Halle an der Saale : Franckesche Stiftungen

August Hermann Francke's foundations created around the nucleus of the city's orphanage – became one of the most sucessful early 18th-century enterprises.
Das Hällische Waysenhaus
Kupferstich, 1730,
eingespielt aus der
Seite der Preußen-Chronik des ORB

 

Die Franckeschen Stiftungen und ihre Druckereien
by H.-J. Kertscher

Halles Waisenhausbuchhandlung und -druckerei gehörten zu den wesentlichen Verlags- und Vertriebsanstalten für Schriften vornehmlich geistlichen Inhalts im protestantischen Deutschland. Hier hatte Francke mit Heinrich Julius Elers einen Mitstreiter gefunden, der sich 1697 zunächst um den Druck der Predigten des Pietisten kümmerte, bald aber, nachdem die Drucke sich erfolgreich zur Leipziger Messe behaupten konnten, auch Schriften anderer Autoren in Verlag nahm. Im Meßkatalog von 1699 sind bereits 14 Titel aus dem Waisenhaus vermerkt, darunter sechs von Francke. Ein handschriftlicher Katalog des Waisenhauses von 1704 verweist auf 50 neue Bücher, der erste gedruckte Verlagskatalog von 1737 auf 660. Den Druck besorgten zunächst überwiegend hallesche Druckereien, 1699 erhielt Francke dann das kurfürstliche Privileg zur Gründung einer eigenen Druckerei. Anfangs wurden zwei Pressen betrieben. Francke vermerkt einige Jahre später in der II. Fortsetzung seiner Segens-vollen Fußstapfen, dem Waisenhausbericht von 1706: “Noch ist beym Wäysen-Hause eine Buchdruckerey, welche nicht allein mit völligen Pressen und allen in Teutschland befindlichen Typis, als Teutschen, Lateinischen, Griechischen, sondern auch mit Orientalischen, als Hebräischen, Syrischen und Æthiopischen, ingleichen auch mit Slavonischen versehen ist. Sie hat ihren eigenen Factor, vier Gesellen, vier Lehr-Jungen und einen Aufwärter. [...] Mit dieser Buchdruckerey ist verknüpffet der Buchladen, welchen versiehet ein eigener Inspector des Buchhandels, nebst einem Laden-Diener und Lehr-Jungen.”[1] Allerdings wurden Franckes Bemühungen um die Druckerei nicht ohne Mißtrauen seitens der halleschen Drucker verfolgt. In einer anonym publizierten Schrift unterhalten sich Reisende über Franckes Tätigkeiten und berichten, daß dieser versuche, sich “in alle Handlungen, Künste und Handwercker zu mischen, dadurch er mit jenen viele Processen bekommet”.[2] Und hinsichtlich der Druckerei wird vermerkt: “Wie übel gehet doch Herr M. Francke mit denen Hällischen Buchdrucker und Händler um, erstere sind da ohn deme überfleißig anzutreffen und haben wenig zu arbeiten, gleich wohl ist Herr M. Francke so unruhig und will eine eigene Druckerey für sich unter dem Nahmen des Wäysen-Hauses auffrichten lassen, womit er jene gar um ihr stückgen Brod bringet, daß sie endlich über ihn seuffzen müssen.”[3]

Francke ließ sich von derlei Vorwürfen nicht entmutigen, sondern setzte weiterhin auf die Printmedien. So gründete er, nachdem er bereits 1703 das königliche Privileg erhalten hatte, 1708 eine eigene Zeitung. Sie ging aus der sog. Correspondentz, einem seit 1704 monatlich in 40 handgeschriebenenen Exemplaren verbreiteten Mitteilungsblatt hervor, das auswärtige Freunde über die Arbeit des Waisenhauses unterrichten sollte. Zu diesem Zweck erwiesen sich jedoch die schon zitierten Segens-vollen Fußstapfen als durchaus ausreichend. So verfiel Francke auf den Gedanken, das königliche Privileg in die Tat umzusetzen. Mit dem Kandidaten der Jurisprudenz Jacob Gabriel Wolff hatte er einen scheinbar geeigneten Redakteur und mit dem Drucker Stephan Orban einen versierten Geschäftsmann für die ab Juni 1708 erscheinenden Hällischen Zeitungen gefunden. Diese nun verzichteten auf Nachrichten aus dem Waisenhaus zugunsten solcher aus der ganzen Welt. Was sich anfangs noch, aus Gründen des Neuigkeitswertes, als recht interessant erwies, wurde mit der Zeit allerdings langweilig und fand nicht mehr den anfangs erhofften Absatz. Wolff besaß nicht die journalistische Kompetenz, die hier am Platz gewesen wäre, und auch nach seiner Ablösung (1732) veränderte sich an der Situation prinzipiell nichts, so daß sich das Direktorium 1768 entschließen mußte, das Privileg zu verkaufen. Aber immerhin: Ein Anfang zu einer – heute nicht mehr wegzudenkenden – neuen Kommunikationsform war für die Stadt Halle gemacht und zudem die Lust im Publikum geregt worden, auf diese Weise schnell informiert zu werden und sich – zumindest intellektuell – als Teilhaber am Weltgeschehen zu fühlen.

Wirklich erfolgreich waren die Stiftungen im Hinblick auf ihre Bemühungen um die Bibeldrucke. Dies hängt wohl damit zusammen, daß hinter diesem Unternehmen eine geschlossene geistige Konzeption steckte. Sie ist nicht einfach nur zu reduzieren auf den Gedanken des Stehsatzes, der beliebig für Neudrucke zur Verfügung gestellt werden kann und damit kostengünstige Drucke ermöglicht, sondern vielmehr das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit, die im wesentlichen von vier Personen getragen wurde. Da wäre zunächst Francke selbst zu nennen, der schon im Zusammenhang mit der Waisenhausdruckerei den alten Gedanken Luthers, jeder protestantischen Familie in Deutschland eine Bibel zur Verfügung zu stellen, realisieren wollte. Mit Heinrich Julius Elers fand er einen Mitstreiter, der es u.a. vermochte, genaue Rechnungen über die Minderkosten von Stehsatzdrucken anzustellen. Mit dem Freiherrn Carl Hildebrand v. Canstein war ein Mann zur Stelle, der die geistige Konzeption für das Unternehmen in seinem Ohnmaßgebenden vorschlag, wie GOttes Wort den armen zur erbauung um einen geringen preis in die hände zu bringen 1710 schlüssig formulierte und das Vorwort für die Bibeldrucke lieferte. Der vierte Protagonist des Unternehmens war schließlich Johann Heinrich Grischow, der zusammen mit dem Freiherrn für die philologisch akribische Textherstellung verantwortlich zeichnete. Um allein den Vertrieb deutschsprachiger Bibeln zu verdeutlichen, sei hier eine Zahl genannt, die einer gedruckten Statistik der Franckeschen Stiftungen zu entnehmen ist: "In der Canstein’schen Bibel-Anstalt sind von ihrer Stiftung an im May 1712, bis Ende April 1827, zur wohlfeilsten Verbreitung der heiligen Schrift gedruckt worden: [...] 2,356,986" Exemplare.

 

Hans-Joachim Kertscher


  1. Die II. Fortsetzung Der Wahrhaften und umständlichen Nachricht Vom Waysen-Hause und übrigen Anstalten Zu Glaucha vor Halle den 14. Novembris A. 1706. in einem Frantzösischen Send-Schreiben von dem Hoch-wohlgebohrnen Herrn, Herrn Carl Hildebrand, Freyherrn von Canstein, [...] abgefasset und nach der Zeit Teutsch in Druck gegeben Von August Hermann Francken [...]. Halle 1708, S. 16f.
  2. Auffrichtige und wohlmeinende Reise-Gedancken, Von den heutigen so genanten Pietismo in Begleitung einer gantzen Gesellschaft treuhertzig entdecket, Und Zu mehrern Nachsinnen unpartheyisch ans Tag-Licht gestellet von A. M. Z. P. C. L. Constantinopel, Bey Christian Neustadt. o.J., S. 14.
  3. Ebd., S. 27.

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