang, ihm selbst die volle Regierungsgewalt zu übertragen. Die wirkliche Macht besaß jedoch Castelmelhor, der sich als umsichtiger und fähiger erwies, als allgemein erwartet. Castelmelhor arrangierte für Alfons eine Heirat mit Marie Françoise Elisabeth von Savoyen, um die guten Beziehungen zu Frankreich zu stärken und den Thronabsichten Don Pedros entgegenzuarbeiten. Die neue Königin war nicht nur schön, sondern auch ehrgeizig und wollte selbst die Zügel der Regierung in die Hand nehmen. Zu diesem Zweck intrigierte sie gegen Castelmelhor, der einer Demission durch eine Abreise nach Italien zuvorkam. Jetzt drohte Don Pedro mit einem Staatsstreich; die Königin floh in ein Kloster und erklärte ihre Ehe mit Alfons für null und nichtig, "parce que son mariage"[14] avec Alphonse n'ayant pas été consommé. Als Alfons sie aus dem Kloster zurückholen wollte, wurde er nicht eingelassen, und sein Bruder, Don Pedro, zwang ihn zur Unterzeichnung einer Abdankungserklärung, übernahm selbst unter dem Titel eines Regenten die Regierung und heiratete am 2. April 1668 Elisabeth, deren Ehe mit Alfons inzwischen annulliert worden war. Alfons wurde von seinem Bruder heimlich in die Azoren geschafft und wegen eines spanischen Befreiungskomplotts sechs Jahre später auf ein Schloß in der Nähe von Lissabon verbannt, wo er die restlichen neun Jahre seines Lebens als Gefangener verbrachte.

Diese historischen Fakten übernimmt Hunold nur im Groben. Während der Bericht über die portugiesischen Befreiungskriege noch ganz von den Quellen abgeschrieben ist,[15] haben seine Personen mit den historischen Vorbildern wenig gemeinsam. So erscheint der junge Alfons durchaus nicht als ein unreifer Halbwüchsiger, sondern als König, dem es lediglich an gesellschaftlichem und charakterlichem Schliff fehlt (S. 235, 239). Obwohl selbst kolportagehafte Einzelheiten der Geschichte nicht von Hunold erfunden sind - sogar das Gerücht, daß sich Alfons später wegen Unfähigkeit bei seiner Frau durch seinen Günstling Antonio (= Conti) vertreten lassen will, ist[16] in den Quellen angedeutet, sind doch die meisten Motive Zusätze des Romanciers, so der Zug, daß sich die Königin vor der Reise anonym nach Lissabon begibt, und die Intrigantinnen-Rolle der Nidosia, von der die Historiographen nichts berichten. Sie dient vor allen Dingen dazu, die Verbindung der Geschichte mit der Rahmenhandlung herzustellen, indem sie die Entführung Isabellas durch Gustavus aus dem Kloster arrangiert. Der in Wirklichkeit so bedeutende Castelmelhor wird von Hunold völlig übergangen, da er als eigentlicher politischer Dirigent nicht in das traditionelle Bild des souveränen Königs passen würde. So verschmilzt er mit der Person Contis. Darüber hinaus hat sich die Motivierung der Handlung verschoben. Während in Wirklichkeit machtpolitische Faktoren die Hauptrolle spielten, tritt bei Hunold der Streit um den Besitz der Prinzessin in den Vordergrund. Auch hier hat der Schriftsteller wieder die historischen Fakten gefälscht, um das Heliodorsche Schema als Kompositionsprinzip zu verwirklichen: So wirbt Ponderodo schon à la Tristan am Cyprischen Hof für seinen königlichen Bruder um Isabella und führt die Braut nach Torgapulien, wobei er sich in sie verliebt. In Wirklichkeit begleitete eine französische Gesandtschaft die Prinzessin nach Portugal und reiste sofort wieder ab. Während in der Realität Don Pedro seinem Bruder punktuell Gemahlin und Thron abnimmt, läßt Hunold das Paar einander lieben, trennt sie dann in einer erzwungenen, aber die Keuschheit nicht verletzenden Ehe, um sie am Schluß glücklich zu vereinigen.

5. Liebes- und Helden-Geschichte des durchlauchtigen Printzen von Aurasien, und der Printzeßin Amarianen

Diese Geschichte zeichnet sich vor den anderen durch ihre ungewöhnliche Länge aus, so daß sich, wie in den älteren höfisch-historischen Romanen, eine Aufspaltung in zwei Erzählabschnitte als notwendig erwies (S. 307-529 und S. 1033-1149). Hunold hat hier englische und niederländische Geschichte miteinander verwoben und wieder durch eine typische Korrektur der historischen Ereignisfolge in das konventionelle Romanschema umgegossen.

Folgende historische Ereignisse liegen dem Erzählten zugrunde: Wilhelm von Oranien (1650-1702), der wenige Tage nach dem Tode seines Vaters, des Statthalters der Niederlande, geboren war, wurde erst nach heftigen internen Auseinandersetzungen zum Statthalter gewählt. In den Unruhen wurden die leitenden Politiker des Widerstandes, die Brüder de Witt, vom Pöbel umgebracht. Unter der Führung Wilhelms gelang es den Niederländern, sich erfolgreich gegen die Invasionsarmeen Ludwigs XIV. zu verteidigen. Da Wilhelm jedoch im Falle eines englisch-französischen Paktes eine untragbare Situation für die Niederlande voraussah, bemühte er sich lange um eine Heirat mit Maria (geb. 1662), der ältesten Nichte Karls II. von England, die wegen der Kinderlosigkeit des Königs[17] gute Aussichten auf die Thronfolge hatte. Wilhelm fuhr 1677 nach England, wo er Maria nach zähem diplomatischem Ringen um das Prärogativ von Pakt- oder Eheverhandlungen heiratete.

Karl II. hatte in den folgenden Jahren mit schweren innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen: 1678 mußte er gegen eine angebliche Verschwörung der Jesuiten, die ihm von einem zweifelhaften Theologen namens Titus Oates hinterbracht worden war, Maßnahmen treffen. Schwierigkeiten bereitete auch die Sicherung der Thronfolge, da der Bruder des Königs, Jakob, Herzog von York, zum Katholizismus konvertierte und der populäre Herzog von Monmouth, ein illegitimer Sohn Karls, ihm die Thronfolge streitig machte. Anna, die andere Tochter Jakobs, heiratete 1683 den Prinzen Georg von Dänemark. Als Karl II. am 6. Februar 1685 überraschend starb, wurde sein Bruder als Jakob II. zum König ausgerufen. Der in den Niederlanden exilierte Herzog von Monmouth landete daraufhin am 11. Juni 1685 in England und erhielt einen ungeheuren Zulauf. Er wurde aber in der Schlacht von Sedgemoor am 6. Juli von den königlichen Truppen geschlagen, auf der Flucht gefangen genommen und am 15. Juli 1685 in London hingerichtet. Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Regiment Jakobs II. wuchs jedoch angesichts seiner reaktionären, prokatholischen Innenpolitik sehr schnell, und die Lage wurde noch dadurch weiter kompliziert, daß am 10. Juni 1688 Jakobs zweite Frau, die katholische Maria von Modena, die er 1673 geheiratet hatte, zwei Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau, der Protestantin Anna Hyde (Mutter Marias und Annas), einen Sohn zur Welt brachte, denn nun bestand die Gefahr einer katholischen Erbfolge, da ja der neue Kronprinz vor den Prinzessinnen Maria und Anna ein Recht auf die Erbfolge hatte. Angesichts dieser Umstände verloren die Gegner Jakobs keine Zeit: Bereits am 30. Juni 1688 schickten sie Admiral Herbert an Wilhelm, mit dem Ersuchen, er möge doch mit einer Armee nach England kommen, die alten Freiheiten wiederherstellen und die Erbfolge seiner Frau sicherstellen. Wilhelm zögerte auch nicht lange, und nachdem seine Flotte beim ersten Versuch der Kanalüberquerung zerstreut worden war, gelang ihm am 5. November 1688 die Landung in England. Die holländischen Truppen wurden von der Bevölkerung als Befreier empfangen. Selbst Prinzessin Anna fiel von der Sache ihres Vaters ab Lind ging auf die Seite ihres Schwagers über, während die Königin Maria mit ihrem kaum fünf Monate alten Kind nach Frankreich floh, wohin ihr der König am 11. Dezember folgte. Er wurde zwar gefangen und nach England zurückgebracht, aber am 23. Dezember wurde ihm erlaubt, wieder nach Frankreich zurückzukehren. Wilhelm zog im Triumph in London ein, der Thron wurde für ledig erklärt, und am 13. Februar 1689 wurde die Krone schließlich Maria und Wilhelm gemeinsam übertragen. Da aber infolge der Maßnahmen des skrupellosen Tyrconells, eines Günstlings Jakobs, der Widerstand in Irland noch nicht gebrochen war, landete Jakob dort am 12. März 1689, zog in Dublin ein und belagerte die protestantischen Städte Londonderry und Enniskillen. Wilhelms Armee unter dem Kommando von Marschall Schomberg landete im Herbst 1689, Wilhelm selbst folgte nach und errang am 1. Juli 1690 in der Schlacht an der Boyne einen entscheidenden Sieg, der Jakob dazu zwang, nun endgültig nach Frankreich ins Exil zu gehen. Irland wurde allerdings erst im folgenden Jahr befriedet, da Wilhelms Belagerung von Limerick scheiterte.

Alle diese Fakten werden von Hunold in leicht durchsichtiger anagrammatischer Verschlüsselung berichtet, wobei er diesmal selbst relativ lange Schlachtenschilderungen, zusammengetragen aus zeitgenössischen Berichten, nicht vermeidet. Die berichteten Ereignisse sind natürlich nur eine Auswahl aus der Fülle des historischen Geschehens, ausgewählt nach dem Prinzip des Interessanten, Klatschhaften, Gerüchtmäßigen, kurz: der "Curiosité".

Die Geschichte wird wieder so korrigiert, daß die Handlung sich dem bewährten Kompositionsschema Heliodors anpaßt: Iranio reist nicht nach London mit der festen Absicht, um Amariane zu werben, sondern er verliebt sich in sie als er sie dort zufällig kennenlernt. Liebe ist das bestimmende Motiv; die Politik tritt in den Hintergrund, ja alle Feldzüge werden, wie bei der Entführung Ariones durch den thualinischen Prinzen, hauptsächlich geführt, um die Braut ihrem wortbrüchigen Vater zu entreißen und eine Zwangsehe mit dem bösen Tyrconell zu verhindern. Briefintrigen und andere Täuschungsmanöver tragen zur künstlichen Verwirrung der Situation bei. - Als der historische Wilhelm 1670 zum ersten Mal den englischen Hof besuchte, war Maria (geb. 1662) ein Kind von acht Jahren, und zur Zeit seiner militärischen Expedition nach England war er schon zehn Jahre lang mit ihr verheiratet. Der Seekrieg gegen die gallische Flotte und die Invasion in Irland mit der Belagerung von Limerick und der Schlacht an der Boyne fanden in Wirklichkeit nach Wilhelms und Marias Einzug in London und der Königskrönung statt. Bei Hunold werden sie davor verlegt, ja selbst vor die Heirat, um das Schema des traditionellen höfisch-historischen Romans mit seiner Schlußapotheose - Hochzeit und Sicherung von Thron und Reich - zu verwirklichen. So fügen sich nicht nur die Liebeshandlung, sondern auch die militärischen Ereignisse in die vorgegebene Struktur ein.

Auch ein anderes Strukturprinzip des höfisch-historischen Romans ist hier verwirklicht: das der Verdoppelung des Schicksals des Heldenpaares, denn in der Liebe zwischen der Prinzessin Anonia und dem Prinzen Adani wird das Prinzip der Trennung von der Geliebten verdoppelt. Wieder kehrt Hunold die historische Folge der Ereignisse um: Wie Iranio kann auch Adani seine Anonia wegen des väterlichen Widerstandes zunächst nicht heiraten - in Wirklichkeit feierten Prinz Georg von Dänemark und Prinzessin Anna bereits 1683 Hochzeit. Anna blieb aber am englischen Hof, und Marias Schicksal konnte so leicht mit dem ihren gekoppelt werden.

Als Iranio von seiner ersten Englandreise in die Niederlande zurückkehren will, wird er in einem fürchterlichen Seesturm mit dem Schiff nach Tanger verschlagen, wo er mit heroischer Tapferkeit der von den Mohren bedrängten Festung beisteht. Schon seit dein spätgriechischen Roman war die Beschreibung von Seestürmen im Roman ein Standardmotiv, und deshalb fehlt es wohl auch bei Hunold nicht. Sicherlich fügt Hunold diese Episode auch ein, um ein Beispiel der persönlichen Tapferkeit und kriegerischen Tüchtigkeit seines Helden Iranio geben zu können, aber der Hauptgrund ist wohl der, daß er eine tatsächlich passierte Geschichte erzählen wollte, die er so am besten in den Roman einfügen konnte. Der historische Held von Tanger war nämlich Carl Johann von Königsmark, der ältere Bruder des Grafen Philipp, des Hunoldschen Silibert von Cremarsig, ein Mann, der nicht nur durch seine ungewöhnliche Tapferkeit, sondern auch durch seine Liebesverhältnisse bekannt war,[18] 1680 bot er Karl II. seine Dienste an, um das von den Mauren belagerte Tanger zu entsetzen, und als sein Schiff sechs Monate lang durch widrige Winde aufgehalten wurde, begab er sich, Tag und Nacht reisend, auf dein Landwege durch Frankreich und Spanien nach Tanger und rettete die Festung durch seine Tollkühnheit bei einem letzten verzweifelten Ausfall.

Zwei weitere Episoden in der Iranio-Geschichte zeigen, wie Hunold darauf bedacht war, kolportagehafte Gerüchte auf gut Glauben zu akzeptieren und zu Teilen seines Romans zu machen. So schenkt er in der Frage der angeblichen Jesuitenverschwörung gegen Karl II. den Anschuldigungen des Titus Oates Glauben, der sieh durch die Erfindung der angeblichen Verschwörung hochzuspielen suchte. Hunold, für den Oates zum "gelehrten Mann" wird (S. 417), ignoriert dabei die Berichte besonnenerer Zeitgenossen, die durchaus schon vermuteten, daß es sich[19] um einen großangelegten Betrug handeln könnte.

Auf ähnliche Weise akzeptiert er das wildeste Gerücht in der Frage der "Echtheit des Prinzen von Wales, demzufolge es sich um ein unterschobenes Kind handelte, indem er voller Ironie von der Schwangerschaft der englischen Königin berichtet (S. 412, d.h. 512). Seine ganze Argumentation, ja sein ganzer Bericht von der angeblichen Geburt nimmt die Argumente aus zeitgenössischen Pamphleten auf, wie sie damals in Europa weit verbreitet waren.[20]

6. Kurtze Liebes- und Helden-Geschichte des Königs Silvio, in Gallien

Ludwig XIV. ist der Held in diesem Abschnitt. Seine Kriegs- und Liebestaten nehmen sich im Munde des französischen Erzählers, Prinz Decynto (= Conti) wesentlich positiver aus als in der populären antifranzösischen Klatschliteratur der Zeit. Im Vergleich zu den anderen "Liebes- und Heldengeschichten" ist diese dadurch interessant, daß das heliodorsche Strukturprinzip zugunsten einer Reihung von drei Liebesaffären aufgegeben wird, womit natürlich gleichzeitig auch das Ethos des höfisch-historischen Romans, das Beständigkeit im Lieben verlangte, aufgehoben ist. Eine Trennung von dem Geliebten war in diesem Fall auch gar nicht möglich, da Ludwig XIV. seine Mätressen aus seiner unmittelbaren Umgebung rekrutierte. Hunold schildert die Liebe des Königs zu drei seiner Mätressen:

1. Louise de La Vallière;
2. Françoise Athénaïs de Montespan;
3. Marie-Angélique de Fontanges.

Die zugrunde liegenden historischen Fakten sind die folgenden:

1. Louise de La Vallière (1644-1710),"[21] die Tochter eines verarmten Adeligen, war Hofdame bei der Herzogin von Orléans, der Schwägerin des Königs. Einer Anekdote zufolge entdeckte der damals dreiundzwanzigjährige Ludwig (geb. 1638) 1661 die unambitiöse, selbstlose Liebe der siebzehnjährigen Louise, als er sie nach einem Ballett im Gespräch mit ihren Freundinnen im Park belauschte. Auch nach Beginn ihres intimen Verhältnisses blieb sie in ihrer Stellung, um den äußeren Schein zu wahren. Als es 1662 durch ein Mißverständnis zum Streit zwischen den Liebenden kam, glaubte Louise, der König werde ihr nie vergeben, und floh verzweifelt zum Kloster von Chaillot, wo sie um Aufnahme bat. Aber Ludwig folgte ihr und holte sie zurück. Intriganten am Hofe bemühten sich eifrigst, das Verhältnis zu zerstören. So wurde z.B. ein anonymer Brief an die junge Königin geschickt, um diese - die Infantin Maria-Teresia von Spanien, eine Cousine Ludwigs, die er eben erst (Juni 1660) geheiratet hatte - von der Untreue ihres Gemahls in Kenntnis zu setzen. Auch die Königin-Mutter, Anna von Österreich, die das Benehmen ihres Sohnes ihrer Nichte gegenüber nicht billigen konnte, machte diesem Vorstellungen und bewegte den Abbé Jacques-Bénigne Bossuet, in Gegenwart des Königs und Louises gegen derartige Verhältnisse zu predigen. Selbst Kardinal Mazarin wurde bei Ludwig vorstellig und soll behauptet haben, der Erzengel Gabriel habe ihm befohlen, Ludwig seine unmoralischen Beziehungen zu Louise zu verweisen. Aber alles dies konnte den verliebten König nicht für lange von seiner geliebten Louise trennen, und ihre Beziehungen lockerten sich erst, als die dämonische Mme de Montespan, eine Hofdame Maria-Teresias, Anfang 1666 in sein Leben trat. Trotz dieser neuen Verbindung ließ Ludwig seine erste große Liebe nicht fallen und im Mai 1667 erhob er Louise, die ihm damals bereits drei Kinder geboren hatte, zur Herzogin von Vaujours. Noch 1671, als Louise zum zweiten Mal den Hof verließ, um im Kloster Zuflucht zu suchen, ließ er sie durch Colbert zurückholen. Am 20. Juli 1674 ging sie jedoch endgültig zu den Karmeliterinnen, wo sie als Louise de la Miséricorde die letzten vierunddreißig Jahre ihres Lebens verbrachte, nachdem sie sieben Jahre in einer Art von ménage à quatre mit dein König, der Königin und der neuen Favoritin gelebt hatte.

2. Françoise Athénais de Montespan (1641-1707) war die intelligente, skrupellose und ehrgeizige Frau des Marquis de Montespan. Als die Sechsundzwanzigjährige sich 1667 vornahm, das Herz des Königs zu erobern, war dies mehr aus Berechnung denn aus Liebe. Wie die späteren Untersuchungen der berüchtigten "Chambre ardente" ans Tageslicht brachten, hatte sie sogar die Zauberkünste einer gewissen Mme Voisin in Anspruch genommen, um Ludwig an sich zu fesseln, und jahrelang Aphrodisiaka in die Speisen des Königs gemischt. Mit diplomatischem Geschick verstand sie es, das Herz des Königs zu gewinnen, als sein Interesse an Louise abzunehmen begann, und bald erhielt sie eine Wohnung neben der alten Favoritin, so daß die offizielle Mätresse nun die wahre deckte. War die Liebe von Mlle de La Vallière selbstlos, so begann mit Mme de Montespan der politische Einfluß der Mätressenwirtschaft: Ihre Verwandten bekamen hohe Stellungen, und sie nahm die Freigebigkeit des Königs so weit wie möglich in Anspruch. Als ihr Mann sich öffentlich über ihre Untreue beklagte, wurde er auf seine Güter in den Pyrenäen verbannt. Dort angekommen, (März 1669), lud er seine Eltern und seine Freunde zu einer angeblichen Beerdigung ein, erschien auch tatsächlich mit Dienern und Kindern in Trauerkleidung und in schwarz drapierten Wagen und behauptete, er begrabe seine Gattin....

Der Einfluß von Mme de Montespan, die Ludwig acht Kinder gebar, dauerte bis 1680, als ihre Kundschaft bei der Giftmischerin Voisin enthüllt wurde, die in diesem Jahr enthauptet und öffentlich verbrannt wurde.

3. Marie-Angélique de Fontanges (1661-1681), die 1678 ebenfalls als Ehrenfräulein an den Hof der Herzogin von Orléans gekommen war: "'Belle corne un ange, avee un cœur excellent, mais sotte petite bête,' dit Madame. 'Belle come un ange, sotte comme un panier,' confirme l'abbé de Choisy. Le roi fut vivement frappé par sa beauté et s'accommoda d'autant mieux de sa sottise que l'intelligence de Mme. de Montespan le fatiguait."[22] Auch Mademoiselle de Fontanges wurde zur Herzogin erhoben (1680) und erhielt eine königliche Pension, doch starb sie schon im Juli 1681.

7. Helden-Geschichte des tapfern Printzen Viciludo von Leburgino. Liebes-Geschichte des großmüthigen Printzen von Leburgino

In dieser Geschichte treten unter anderer Verschlüsselung Personen auf, die schon zum Personal der linkLiebes- und Helden-Geschichte des Grafen Silibert von Cremarsig gehörten. Was sich lediglich geändert hat, ist der Zeitpunkt der Handlung: Ging es früher um die skandalösen Scheidungsgründe der Prinzessin von Ahlden, so jetzt um die kriegerischen Taten ihres Gemahls und die Vorgeschichte ihrer Eheschließung.[23] Eine "Helden-Geschichte" war in diesem Fall am ehesten angebracht, denn der hannoversche Kurprinz Georg Ludwig (geb. 1660) zeichnete sich vor allem durch kriegerische Tapferkeit aus, und kaum durch eine scharfe Intelligenz. Georg Ludwigs frühere Kriegsbeteiligung wird von Hunold übergangen, so die Teilnahme am Feldzug am Rhein (1675), an der Belagerung von Maastricht (1676), die Teilnahme an der Belagerung von Charleroy (1677) und an der Schlacht von St. Denys (1678). Hunold läßt seine "Helden-Geschichte" 1685 beginnen, als Georg Ludwig im Alter von 25 Jahren das Kommando über 10 000 Mann übernahm, die sein Vater, der Kurfürst Ernst August von Hannover, dem Kaiser im Kampf gegen die Türken zu Hilfe schickte. Wie bei Hunold zog auch in der faktischen Geschichte Georg Ludwig nach Ungarn, half bei der Entsetzung der Festung Gran sowie bei der Belagerung und Eroberung von Neuheusel, und beteiligte sich 1686 unter der Führung des Herzogs Karl von Lothringen an der Eroberung der Festung Ofen. Das ist der faktische Hintergrund der "Helden-Geschichte" und der Zeitpunkt, an dem bei Hunold die "Liebes-Geschichte" einsetzt.

In Wirklichkeit war der junge Georg Ludwig in seine Cousine, Sophie Dorothea, keineswegs heftig verliebt, ja er sträubte sich gegen eine - politische - Ehe mit der Tochter Eléonore d'Olbreuses, und das Heiratsangebot mußte mit einer hohen Mitgift schmackhaft gemacht werden, um den vornehmeren hannoverschen Familienzweig zur Annahme der Bedingungen zu bewegen: "However, despite the generous settlement the young Prince George was not happy about the marriage. His mother said: 'He did riot like it, but the money tempted him as it would anybody else.' His first reaction when the union had been mentioned to him had been: 'No Frenchwoman!"[24] Die Ehe wurde am 21. November 1682 geschlossen.

Hunold hat die historischen Fakten genau wie in der Geschichte Wilhelms von Oranien so umgestellt, daß das traditionelle Strukturschema erfüllt wird: Als sein Viciludo aus dem Krieg gegen die Türken zurückkehrt, wirbt er erst um seine Prinzessin; die Belagerung von Ofen (1686) ist hier also schon Vergangenheit. Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Türken erfüllen die Stelle der Gefahren, die seit dem spätgriechischen Roman die Liebenden trennten. Die Vereinigung der Liebenden, die in Wirklichkeit schon vor den Türkenkriegen stattfand, wird im Roman gleichsam als Belohnung in die Zukunft projiziert. Ein früheres Liebeseinverständnis erfindet Hunold hinzu, um es überhaupt erst zu einer Trennung kommen lassen zu können.

Da beide Viciludo-Geschichten keinerlei Skandale zum Hintergrund haben, ergibt sich die Frage, warum sie Hunold überhaupt zum Teil seines Romans gemacht hat: Einerseits wurde er mit der Schilderung der Kriegstaten Georg Ludwigs dem Charakter der Europäischen Höfe als Helden-Geschichte gerecht; andererseits arbeitete er durch das Lob des Hauses Hannover den Verdächtigungen und Schwierigkeiten entgegen, die ihm die Darstellung der Königsmarkaffäre hätte bereiten können. —

Quellen

Hunolds Biograph Wedel berichtet: "Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Geschichte in 8. kamen nunmehro auch heraus, woran er über 3. Jahre gearbeitet, und die so wohl gerathen sind, daß sie zu unterschiedenen malen wieder aufgeleget worden. Die Gelegenheit, solchen Roman zu schreiben, gaben ihm einige Cavaliere, denen die Geheimnisse der Höfe bekannt waren, an die Hand."[25] Diese Fiktion einer "mündlichen Quellenüberlieferung" ist nicht nur naiv, sondern einfach irreführend: Hunold hat für seinen Roman eine ganze Bibliothek von Quellen benutzt, wobei weitgehend objektive historiographische Werke neben französische Klatschliteratur, anspruchslose Duodezbändchen mit dem Impressum "Chez Pierre Marteau à Cologne", treten. Im einzelnen wird sich schwer beweisen lassen, welches Werk einer bestimmten Passage zum Vorbild gedient hat, da auch die anderen Schriftsteller der Zeit hemmungslos voneinander abschrieben; es läßt sich jedoch einfach demonstrieren, daß Hunold seine Quellen fast wörtlich abgeschrieben oder übersetzt hat.[26]

1. Für die Schilderung der Belagerung von Maastricht durch Ludwig XIV. muß Hunold direkt oder indirekt das berühmte bei Merian erschienene Theatrum Europæum benutzt haben. Als Beispiel mag folgende Textstelle dienen:

Theatrum Europæum:

So hatte auch der König den Gouverneur durch einen Trompeter ermahnen lassen, den Platz auffzugeben; Worauff er geantwortet: Daß er von einem der grösten Könige in der Welt, und der eine so mächtige Armee als das Haupt selbsten commandirte, belägert zu seyn, sich für die gröste Ehre achtete, daher es ihme auch ein grösserer Ruhm seyn würde, in wachsamer Verthäidigung der Stadt zu sterben, als sich mit Schande zu ergeben, und würde Seine Majestät selbsten wann er dergleichen Zagheit begierige, seine Person in schlechter Achtung haben. Welche Antwort dein König sehr wol gefiel, also daß er gegen seine Grossen sagte: Das müste ein braver Soldat seyn.[27]

Hunold:

Silvio ließ darauf die Stadt noch einmahl zur Aufgabe durch einen Trompeter fordern, dem aber der Commandant antwortete:

Er halte sichs vor die gröste Ehre, von einem der grösten Könige der Welt und der so eine mächtige Armee commandirte belagert zu seyn: Dahero wäre es ihm auch ein grösserer Ruhm, in rechtschaffener Beschützung der Stadt zu sterben, als sich mit Schande zuergeben, und Se. Majestät selbsten hätten ein schlechtes Urtheil von ihm zufällen Anlaß, wo sie dergleichen Zaghafftigkeit an ihm fänden.

Dem Könige gefiel diese großmüthige Antwort so wohl, daß er in Gegenwart seiner Generalen und anderer hohen Officire sagte: Der Commandant muß ein braver Soldat seyn. (S. 661)

2. Auch bei den französischen Vorlagen ist nur sehr schwer festzustellen, welche der zahlreichen Publikationen Hunold benutzt hat. Doch scheint mir die Verwendung der folgenden anonymen Relation sehr wahrscheinlich, die dem Höfling Roger Bussy de Rabutin zugeschrieben wird: Amours des dames illustres de France, sous le regne de Louis XIV.[28] Die Zahl der korrespondierenden Stellen spricht dagegen, daß beide unabhängig voneinander eine gemeinsame Quelle benutzt haben, ferner die Tatsache, daß Hunolds Text eine genaue Übersetzung des französischen ist. Als Beispiel folgende Szene, in der dem König ein gefälschter Brief in die Hände gespielt worden ist, der die angebliche Untreue Mme de Montespans bezeugt. Er besucht sie:

Amours des dames illustres:

Il alla donc aussi-tôt à l'appartement d'Astérie, il la trouva dans son cabinet faisant la lecture d'un nouveau Roman. Eh quoi! Madame, lui dit-il avec un air Lin peu méprisant, vous arrêtez-vous encore à ces bagatelles? Il est vrai, reprit-elle, que dans le fonds il n'y a rien de solide, & j'avoue que ce ne sont que les songes & les visions des autres, qui nous donnent de la joye, ou nous causent de la tristesse; néanmoins je suis encore assez foible pour m'y laisser séduire, & je n'ai pu voir l'infidélité d'une Amante dont il parle, sans donner des larmes aux déplaisirs de son Berger. Je m'étonne, dit le Roi, comme une chose si ordinaire vous a émue, puisqu'il n'est rien de plus commun que l'inconstance du Sexe. Il continua l'entretien sur ce sujet, & le poussa si loin, qu'Astérie qui ne savoit point où cela tendoit, lui dit, Hélas! Sire, ce n'est pas une personne faite comme vous qui doive rien craindre, quand même elle auroit affaire à la plus volage de nous autres; & ceux dont le mérite particulier est aussi éclatant que le vôtre, sont au dessus de tous soupçons. Jusques à présent, reprit le Roi, je m'en étois flatté: mais souvent on s'abuse, & ceux qui ne jugent que des apparences, sont fort sujets à être trompez.[29]

Hunold:

Dem Augenblick begab er sich zu ihr hin, und traf sie über eine Liebes-Geschichte an, die sie zum Zeitvertreib durch blätterte.

Wie, Madame fieng der König mit einer verächtlichen Manier an, ihr verderbet euch noch die Zeit mit solchen Kleinigkeiten?

Ihro Majestät, antwortete sie, haben recht denn man findet nichts gründliches in dergleichen Büchern, und gestehe gar gern, daß es blosse Träume und Fantasien anderer sind, welche in uns bald Freude und Traurigkeit erwecken. Inzwischen habe ich noch die Schwachheit an mir, mich davon einnehmen zulassen, und kan die Untreu eines Frauen-Zimmers, wovon diese Geschichte handelt, nicht lesen, ohne einge Thränen gber das Unglück ihres Amanten zu vergiessen.

Ich wundere mich, erwiederte der König, daß eine eurem Geschlechte so eigenthümliche Sache euch noch bewegen kan.

Er setzte dieses Gespräch so sehr und mit einer solchen Art fort, daß Madame von Pamontese Ursach genug kriegte, was übles vor ihre Person draus zu muthmasen.

Ach! kein solcher Printz, als dieselben sagte sie darauf, hat ein gleiches zu befürchten wenn er auch die leichtsinnigste und unbeständigste von allen Damen liebet. Mit einem Wort: deren Meriten von solchen Glantz als die ihrigen, sind so weit vor andern erhaben daß sie nicht einmahl einen Argwohn in ihre Gedancken dürfen kommen lassen.

Ich habe mir bisher damit geschmeichelt, antwortete der König, allein die Könige betriegen sich so wohl als andere Menschen. (S. 655f.)

Ein Vergleich einer ganzen Reihe von Quellen mit dem Roman zeigt nicht nur, daß Hunold wörtlich abschreibt bzw. übersetzt, wie es die obigen Beispiele demonstrieren, sondern auch, daß er sich vielfach nicht an eine Quelle hält, sondern kompilatorisch arbeitet. Was er aus seinen Quellen auswählt, sind meist nicht lange Beschreibungen faktischer Ereignisse, sondern interessante Anekdoten, die die Neugier des Lesers zu fesseln imstande sind. Darüber hinaus spitzt er manchmal den Quellenbericht zu durch Betonung und Ausmalung gefühlsmäßiger Szenen, d.h. er dramatisiert mit einer Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei, wie sie seit jeher im höfisch-historischen Roman gebräuchlich war.

Die erstaunlich hohe Zahl von mindestens neun Auflagen bzw. Ausgaben zeigt die Popularität dieses umfangreichsten Hunoldschen Werkes bis fast zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie zeigt auch, daß der höfisch-historische Barockroman in dieser aktualisierten Form auch zu einer Zeit noch Leser finden konnte, als das adelige Lesepublikum schon durch das Großbürgertum der Städte abgelöst war. Wie zugkräftig der Roman trotz seines Umfangs war, wird auch darin deutlich, daß ihm Johann Georg Hamann, ein Onkel des Magus, der auch die Asiatische Baniselink fortsetzte, die Ehre von zwei ähnlich umfangreichen Fortsetzungsbänden angedeihen ließ, die mit dem Untertitel "nach Art des Herrn Menantes", d.h. ohne Verfasserangabe, als Band zwei und drei des Hunoldschen Romans erschienen.

Schlüssel

Der folgende Schlüssel ist wörtlich und vollständig dem Anhang von Wedels Hunold-Biographie entnommen. Ob es sich dabei um einen Schlüssel handelt, den Wedel selbst zusammengestellt hat oder um Angaben Hunolds, läßt sich heute nicht mehr bestimmen. Ungenauigkeiten und einige Fehler - Sophie von Celle wird z.B. für Rudolf von Braunschweigs Tochter erklärt und nicht für Herzog Georg Ludwigs von Celle - sprechen dafür, daß Wedel den Schlüssel aus zeitgenössischen Versuchen einer Entschlüsselung, vielleicht auch nach Gesprächen und persönlicher Korrespondenz mit Hunold, zusammengestellt hat. Trotz des Umfangs werden nicht alle Pseudonyme erfaßt, doch lassen sich die restlichen leicht ergänzen.

 

 

 

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Fußnoten
  1. Vgl. hierzu C. W. Böttiger, Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen, 2. Aufl. bearb. von Th. Flathe, Bd. 11 (Gotha: F. A. Perthes, 1870), S. 221ff.; Eduard Vehse, Geschichte der Höfe des Hauses Sachsen, 4. Teil Hamburg: Hoffmann und Campe, 1845), S. 216ff.; Cornelius Gurlitt, August der Starke. Ein Fürstenleben aus der Zeit des deutschen Barock. 2 Bde. (Dresden: Sibyllen Verlag 1924); Paul Haake, August der Starke (Berlin, Leipzig: Gebrüder Paetel, 1927). Die folgende Gegenüberstellung von faktischer Geschichte und Romanhandlung folgt im Wesentlichen Hans Wagener, Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, University of California Publications in Modern Philology, vol. 94 (Berkeley and Los Angeles: University of Caltfornia Press, 1969), S. 55ff.
  2. Daß Hunold die Konversion Friedrich Augusts zum Katholizismus übergeht, ist aus seiner antikatholischen Haltung zu erklären, die mehrfach deutlich wird, z.B. S. 59ff.
  3. [Karl Ludwig von Pöllnitz, La Saxe galante. A Amsterdam aux depens de la Compagnie M DCC XXXIV.
  4. Zum Folgenden vgl. Eduard Vehse, Geschichte der Höfe des Hauses Braunschweig in Deutschland und England. 1. Teil (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1853), S. 80-106; Herbert Singer, "Die Prinzessin von Ahlden: Verwandlungen einer höfischen Sensation in der Literatur des 18. Jahrhunderts," Euphorion, 49 (1955), 305-334; Adolf Köcher, "Die Prinzessin von Ahlden," Historische Zeitschrift, 48 (1882), 1-44; 193-235; ders., "Die letzte Herzogin von Celle," Preußische Jahrbücher, 46 (1889), 430-449.
  5. Köcher, Historische Zeitschrift, S. 1f.: "Ich konstatiere, daß in den Beständen des königlichen Staatsarchivs zu Hannover die Spuren geflissentlicher Beseitigung gerade des wichtigsten Materials ganz unverkennbar sind."
  6. Reskript Kurfürst Ernst Augusts an seine Geschäftsträger in Wien, Regensburg, Stockholm, Berlin und England; zitiert nach Köcher, Historische Zeitschrift, S. 33.
  7. Köcher, Historische Zeitschrift, S. 203, berichtet, die Papiere Königsmarks seien gleich nach seinem Verschwinden von der Hannoverschen Regierung beschlagnahmt worden.
  8. Vgl. Singer, Euphorion, S. 309f.: Liselotto von Orléans habe sie mit empörten Randbemerkungen nach Hannover geschickt und ihre Unterdrückung mit solchem Nachdruck betrieben, daß heute kein Exemplar mehr vorhanden sei.
  9. Vgl. hierzu beonders Eduard Vehse, Höfe des Hauses Sachsen, 4. Teil, S. 177ff.
  10. Vgl. Pöllnitz, S. 143f.
  11. Böttiger, S. 267; vgl. auch Gurlitt, S.34ff.
  12. 1674 erschien in Amsterdam die Relation des troubles arrivez dans la court de Portugal von Blouin de la Piquetierre; 1689 erschien in Paris eine Histoire des Révolutions de Portugal von dem Abbé René Aubert Sieur de Vertot, die auch mehrfach ins Englische übersetzt wurde, und 1700 kam in Paris eine zweibändige Histoire general de Portugal von Jacques le Quien de la Neutville heraus.
  13. Auguste Bouchot, Histoire de Portugal (Paris: L. Hachette et Cie., 1854), S. 249.
  14. ebd., S. 254.
  15. Hunold, Europäische Höfe, S. 234, entspricht Vertot, S. 61. Wahrscheinlich haben Vertot und Hunold eine gerneinsame Quelle benutzt.
  16. Vgl. Vertot, S. 132.
  17. Zum Folgenden vgl. vor allem F. C. Turner, James II, London: Eyre & Spottiswoode, 1948 und Thomas Longueville, The Adventures of King James II of England, (London, New York and Bombay: Longmans, Green and Co., 1904).
  18. Die Gräfin Southampton folgte ihm in Pagenkleidung durch ganz Italien. Vgl. Eduard Vehse, Geschichte der Höfe des Hauses Braunschweig (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1853), 1. Teil, S. 76f.
  19. Schon 1693 spricht Pierre Joseph d'Orléans in seiner Histoire des Révolutions d'Angleterre von dem Betrug: "Toute l'Europe la reconnu, & en est aujourd'hui si persuadée, qu'inutilement je refuterois ce que personne ne crois plus" (zitiert nach der 2. Aufl., Den Haag, 1710).
  20. Z.B. Der sich selbst betrogene König, und der aufgedrungene Printz [...] Cöln, bey Peter Marteau, 1689. Die hier entwickelten "Beweise" sind zum großen Teil mit denen bei Hunold identisch.
  21. Zum Folgenden vgl. Julia Pardoe, Louis the Fourteenth: The Court of France in the Seventeenth Century, Bd. IV (New York: J. Pott, 1905), S. 88ff.; Thérèse Louis Latour, Princesses, Ladies & Adventuresses of the Reign of Louis XIV (London: K. Paul, Trench, Trubner & Co., Ltd., 1924), S. 155ff.; Louis Bertrand, Louis XIV (New York, London, Toronto: Longmans, Green and Co., 1928), S. 206ff. und Vincent Cronin, Louis XIV (London: Collins 1.964), S. 14011.
  22. Jacques Roujon, Louis XIV, Bd. Il (Paris: Editions du Livre Moderne, 1943), S. 12.
  23. Zum Folgenden vgl. Philipp Julius Rehtmeyer, Braunschweigisch-Lüneburgische Chronica, Bd. III (Braunschweig. D. Detleffsen 1722), S. 1747ff.; Sir H. M. Imbert-Terry, A Constitutional King: George the First (London: J. Murray, 1st ed., 1927), S. 9-6 1; Alvin Redman, The House of Hanover (London, 1960), S. 13-31.
  24. Redman, S. 20.
  25. Wedel, S. 82.
  26. Eine ganze Reihe weiterer Beispiele findet sich bei Hans Wagener, Die Komposition, S. 77ff.
  27. Theatrum Europæum Eilffter Theil [...] verlegt, durch Matthæum Merian, Caspar Merian, und Thomæ Matthiæ Götzens sel. Erben. Franckfurt am Mäyn [...]. Im Jahr Christi MDCLXXXII. S. 500.
  28. Tome premier (tome second). A Cologne, Chez Pierre Marteau. (ca. 1737).
  29. ebd., Bd. II, S. 248.
Literatur

Schlüssel in: [B. Wedel] Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes (Cöln, 1731) [Faks.-Ndr. (Leipzig, 1977)], p.177-184.

Hans Wagener, Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, [= University of California Publications in Modern Philology, vol. 94] (Berkeley/ Los Angeles: University of California Press, 1969), S. 55ff.