Halle an der Saale

Belonging to Magdeburg: university town and stronghold of German pietism under Brandenburg-Prussian rule.

 

 

 
 
 
 
“Hier gibt man Zoll” – “This is where you have to pay the customs” - the officer says to the lady approaching. Hinting at the cradle pulled by her horse she responds: “Studenten-Gut ist frey” – there are no customs on student's goods. The little infant dragged along obviously is the offspring of a love affair the lady had with one of the local students. The Brandenburg-Prussian enclave Halle is one of the most famous German university towns, rivalled only by Leipzig and Jena. The local students do not only contribute to the city's wealth. They also bother its inhabitants with their own scandalous life and book production. The little engraving stems from a libellous gallant novel written by one of them. The Source is Le Content's Accademischer Frauenzimmer-Spiegel (1718) {3: Yb.3931}. Depicted in the background: Halle, a town of hardly more than 35,000 inhabitants in- and outside the city's walls.


 

Zwischen Stadt, Universität und Kirche - Überblick
by H.-J. Kertscher

Vergegenwärtigen wir uns die Vorgeschichte, die unser Thema unmittelbar berührt. Sie ist verbunden mit der Administratorentätigkeit des sächsischen Herzogs August. Der Erzbischof des Erzstifts Magdeburg, zu dem Halle gehörte, erwirkte noch 1642 von den Schweden einen Neutralitätsvertrag für das Erzstift, nahm im gleichen Jahr seinen Wohnsitz in Halle, verzichtete 1647 auf die geistliche Würde und avancierte zum Administrator des Erzstifts, das nach dem Westphälischen Frieden (1648) zu einem weltlichen Herzogtum wird. Den Bestimmungen des Friedens zufolge sollte dieses nach dem Tod Augusts dem Kurfürstentum Brandenburg einverleibt werden. Diesem ,Interimsstadium‘ war es wohl zuzuschreiben, daß August auf größere bauliche Tätigkeiten in der Stadt verzichtete, nicht aber auf die Etablierung einer höfischen Kultur, die sich in Halle in bescheidenem Maße entfaltete. Insgesamt läßt sich hinsichtlich der Regierungstätigkeit Augusts feststellen, daß diese, wie andernorts in ähnlich strukturierten Residenzen im mitteldeutschen Raum, teilweise auch in bewußter Konkurrenz zu ihnen, am Ende des 17. Jahrhunderts eine Stadt prägte, die im wesentlichen, gelegentlich rudimentär, alle Merkmale einer deutschen absolutistischen Residenzstadt der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg aufwies. Auch von den Folgen der Aufgabe einer Residenz, wie sie sich anderswo mit geradezu notwendiger Konsequenz einstellten, blieb Halle nicht verschont. Die Stadt stand 1680, nach dem Tod Augusts und dem damit verbundenen Abzug des Hofes nach Weißenfels, vor dem Ruin. Wichtige Erwerbsquellen, die eine Hofhaltung bietet, waren versiegt, neue noch nicht in Aussicht gestellt. Zudem wurde die Atmosphäre in dieser Zeit verschärft durch das Auftreten einer Pestepidemie. An den Folgen der Pest starben von 1681 bis 1683 über 5000 Personen, also über die Hälfte der Einwohner Halles. Hinzu kam noch ein Großbrand, der 1683 das Viertel zwischen Kleinem Berlin und südlicher Ringmauer zerstörte. Schließlich war die Salzproduktion, die den Reichtum Halles im Mittelalter im wesentlichen ausmachte, am Ende des 17. Jahrhunderts im Rückgang begriffen. Sie erlebte zwar durch technische Innovationen etc. kurzzeitig einen gewissen Aufschwung, aber insgesamt konnte nicht an die Produktionszahlen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts angeknüpft werden.

Das Haus Brandenburg stand demzufolge vor der Aufgabe, der Stadt Halle eine Perspektive zu eröffnen – und dies angesichts der Tatsache, daß das brandenburgische Regiment anfangs bei der halleschen Bevölkerung aus konfessionellen Gründen nicht gerade auf großes Vertrauen stieß. Die Vorbehalte in den streng lutherischen Kreisen der Stadt gegen den Kurfürsten Friedrich Wilhelm galten dessen Bekenntnis zum reformierten Glauben. Außerdem hielt der Kurfürst die Hallenser hin, die für sie wichtige Bestätigung der Ratsverfassung zu genehmigen. Sie erfolgte nicht. Erst 1688, nach dem Ableben des Großen Kurfürsten also, wurde durch Friedrich III. eine neue Polizeiordnung durchgesetzt. In nicht ungeschickter Weise versuchte er, in Halle vorhandene Traditionen kultureller und wirtschaftlicher Provenienz behutsam mit Neuansätzen einer modernen Stadtentwicklung zu verbinden. Heinz Kathe kennzeichnet "die Geschichte Halles in den Jahren von 1680 bis 1717 als eine im Kern bereits zentralstaatlich-städtepolitisch gesteuerte Abfolge von Abbau- und vor allem Aufbauschritten" und hebt "einen stark textilgewerblichen Grundzug", dem "ein beträchtlicher Ausbau der Bildungseinrichtungen gegenüber" stehe, hervor.[1] Die Entwicklung des Textilgewerbes wurde vornehmlich durch den Zuzug von Hugenotten und Pfälzern realisiert, die besondere Privilegien erhielten, so etwa eine eigene Gerichtsbarkeit. Durch ein Bündel von kurfürstlichen Maßnahmen konnte das säkularisierte Erzstift Magdeburg in das Kurfürstentum integriert werden: so z.B. der Einsetzung eines Konsistoriums zum Schutz des reformierten Bekenntnisses, der jüdischen Gemeinde und der pietistischen Bemühungen August Hermann Franckes.

Die 1694 erfolgte Gründung der Fridericiana, der halleschen Universität, war ein weiterer Faktor, der entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Stadt zu einem Zentrum der deutschen Frühaufklärung ausübte. Zeitgleich avancierte die Stadt zur ,Hochburg des Pietismus‘ in Deutschland. Maßgeblich beteiligt an beiden Vorgängen waren Christian Thomasius und August Hermann Francke. Zwei Strömungen, geprägt durch ein spannungsvolles Mit- und Gegeneinander, gingen von Halle aus und trugen zur Konstituierung dessen bei, was später als res publica litteraria bezeichnet wurde.

Die von Francke 1698 gegründeten Anstalten, die vor den Toren Halles, in Glaucha eingerichtet wurden, der Bau des Waisenhauses, des Pädagogiums, der erwerbenden Einrichtungen u.a., gelten bis heute als eine singuläre Institution, die hohe geistliche, soziale, pädagogische Zielstellungen zu realisieren vermochte. Bedenkt man, daß diese ,Gottesstadt‘ im Jahr von Franckes Tod (1727) etwa 3000 Bewohner beherbergte, läßt sich leicht ermessen, welche Ausstrahlung auf das benachbarte Halle von hier möglich war.

Die Universitätseinrichtung erwies sich bald als eine eminent folgenreiche Gründung. Sie verlieh auf der einen Seite der Stadt ein neues Gepräge, indem sie ihren Bürgern durch das sich ständig erneuernde Studentenpublikum Einnahmequellen der verschiedensten Art auf Dauer sicherte. Mit der Berufung bedeutender Professoren, neben dem Juristen Thomasius und dem Theologen Francke seien noch die die Juristen Nicolaus Hieronymus Gundling (1671–1729) Johann Samuel Stryk (1668–1715) und Johann Peter v. Ludewig (1668–1743), die Mediziner Georg Ernst Stahl (1660–1734) und Friedrich Hoffmann (1660–1742) und die Philosophen Johann Franz Buddeus (1667–1729) und Christian Wolff (1679–1754), allesamt führende Vertreter ihres Faches im alten Reich, genannt.

Im Zusammenhang mit der Universitätsgründung etablierten sich in Halle auch die sog. Universitätsverwandten, also der Universität unmittelbar dienende Gewerbezweige. Hier verdient die Entwicklung des halleschen Druck- und Verlagswesens eine besondere Erwähnung. Hatten bis zur Gründung der Universität noch drei Druckereien die für Halle nötigen Druckaufträge besorgt, ließen sich danach eine ganze Reihe auswärtiger Drucker in Halle nieder. 1740 waren es schließlich 16 Offizinen, die sich um die Verbreitung von Manuskripten mühten. Damit besaß Halle nur eine Anstalt weniger als die Stadt Leipzig, die das Verlagswesen Deutschlands in dieser Zeit beherrschte.

Insgesamt läßt sich sagen, daß um 1730 der Prozeß des durchaus widerspruchsvollen Wandels der Stadt Halle von einer Residenzstadt zu einer Universitätsstadt im wesentlichen als vollzogen gekennzeichnet werden kann.

 

Hans-Joachim Kertscher


  1. Kathe, Heinz, “Städtischer Funktionswandel im frühaufklärerischen Preußen: Halle 1680-1740”, in: Jerouschek, Günter et al (eds.), Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694-1806) (Hanau/ Halle, 1994), S. 56.

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